Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


Скачать книгу
pflegte.

      Justin hatte sich am römischen Tore unter der Menge befunden, als der Gendarm die beiden Gefangenen wegführte. Er begann zu laufen, was er konnte und nahm seinen Weg durch den Jas-Meiffren, denn er wollte das Schauspiel der Hinrichtung nicht versäumen. Der Gedanke, daß von allen Taugenichtsen der Vorstadt er allein das Drama bequem, wie von einem Balkon herab mit ansehen könne, trieb ihn zu solcher Eile an, daß er zweimal fiel. Trotz seines tollen Laufes kam er zu dem ersten Pistolenschuß zu spät. Verzweifelt erklomm er den Maulbeerbaum. Als er Silvère noch am Leben sah, lächelte er. Die Soldaten hatten ihm erzählt, daß seine Base getötet worden sei; die Ermordung des Stellmachers machte seine Freude zu einer vollständigen. Er erwartete den Schuß mit jener Wollust, die er empfand, wenn er andere leiden sah, aber noch zehnfach gesteigert durch das Schreckliche der Szene, gemengt mit einer köstlichen Furcht.

      Als Silvère den Kopf auf der Mauer erkannte, diesen schändlichen Kerl mit der bleichen, wonnegrinsenden Fratze und dem über die Stirne leicht gesträubten Haar, empfand er eine dumpfe Wut, ein Bedürfnis zu leben. Es war die letzte Aufwallung seines Blutes. Doch es währte nur eine Sekunde; er sank wieder auf die Knie und schaute vor sich hin. In der trübseligen Dämmerung schwebte ein letztes Bild an ihm vorüber: am Ende des Weges, am Eingange des Saint-Mittre-Feldes glaubte er Tante Dide zu sehen, die bleich und starr wie eine Heilige von Stein dastand und aus der Ferne seinen Todeskampf mit ansah.

      In diesem Augenblicke fühlte er den kalten Lauf der Pistole an seiner Schläfe. Der bleiche Kopf Justins lachte. Silvère schloß die Augen; er hörte, wie die Toten ihn heftig riefen.

      Er sah im Finstern nichts als Miette, die in die rote Fahne gehüllt, unter den Bäumen lag, und mit den offenen toten Augen in die Luft starrte. Dann schoß der Einäugige und es war aus; der Schädel des Knaben platzte, wie ein reifer Granatapfel; er fiel mit dem Antlitz auf den Steinblock, seine Lippen hefteten sich auf die von Miettens Füßen abgewetzte Stelle, auf jene noch warme Stelle, wo die Liebste seines Herzens gleichsam ein Stück ihres Leibes zurückgelassen hatte. – –

      Bei den Rougon aber ging es in der schwülen Luft des Salons, bei den noch warmen Resten des Festmahles hoch her. Endlich genossen sie die Freuden der Reichen; nachdem sie dreißig Jahre lang ihre Begierden hatten niederhalten müssen, zeigten sie jetzt eine wilde Gier. Diese hungrigen, abgemagerten Raubtiere, denen erst gestern die Genüsse zugänglich gemacht worden, begrüßten mit lautem Jubel das erstehende Kaiserreich, die Herrschaft der wilden Treibjagd. Wie durch den Staatsstreich der Glücksstern der Bonaparte wieder aufgegangen, begründete er auch das Glück der Rougon.

      Peter erhob sich, streckte seinen Gästen sein Glas entgegen und rief:

      Ich trinke auf das Heil des Prinzen Ludwig, des Kaisers.

      Die Herren, die ihren Neid in dem Schaumwein ertränkt hatten, erhoben sich sämtlich und stießen unter betäubendem Jubelgeschrei mit ihren Gläsern an. Es war ein schönes Schauspiel. Die Bürger von Plassans, Roudier, Granoux, Vuillet und die anderen weinten und umarmten sich über dem noch warmen Leichnam der Republik. Sicardot aber hatte einen glänzenden Gedanken. Er nahm aus dem Haar Felicités eine Schleife von rosa Satin, mit welcher die Hausfrau sich für den Festabend geschmückt hatte, schnitt mit einem Dessertmesser ein Stückchen davon ab und steckte es feierlich in das Knopfloch Rougons. Dieser spielte den Bescheidenen, wehrte ab und murmelte mit strahlender Miene:

      Nein, ich bitte Sie, das ist zu viel. Man muß warten,. bis der Erlaß erschienen ist.

       Sacrebleu, rief Sicardot, ob Sie es wohl behalten wollen; ein alter Soldat Napoleons dekoriert Sie!

      Der ganze gelbe Salon klatschte Beifall. Felicité schwamm in Glückseligkeit. Der sonst so schweigsame Granoux bestieg in seiner Begeisterung einen Sessel, winkte heftig mit seiner Serviette und hielt eine Rede, die in dem allgemeinen Getümmel unterging. Der gelbe Salon triumphierte, raste.

      Doch das Bändchen von rosa Satin im Knopfloche Peters war nicht der einzige rote Fleck in dem Triumphe der Rougon. Unter dem Bette des anstoßenden Zimmers vergessen, lag noch ein Schuh mit blutbeflecktem Absatz. Die Kerze an der Leiche des Herrn Peirotte auf der anderen Seite der Straße schimmerte blutigrot durch das Dunkel der Nacht wie eine offene Wunde. Und in der Ferne, im Hintergrunde des Saint-Mittre-Feldes, auf dem Grabstein, stockte eine große Blutlache.

      Ende

       Die Treibjagd (La curée. Übersetzt von Armin Schwarz)

      Inhaltsverzeichnis

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

      I.

       Inhaltsverzeichnis

      Bei der Heimkehr war das Gedränge der längs des Teichufers zurückfahrenden Wagen so stark, daß die Equipage im Schritt fahren mußte. Einen Moment lang war das Gewirr so arg, daß dieselbe anzuhalten gezwungen war.

      Langsam sank die Sonne an dem Oktoberhimmel hinab, der von hellgrauer Farbe und an seinem Rande von leichten Wolken gestreift war. Ein letzter Strahl, der durch das ferne Dickicht am Wasserfall auf die Fahrstraße fiel, hüllte die lange Reihe der regungslos verharrenden Wagen in ein mattes, röthliches Licht. Die goldschimmernden Lichter und hellen Blitze, welche die Räder warfen, schienen an das strohgelbe Untertheil der Kalesche festgebannt, in deren dunkelblauen Feldern sich einzelne Stücke der umgebenden Landschaft widerspiegelten. Von dem röthlichen Lichte ganz umflossen, welches sie von rückwärts erhielten und die Messingknöpfe ihrer in faltenloser Glätte über den Sitz zurückgelegten Ueberröcke schimmern machte, verharrten Kutscher und Kammerdiener in ihrer dunkelblauen Livrée, ihren ockerfarbenen Beinkleidern und gelb und schwarz gestreiften Westen steif, gelassen und ernst auf ihrem erhöhten Sitze, wie es sich für die Dienstleute eines guten Hauses geziemt, die ein Wagengedränge nicht aus der Fassung zu bringen vermag. Ihre mit einer schwarzen Kokarde versehenen Hüte verriethen viel Würde. Nur die Pferde, herrliche Braune, zeigten eine große Ungeduld.

      »Sieh 'mal!« sagte Maxime; »dort unten, in dem Coupé, sitzt Laura d'Aurigny. – – Sieh doch, Renée!«

      Renée richtete sich ein wenig empor, wobei sie die Augen mit einer allerliebsten Grimasse zusammenkniff, um ihre schwache Sehkraft etwas zu unterstützen.

      »Ich dachte, sie sei durchgebrannt,« erwiderte sie. »Sie scheint die Farbe ihrer Haare gewechselt zu haben, wie?«

      »Ja,« bemerkte Maxime lachend; »ihr neuer Liebhaber mag die rothe Farbe nicht.«

      Nach vorne geneigt, mit auf dem niedrigen Wagenschlag ruhender Hand blickte Renée in die angedeutete Richtung, nachdem sie das traurige Sinnen von sich geschüttelt, in welchem sie wohl über eine Stunde versunken gewesen, während sie wie in einem Krankenstuhle, in den weichen Kissen ihres Wagens gelegen. Ueber dem mit einer Tunique, einem Vorderbesatz und breiten gepreßten Falten besetzten grauseidenen Kleide trug sie einen kurzen Paletot aus weißem Tuch mit grauen Überschlägen, welcher ihr ein vornehm-keckes Aussehen verlieh, während ihre Haare, deren blaßgelbe Farbe am ehesten mit der der Butter zu vergleichen war,


Скачать книгу