Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Wagen rollte über den Madeleine-Platz. Renée sagte sich, daß sie nicht schuldig sei. Sie hatte die Blutschande nicht gewollt. Und je länger sie nachdachte, je klarer ward es ihr, daß sie unschuldig gewesen, während der ersten Stunden ihres Abenteuers, auf ihrem fluchtähnlichen Gang durch den Park Monceau, bei Blanche Müller ebenso, wie auf dem Boulevard und in dem Sonderkabinet des Restaurants. Wozu war sie aber nur am Rande dieses Divans in die Kniee gesunken? Sie wußte es selbst nicht mehr. Sie hatte doch nicht einen Augenblick an jene Sache gedacht und hätte sich sogar von Zorn erfüllt zur Wehre gesetzt. Das Ganze war bis dahin so lustig gewesen, sie hatte sich amüsiert und hatte gelacht, weiter nichts. Und während der Wagen dahinrollte, vernahm sie wieder das betäubende Geräusch des Boulevards, das ruhelose Kommen und Gehen der Männer und Frauen, während sie Feuerbrände vor den müden Augen zu haben glaubte.
In seiner Ecke lehnend war auch Maxime in unangenehme Gedanken versunken. Er ärgerte sich über das Abenteuer. Er hatte sich von dem schwarzen Satindomino verführen lassen. Wer hatte aber auch schon erlebt, daß sich eine Frau so lächerlich vermumme? Nicht einmal ihr Hals war zu sehen gewesen. Er hatte sie für einen Knaben gehalten, mit ihr gespielt und trug keine Schuld daran, wenn aus dem Spiel Ernst geworden. Gar kein Zweifel, daß er sie nicht mit einem Finger berührt hätte, wenn sie wenigstens eine Schulter entblößt gehabt. Er würde sich erinnert haben, daß sie die Frau seines Vaters sei. Da er aber kein Freund unangenehmer Gedanken war, so verzieh er sich. Er wird Acht haben, daß die Sache sich nicht wiederhole; es wäre doch zu dumm.
Der Wagen hielt an und Maxime stieg zuerst aus, um Renée herauszuhelfen. Vor der kleinen Parkthür aber wagte er sie nicht zu küssen und sie reichten sich nur die Hände wie sonst. Sie befand sich schon jenseits des Gitters, als sie, nur um etwas zu sagen und dadurch ohne es zu wollen, verrathend, daß ein Gedanke sie seit dem Verlassen des Restaurants unablässig beschäftige, fragte:
»Was ist's denn mit dem Kamm, von welchem der Kellner sprach?«
»Ich weiß wirklich nicht, was er damit meinte,« erwiderte Maxime verlegen.
Mit einem Male war Renée die Sache klar. Das Kabinet besaß zweifellos einen Kamm, der zur Einrichtung gehörte, wie die Fenstervorhänge, der Riegel und der breite Divan. Und ohne eine Erklärung abzuwarten, die noch nicht gekommen war, vertiefte sie sich beschleunigten Schrittes in die dunkeln Laubgänge des Monceau-Parkes, meinend, die Zähne aus Schildpatt hinter sich zu sehen, in welchen Sylvia und Laura d'Aurigny ihre blonden und schwarzen Haare zurückgelassen hatten. Sie hatte Fieber. Céleste mußte sie zu Bett bringen und bis zum Morgen bei ihr wachen. Maxime, der auf dem Trottoir des Boulevard Malesherbes zurückgeblieben, dachte einen Moment nach, ob er sich der lustigen Bande im Café Anglais anschließen sollte; dann aber beschloß er, gleichsam um sich zu strafen, zu Bette zu gehen.
Am nächsten Morgen erwachte Renée spät aus einem schweren, traumlosen Schlaf. Sie ließ im Kamin ein großes Feuer anmachen und sagte, sie werde den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbringen. Dies bildete in ernsten Stunden ihre Zufluchtsstätte. Als ihr Gatte sie gegen Mittag nicht zum Frühstück hinabkommen sah, ließ er um die Erlaubniß bitten, sie zu besuchen. Schon wollte sie, von einer leisen Unruhe erfaßt, die Erlaubniß verweigern, als sie sich anders besann. Sie hatte Saccard gestern eine Rechnung von Worms übergeben, die sich auf die etwas hohe Summe von 136 000 Francs belief und sicherlich wollte er sich die Freude nicht versagen, ihr die Quittung persönlich zu überreichen.
Sie erinnerte sich der gestrigen kleinen Löckchen und blickte mechanisch in den Spiegel. Céleste hatte ihr das Haar in breite Zöpfe geflochten. Darauf ließ sie sich vor dem Kaminfeuer nieder, eingehüllt in die Spitzen ihres Morgengewandes. Saccard, dessen Wohnräume sich gleichfalls im ersten Stock befanden und an diejenigen Renée´s stießen, kam in Pantoffeln, in seiner Eigenschaft als Gatte zu ihr. Er betrat kaum einmal im Monat das Zimmer Renée's und auch da immer nur, um eine Geldfrage zu erledigen. An diesem Morgen hatte er die gerötheten Augen, die bleiche Gesichtsfarbe eines Mannes, der eine schlaflose Nacht verbracht hat. Galant zog er die Hand seiner Frau an die Lippen und sich an der anderen Ecke des Kamins niederlassend, sagte er: »Sie sind krank, liebe Freundin? Ein wenig Migräne, nicht wahr? ... Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meinem geschäftlichen Galimathias belästige; doch ist die Angelegenheit ziemlich ernst...«
Damit zog er aus der Tasche seines Schlafrockes die Rechnung Worms, welche Renée an dem eleganten Papier erkannte.
»Ich fand diese Rechnung gestern auf meinem Schreibtische,« fuhr er fort, »und es thut mir wirklich leid, – doch vermag ich sie in diesem Augenblick nicht zu begleichen.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete er, welchen Eindruck diese Worte auf sie machten und da sie auf's Höchste erstaunt schien, hub er mit einem Lächeln von Neuem an:
»Sie wissen, meine liebe Freundin, daß ich nicht die Gewohnheit habe, Ihre Ausgaben zu bekriteln und dennoch muß ich sagen, daß mich einige Punkte dieser Rechnung überrascht haben. Da sehe ich zum Beispiel auf der zweiten Seite: Eine Balltoilette: Zeug dazu, 70 Fr.; Façon, 600 Fr.; Geld geliehen, 5000 Fr.; Waschwasser des Doktor Pierre, 6 Fr. – Ein Kleid zum Preise von siebenzig Francs, das recht hoch zu stehen kommt ... Sie wissen aber, daß ich für alle Schwächen ein Verständniß habe. Ihre Rechnung beträgt hundertsechsunddreißigtausend Francs und Sie waren beinahe sparsam, das heißt im Verhältnisse sparsam ... Nur kann ich, wie gesagt, nicht zahlen, da ich das Geld jetzt ein wenig knapp habe.«
Mit einer Geberde verhaltenen Unmuths streckte sie die Hand aus und sagte trocken:
»Gut denn, geben Sie mir die Rechnung; ich will sehen, was zu thun ist.«
»Ich sehe, daß Sie mir nicht glauben,« murmelte Saccard, der den Unglauben seiner Frau in Bezug auf seine Geldverlegenheit für einen Triumph ansah. »Ich sage nicht, daß meine Situation bedroht sei, nur sind die Geschäfte augenblicklich etwas weniger leicht abzuwickeln ... Gestatten Sie mir, wenn es Ihnen auch ein wenig lästig ist, Ihnen die Sachlage darzustellen; Sie haben mir Ihre Mitgift übergeben und ich bin Ihnen rückhaltslose Offenheit schuldig.«
Er legte die Rechnung auf den Kamin, ergriff die Feuerzange und begann in der Gluth zu stöbern. Diese Manie, in der glühenden Asche umherzuwühlen, während er über Geschäfte sprach, war bei ihm Berechnung, die schließlich zur Gewohnheit wurde. Wenn eine Zahl oder ein Satz kam, der ihm nicht recht über die Lippen wollte, so führte er eine förmliche Zerstörung des Feuerherdes herbei, welche er hernach möglichst gut zu machen suchte, indem er die kleinen Holzsplitter zusammenscharrte und in kleinen Häufchen aufschichtete. Zuweilen schien er in dem Kamin förmlich zu verschwinden, um ein Stück glühender Kohle, welches sich in einen Winkel geflüchtet, hervorzuholen. Seine Stimme klang dumpf und sein Zuhörer verfolgte mit Ungeduld und Interesse die Kegel, die er gewandt aus den glühenden Kohlen aufbaute; man hörte ihm gar nicht mehr zu und gewöhnlich verließ man ihn besiegt und befriedigt. Selbst bei fremden Personen bemächtigte er sich despotisch der Feuerzange und wenn Sommer war, so spielte er mit einer Feder, einem Papiermesser oder einem Federmesser.
»Meine liebe Freundin,« sagte er und führte einen mächtigen Hieb mitten in die Gluth, daß dieselbe auseinander stob; »ich bitte Sie nochmals um Verzeihung dafür, daß ich mich in diese Details einlasse ... Ich habe Ihnen die Zinsen der Beträge, welche Sie mir anvertrauten, gewissenhaft bezahlt und darf ohne Sie zu verletzen, sogar behaupten, daß ich diese Zinsen blos für Ihr Taschengeld betrachtete, da ich auch Ihre sonstigen Bedürfnisse bestritt und niemals Anspruch auf den Beitrag erhob, welchen Sie zu den gemeinschaftlichen Ausgaben des Haushaltes beizustellen hatten.«
Er schwieg. Renée empfand ein peinliches Gefühl, während sie zusah, wie er mit der Zange ein tiefes Loch in die Asche bohrte, um in demselben ein glimmendes Holzstück zu begraben. Er war bei einem zarten Punkt angelangt.
»Ich war, wie Sie einsehen werden, genöthigt, Ihr Geld in einer Weise anzulegen, daß dasselbe bedeutende Zinsen trug. Die Kapitalien befinden sich in guten Händen, – hierüber können Sie ganz beruhigt sein. Was hingegen die Erträgnisse Ihrer Besitzungen in der Sologne anbetrifft, so wurden dieselben theilweise dazu verwendet, das von uns bewohnte Hôtel zu bezahlen; der Rest ist in einem vortrefflichen Unternehmen, der marokkanischen Hafengesellschaft angelegt. ... Wir sind