Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Beweggrund mochte ihn veranlassen, weniger zu lügen als sonst. In Wahrheit war Renée`s Mitgift schon seit Langem nicht mehr vorhanden; sie war in dem Kassabuch Saccard`s zu einem fiktiven Werthe geworden. Allerdings bezahlte er für dieselbe zwei- bis dreihundert Perzent; dagegen hätte er keines der ihm übergebenen Werthpapiere vorweisen, keinen Pfennig des ursprünglichen Kapitals ausfolgen können. Wie er es übrigens halb eingestand, hatten die fünfhunderttausend Francs, die für den Verkauf der Besitzungen in der Sologne eingeflossen waren, als Abschlagszahlung auf das Hôtel und die Einrichtung desselben gedient, welche zusammen nahe an zwei Millionen gekostet hatten. Dem Möbelhändler und dem Bau-Unternehmer war er noch eine Million schuldig.
»Ich beanspruche ja nichts von Ihnen,« sagte Renée endlich; »ich weiß, daß ich Ihnen sehr viel schuldig bin.«
»Oh! meine liebe Freundin,« rief er aus und ergriff die Hand seiner Frau, ohne aber die Zange darum loszulassen; »welch' ein häßlicher Gedanke ist das!... Sehen Sie, ich will es kurz machen; ich hatte Unglück an der Börse, Toutin-Laroche hat Dummheiten gemacht und die Herren Mignon und Charrier sind Tölpel, die mich in die Patsche gebracht haben. Und darum kann ich Ihre Rechnung nicht bezahlen. Sie verzeihen mir doch, nicht wahr?«
Er schien in Wahrheit bewegt. Er versenkte die Feuerzange zwischen die Gluth, daß ein Regen von Funken emporstob. Renée erinnerte sich des unruhigen Betragens, welches sie seit einiger Zeit an ihm gewahrte und dennoch vermochte sie die überraschende Wahrheit nicht zu fassen. Saccard versuchte ein alltägliches Kunststück. Er bewohnte ein Hôtel, welches zwei Millionen gekostet hatte, führte die Lebensweise eines Fürsten und hatte sehr oft keine tausend Francs in der Kasse. Seine Ausgaben wurden darum aber nicht vermindert. Er lebte von Schulden, inmitten einer Meute von Gläubigern, die von Tag zu Tag die Summen verschlangen, welche er durch gewisse schändliche Geschäfte erwarb. Während dieser Zeit brachen Unternehmungen zusammen, an welchen er betheiligt war, Abgründe thaten sich vor ihm auf, über die er hinwegspringen mußte, da er dieselben nicht auszufüllen vermochte. So wandelte er auf einem unterhöhlten Boden dahin, in einer unablässigen Krise, bezahlte Rechnungen über fünfzigtausend Francs und blieb seinem Kutscher den Lohn schuldig, trieb einen immer größeren Aufwand und fuhr fort, aus dieser leeren Kasse einen Goldstrom hervorzuzaubern, der über Paris niederging.
Für die Spekulation war damals eine böse Zeit angebrochen. Saccard war ein würdiger Zögling des Stadthauses. Er hatte sich rasch anzubequemen, dem Genuß mit fieberhafter Hast nachzujagen und das Geld blindlings zum Fenster hinauszuwerfen verstanden, wie das damals in Paris an der Tagesordnung war. Gleich der Stadt befand auch er sich momentan angesichts eines Defizits, welches insgeheim gedeckt werden mußte, denn von Zurückhaltung, Sparsamkeit, der ruhigen Existenz eines Spießbürgers wollte er nichts wissen. Er zog es vor, bei dem zwecklosen Luxus und dem wahren Elend dieser neuen Straßenzüge zu bleiben, aus welchen er sein kolossales Vermögen geschöpft, das jeden Morgen sich einfand, um am Abend wieder zu verschwinden. Von Abenteuer zu Abenteuer gleitend, besaß er nichts weiter, als die vergoldete Außenhülle eines nicht vorhandenen Kapitals. Zu dieser Epoche der Spekulationswuth setzte Paris selbst seine Zukunft nicht mit größerer Begeisterung auf's Spiel, schritt es nicht dreister und kühner von einer Dummheit und finanziellen Prellerei zur anderen. Die Abrechnung drohte eine schreckliche zu werden.
Die schönsten Spekulationen wurden in den Händen Saccard's zunichte. Er hatte, wie er selbst berichtete, bedeutende Börsenverluste erlitten. Herr Toutin-Laroche hatte den mißlungenen Versuch gemacht, den Crédit Viticole durch ein Spiel á la hausse in die Höhe zu bringen; doch war die Sache recht kläglich ausgefallen und nur dank der Regierung, die insgeheim sich der Angelegenheit annahm, konnte die Maschine zur Gewährung von hypothekarischen Darlehen für Weingartenbesitzer in Gang erhalten bleiben. Saccard, den dieser doppelte Streich gewaltig erschüttert hatte und den sein Bruder, der Minister hart bedrängte, weil die Delegationsbons der Stadt durch die des Crédit Viticole kompromittirt und der Gefahr des Werthverlustes ausgesetzt waren, war in seinen Spekulationen mit Häusern und Liegenschaften noch unglücklicher. Die Herren Mignon und Charrier hatten sich von ihm gänzlich zurückgezogen. Er klagte sie an, weil er von dumpfem Zorn darüber erfüllt war, daß er einen schweren Mißgriff begangen, als er auf seinen Grundstücken Prachtbauten aufführen ließ, während jene ruhig fortfuhren, ihre Parzellen zu verkaufen. Während jene ein beträchtliches und thatsächlich vorhandenes Vermögen erwarben, blieben ihm seine Häuser auf dem Halse und er vermochte dieselben häufig nur mit Verlust loszuschlagen. Unter Anderem verkaufte er in der Rue de Marignan für dreihunderttausend Francs ein Haus, auf welches er selbst noch dreihundertachtzigtausend Francs schuldig war. Allerdings hatte er einen Kniff nach seiner Art angewendet, welcher darin bestand, daß er zehntausend Francs für eine Wohnung verlangte, die höchstens achttausend Francs werth war; der entsetzte Miether aber unterfertigte den Kontrakt erst, als der Eigenthümer einwilligte, ihm den Aufschlag für die ersten zwei Jahre zu schenken. Die Wohnung war demnach nur nach ihrem tatsächlichen Werthe vermiethet; der Kontrakt aber sprach von jährlichen zehntausend Francs und wenn Saccard endlich einen Käufer fand und das Erträgniß des Hauses kapitalisirte, so gelangte er zu einem fabelhaften Ergebniß. Im Großen konnte er diesen Kniff aber nicht ausführen, da er seine Häuser nicht zu vermiethen vermochte. Er hatte dieselben zu früh erbaut; die Trümmer, welche dieselben umgaben, die Kothmassen, welche sich im Winter daselbst anhäuften, schadeten ihnen beträchtlich. Was ihn aber am empfindlichsten traf, war die derbe Schurkerei der Herren Mignon und Charrier, die ihm das Hôtel abkauften, dessen Bau er auf dem Boulevard Malesherbes unterbrechen mußte. Die Unternehmer waren endlich von der Lust erfaßt worden, auf »ihrem« Boulevard zu wohnen. Als sie die ihnen gehörigen Baustellen zu den möglichst hohen Preisen verkauft hatten und die mißliche Situation witterten, in die ihr ehemaliger Verbündeter gerathen, machten sie sich erbötig, ihm den Grund abzukaufen, auf welchem sich das bis zum ersten Stock gediehene Hotel befand, dessen Eisenträger theilweise auch schon angebracht waren. Die Schlauköpfe aber behandelten den solid ausgeführten Unterbau als werthlose Gipsmasse und sagten sogar, ihnen wäre der nackte Boden lieber gewesen, um daselbst nach eigenem Geschmack bauen zu können. Und Saccard mußte verkaufen, ohne für die bereits verausgabten hundert und etliche tausend Francs irgend welchen Ersatz zu erhalten. Was ihn aber noch mehr erbitterte, war, daß diese Unternehmer den Grund nicht zu dem bei der Theilung festgesetzten Preise von zweihundertfünfzig Francs für den Quadratmeter zurückkaufen wollten, sondern bei jedem Meter fünfundzwanzig Francs abdrückten. Und zwei Tage später mußte Saccard zu seinem größten Schmerze sehen, daß eine Armee von Arbeitern die Gerüste des unterbrochenen Baues überschwemmte, um auf der »werthlosen Gipsmasse« lustig weiterzubauen.
Er stellte sich seiner Frau als der in Geldnöthen steckende Finanzmann daher mit umso größerem Geschick dar, als sich seine Geschäfte immer mehr verwirrten. Er war nicht der Mann dazu, um nur der Wahrheit zu Liebe wahr zu sprechen.
»Wenn Sie sich in Verlegenheit befinden,« sprach Renée zweifelnden Tones, »wozu haben Sie mir dann dieses Halsband und Diadem gekauft, welches Ihnen wie ich glaube, auf fünfundsechszigtausend Francs zu stehen kam? ... Ich habe keine Verwendung für diesen Schmuck und möchte Sie daher um die Erlaubniß bitten, mich desselben zu entledigen, um Worms eine Anzahlung leisten zu können.«
»Thun Sie das ja nicht!« rief er beunruhigt aus. »Wenn man morgen auf dem Ball des Ministers diese Schmucksachen nicht an Ihnen sehen würde, so gäbe es allerlei Geschwätz über meine Situation ...«
Er war heute besonders umgänglich und indem er mit den Augen zwinkerte, fügte er leiser und mit einem Lächeln hinzu:
»Wir Spekulanten, meine liebe Freundin, gleichen schönen Frauen, – wir haben unsere Kunstgriffe... Behalten Sie, bitte, mir zu Liebe Ihr Diadem und Ihr Halsband.«
Er konnte doch nicht die Geschichte erzählen, die allerdings sehr niedlich, aber nicht salonfähig war. Nach einem gemeinsam eingenommenen Souper hatten Saccard und Laura d'Aurigny ein Uebereinkommen getroffen. Laura war tief verschuldet und wünschte nichts sehnlicher, als einen gutmüthigen jungen Mann zu finden, der sie entführen und nach London bringen wollte. Saccard fühlte den Boden unter sich wanken; seine erschöpfte Phantasie suchte nach einem Mittel, um der Welt zu zeigen, daß er sich nach wie vor in Gold und Silber wälze. Halb trunken beim Dessert sitzend, verständigten sich die Dirne und der Spekulant