Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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des jungen, Mädchens gelegt und sah ihr traurig in das leichtfertig lächelnde Gesicht.

      »Arme Thea!« sagte er leise ... »...arme Thea! ... Sie wissen nicht, wohin Sie fahren! Mög' es Ihnen so gut wie möglich ergehen! Es tut mir von Herzen leid, daß ich Sie nicht zurückhalten darf!«

      Sie lachte mutwillig auf. »Sehen Sie ... da scheiden wir doch noch als gute Freunde! ... Und nun ...« sie nestelte an den Knöpfen seines Rockes und sah mit strahlenden Augen zu ihm empor ... »...nun gestehen Sie mir zum Abschied: Sie danken ja innerlich Ihrem Schöpfer, daß Sie mich Hurlebusch nicht ins Haus bekommen haben mit all dem Aerger drum und dran ...«

      Ein leises Zucken ging durch den Zug. »Mein Herr ... ich muß dringend bitten ...« Der Schaffner öffnete die Wagentür und ließ den alten Herrn samt dem wackeligen Diener hinaussteigen.

      Thea schob das Fenster herunter. »Ich schreib' Ihnen einmal aus Berlin, wie mir's geht!« rief sie ... »...und meinem Onkel sagen Sie, die Flucht wäre mir bis jetzt ganz ausgezeichnet bekommen!«

      Der Zug glitt aus der Halle. Sie mußte den Kopf hereinziehen. Sich in dem Sessel zurückwerfend, schaute sie ihr Gegenüber an, und beide lachten unwillkürlich hell auf.

      »Sind noch mehr Garnisonen unterwegs alarmiert, mein gnädiges Fräulein?« scherzte der Ex-Husar.

      »Möglich wär's schon!« seufzte sie empört ... »...das nennt man eine Reise mit Hindernissen!«

      »Schneidig genommene Hindernisse! Und im Notfalle steh' ich im Hintergrund. Wenn eine unbefugte Dienerfaust Ihre Koffer anrührt ... Tritt vor den Leib! Ab nach Kassel! ...«

      Der Kellner servierte den Kaffee. »Ich habe mir nämlich erlaubt, gleich zwei Porttonen zu bestellen!« bemerkte der kleine Sportsman bescheiden .... »Nach all den Aufregungen..« »Danke. Ja.« Sie führte vergnügt die Tasse zum Mund. »Das heißt ...« Ihr Gesicht wurde ernster, als sie die Schale wieder absetzte ... »...Ich bin Ihnen doch eigentlich wohl eine Aufklärung schuldig ... Sie haben da plötzlich einen Einblick in meine Familie und meine Angelegenheiten gewonnen ...«

      Er hielt es an der Zeit, sich vorzustellen, und reichte ihr, sich erhebend, mit schweigender Verbeugung seine Visitenkarte. Auf der stand freilich auch noch seine militärische Würde verzeichnet. Aber darauf kam es ja auch in diesem Augenblicke nicht an.

      Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt und gab es ihm wieder. »Sie müssen ja allerhand denken, Herr Leutnant,« sagte sie, und es berührte ihn, während er sich setzte, ganz eigen, noch einmal, zum letztenmal, gerade von diesen roten Lippen als Leutnant angeredet zu werden ... »...aber eigentlich ist die Geschichte ganz einfach. Ich war jetzt ein Jahr bei Verwandten in Posen und fahre, allerdings gegen deren Willen, zu meinem Vater, dem Kammerherrn und Rittergutsbesitzer Freiherrn von Hoffäcker zurück.«

      Er verbeugte sich nochmals, um für ihre Vorstellung zu danken, und goß ihr das Kaffeetäßchen halbvoll.

      »Das heißt ... eigentlich ...« fuhr sie fort ... »...das Rittergut hat er verkauft ... vor einem Jahr. Das war auch besser bei der jetzigen Notlage der Landwirtschaft.«

      Er lächelte über den heiligen Ernst, mit dem sie das große Schlagwort des Tages aussprach. »Gewiß,« sagte er, ... »ein Kammerherr hat ja in Berlin auch zuzeiten seinen Dienst!«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Preußischer Kammerherr ist Papa nicht. In Rhena ... bei dem alten Herzog! Es ist ja eine kleine Residenz ... so lustig wir auch da gelebt haben ... Papa ist schon lange verwitwet ... wissen Sie ... und da ging es oft ein bißchen bunt bei uns zu ... – nun ... und der Herzog ist recht kränklich geworden. Da entschloß sich Papa, Rhena zu verlassen, ging erst auf Reisen und lebt jetzt in Berlin.«

      »Ich gehe jetzt auch auf einige Zeit nach Berlin!« sagte Georg.

      Sie lachte. »Das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen! Das hab' ich Ihnen auf den ersten Blick angesehen, daß Sie ein Kavallerieleutnant sind, der nach Berlin bummeln fährt ...«

      »Also so unsolide sehe ich immer noch aus?« fragte der kleine Sportsman bekümmert.

      Sie prüfte ihn und nickte dann. »Ehrlich gesagt: Ja. Recht unsolide! Aber was macht denn das? Ich nehm' es keinem Mann übel, wenn er sein Dasein genießt. Wir freilich ... manchmal wünsch' ich mir, ich wäre ein Mann! Aber dann sage ich mir wieder: Gute Thea ... dann wärest du ja ein solcher Bummelfritze geworden, daß es mit dir kein gutes Ende nehmen kann! Bleib' du, was du bist ... 's ist besser! ... Und nun lachen Sie nicht, sondern stecken Sie sich eine Zigarette an. Danach sehnen Sie sich ja doch schon die ganze Zeit!«

      Er tat es, unter der Bedingung, daß sie einen Schluck Kognak in ihren Kaffee nehme. Das müsse so sein ... nach einer nächtlichen Eisenbahnfahrt. Sie ließ es geschehen. »Wie das wärmt!« sagte sie, sich behaglich schüttelnd, und gab ihm sein Fläschchen zurück.

      Er fand das auch. In lichtroten Strahlen fiel die Morgensonne auf den sauber gedeckten, kleinen Frühstückstisch. Unter ihm rasselten die eilfertigen Räder, die Sommerlandschaft draußen flog in blühender Pracht vorbei, der Kaffee dampfte, die Zigarettenwölkchen kräuselten sich darüber – und ihm gegenüber saß in dem behaglichen, glashellen Kämmerchen die schöne, seelenvergnügte Nachbarin – welch eine Torheit, diese Welt zu verlassen!

      Wenn er nun den Leuten in der Garnison den Gefallen getan hätte! Dann mochte ihn jetzt wohl der Bursche finden ... lang auf dem Boden ausgestreckt ... mit geballten Fäusten und offenem Mund ... und Blut ringsum ... und Hirn, und in den Ecken kalter, stinkender Pulverqualm ... äh ... pfui! ... Georg Textor streifte die Asche von der Zigarette und sah hinaus zu dem blauen, warmen Himmel, an dem in dunklen Punkten die Lerchen sich jubilierend schwangen.

      »Was machen Sie denn für ein ernstes Gesicht, Herr Leutnant?« fragte sie über den Tisch herüber.

      Er wich ihrem Blick aus. »0h ... ich dachte nur an etwas!«

      »Denken Sie nicht zuviel!« lachte sie ... »wofür sind Sie denn Husarenoffizier!« Sie hatte den Kopf etwas vorgeneigt, um ihm im Lärm des Wagens die kleine Bosheit mitzuteilen. Auch er beugte sich nach vorn. Ihre Stirnen berührten sich fast, während sie so im Sonnenschein dasaßen und sich allerhand harmlosen Unsinn mit ernster Miene erzählten. Namentlich der alte Regierungsrat und sein trübseliger Diener wurden im Laufe ihrer gegenseitigen Schilderungen zu wahrhaft ungeheuerlichen Figuren. Und dann lehnten sich die beiden wieder zurück und lachten hell auf, daß die verschlafenen, verdrießlichen Reisenden nebenan das lustige Paar beneideten. Unter ihnen aber donnerten die Räder ihr einförmiges »Rattata«, die Landschaft draußen flog vorbei, in rastlosem Laufe näherte sich der Eilzug Berlin ...

      Aus der Ferne winkten die Rennplätze von Hoppegarten und Karlshorst mit den Villen der Sportsmen, den Boxes und Häuschen der Trainer ... Vorbei an Friedrichshagen ... schon ragt da und dort aus dem flachen Ackerland der mächtige Bau einer Mietskaserne, aus dem Gewimmel schmutziger Fabrikdächer heben sich die ersten Schornsteine zu dem sich mehr und mehr umwölkenden Himmel. Windschiefe Bauernhütten, die des Abbruchs harren, säumen, von Nutzgärten umrahmt, den Bahnkörper, zwischen ihnen, sie fast mit ihrer Masse erdrückend, die Kolosse der Zinshäuser. Größer und größer wird ihre Zahl, sie schließen sich zu endlosen, einförmigen Straßen aneinander, die Fabriken rücken zusammen. Ueberall dehnen sich die schmutzigen Lagerplätze, die Bauflächen, die düstern Höfe. Ein Gewirr grauer Mauern, grauer Dächer, geschwärzter Schornsteine, erblindeter Fenster ringsumher, dazwischen in widrigem, schreiendem Kontrast die bunten Riesenflächen der Reklame-Plakate an fensterlosen Brandmauern. Die Sonne war hinter Wolken geschwunden. Farblos sah alles in der nüchternen, frostigen Morgenluft aus. Häuser und immer wieder Häuser, seelenlose, charakterlose Heimstätten für dunkle, unbekannte Massen, Bahnhöfe und Kasernen, Fabriken mit rauchigen Maschinensälen und ölig spiegelnden Tümpeln im Hof, halb unterirdische Grünkramkeller, zerschlissene Wäsche und dumpfiges Bettzeug an den Fenstern der Hinterhäuser, und auf den Straßen überall ein schwarzes Gewimmel, das hier die sich schwerfällig öffnenden Fabriktore, dort mit emporrollenden Holzjalousien die Kaufläden, da wieder die Lattenzäune der Neubauten verschlangen. »Arbeit! Arbeit!« schien es rastlos im Rollen des Zuges aus dieser grauen Welt zu


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