Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
mit einem starren Blick guckte er die Karte an. Ein Zorn gegen dieses Stück Papier erfüllte ihn, ein Zorn, in den sich ein seltsames, banges Gefühl einmischte. Diese Geschichte war zu dumm. Er ergriff eine herumliegende Nagelschere und stieß damit mitten in den gedruckten Namen, als ob er ihn damit erdolchen wolle. Also, er sollte sich schlagen, und zwar mit Pistolen. Warum hatte er nicht den Degen gewählt? Er wäre dann auf alle Fälle mit einer leichten Verwundung davongekommen, während man bei einer Pistole nie im voraus wissen konnte.
»Ich muß fest bleiben«, sagte er.
Der Klang seiner Stimme erschreckte ihn, und er blickte sich um. Er trank ein Glas Wasser und ging zu Bett. Er löschte das Licht und schloß die Augen.
Er konnte nicht einschlafen, es war ihm heiß unter seiner Decke, obwohl es im Zimmer sehr kalt war.
Er hatte Durst.
»Sollte ich mich etwa fürchten?« dachte er, indem er aufstand, um Wasser zu trinken.
Warum klopfte sein Herz so wild bei jedem bekannten Geräusch in seinem Zimmer? Wenn seine Kuckucksuhr schlug, fuhr er beim leisen Knarren der Feder jedesmal zusammen; er fühlte sich beengt und mußte ein paar Augenblicke den Mund öffnen, um Luft zu bekommen.
»Sollte ich Angst haben?« begann er zu philosophieren.
Nein, sicher hatte er keine Angst, denn er war entschlossen, bis zum Ende zu gehen, da er den festen Willen hatte, zu kämpfen ohne zu zittern. Aber er fühlte sich so tief erregt, daß er sich fragte: »Kann man trotz seines Willens Angst haben?« Und dieser Zweifel, diese schreckliche Befürchtung ergriff ihn. Wenn diese Macht stärker als sein Wille war, ihn gewaltig und unwiderstehlich lähmte, was würde dann geschehen? Ja, was konnte dann passieren?
Sicher würde er auf den Kampfplatz gehen, weil er das wollte. Aber wenn er zittern würde? Wenn er besinnungslos würde?
Und er dachte über seine Stellung, über seinen Ruf, über seine Zukunft nach.
Und ein merkwürdiges Verlangen, aufzustehen und in den Spiegel zu schauen, überkam ihn. Er zündete das Licht an. Als er sich in dem Spiegel beobachtete, kam er sich ganz fremd vor, und es war ihm; als hätte er sich nie gesehen. Seine Augen kamen ihm riesig vor und er war blaß, blaß, sicher sehr blaß.
Blitzschnell ging ihm ein Gedanke durch den Kopf: »Morgen um diese Zeit bin ich vielleicht schon eine Leiche!« Und sein Herz begann rasend zu klopfen.
Er ging zu seinem Bett und sah sich, auf dem Rücken liegend, unter derselben Decke, die er eben verlassen hatte. Er hatte das hohle Gesicht eines Toten und seine Hände lagen weiß und unbeweglich da.
Eine Furcht vor seinem Bett ergriff ihn und, um es nicht mehr zu sehen, öffnete er das Fenster und guckte hinaus. Die kalte Nachtluft ließ seinen ganzen Körper zittern und schwer atmend wich er vom Fenster zurück.
Es fiel ihm ein, Feuer zu machen. Er schürte es langsam an, ohne sich umzudrehen. Seine Hände zitterten nervös, wenn er einen Gegenstand anfaßte. Sein Kopf brannte, seine Gedanken waren schmerzhaft und verworren. Er fühlte sich berauscht, als ob er Wein getrunken hätte, und immerfort fragte er sich: »Was soll ich tun? Was soll aus mir werden?«
Er begann wieder auf und ab zu gehen, ununterbrochen, mechanisch.
»Ich muß energisch sein, sehr energisch.«
Dann sagte er sich: »Ich muß an meine Eltern schreiben, für den Fall, daß mir etwas passiert.«
Er setzte sich wieder hin, nahm einen Bogen Papier und schrieb. »Lieber Papa, liebe Mama …«
Aber diese einfache Anrede fand er zu vertraulich, bei einem so tragischen Vorfall. Er zerriß das erste Blatt und begann von neuem:
»Mein lieber Vater, meine liebe Mutter. Mit Tagesanbruch habe ich ein Duell, und da es geschehen kann, daß …«
Hastig stand er auf und traute sich nicht weiter zu schreiben.
Dieser Gedanke zerschmetterte ihn: »Ich werde ein Duell haben.« Es war unvermeidlich. Was ging nun in ihm vor? Er wollte sich schlagen; diese Absicht war fest; und trotzdem schien es ihm, als hätte er nicht einmal so viel Willenskraft, um zum Kampfplatz zu gehen. Von Zeit zu Zeit klapperten seine Zähne mit leisem, hartem Geräusch und er fragte sich: »Ob mein Gegner schon ein Duell gehabt hat? Ist er ein guter Schütze? Ist er als solcher bekannt und geschätzt?« Er hatte nie seinen Namen gehört. Aber wenn dieser Mann kein guter Pistolenschütze wäre, würde er kaum ohne weiteres, so ohne jedes Zaudern diese gefährliche Waffe annehmen.
Dann malte sich Duroy ihr Zusammentreffen aus, die Haltung seines Gegners und seine eigene. Er zermarterte sich das Gehirn mit den geringsten Einzelheiten des Kampfes, und plötzlich sah er vor seinem Gesicht das kleine schwarze Loch des Pistolenlaufes, aus dem die Kugel kommen würde.
Und plötzlich ergriff ihn eine furchtbare Angst, er bekam einen Anfall wilder Verzweiflung. Sein ganzer Körper zitterte und bebte. Er preßte die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Er hatte ein Bedürfnis, sich auf der Erde zu wälzen, etwas zu beißen, zu vernichten.
Er bemerkte plötzlich ein Glas auf seinem Kamin, und es fiel ihm ein, daß er in seinem Schranke eine fast volle Flasche Schnaps stehen hatte, denn noch von seiner Soldatenzeit her hatte er die Gewohnheit, jeden Morgen ein Gläschen zu trinken.
Er ergriff die Flasche, setzte sie an den Mund und trank gierig, in langen Zügen. Er stellte sie erst hin, als ihm der Atem ausblieb. Sie war zum Drittel leer. Eine glühende Hitze verbrannte ihm plötzlich den Magen, ergoß sich durch seine Glieder, und durch die Betäubung bekam er neuen Mut.
»Das ist das richtige Mittel«, sagte er sich. Und da ihm sehr warm wurde, öffnete er das Fenster.
Der Tag graute still und kalt. Die Sterne schienen zu sterben und in dem tiefen Eisenbahneinschnitt verblichen die grünen, roten und weißen Signallichter. Die ersten Lokomotiven verließen den Schuppen und fuhren pfeifend davon, um die ersten Züge zu holen. Die anderen pfiffen grell in der Ferne, wiederholten ihren Morgenruf, wie die Hähne auf dem Lande.
»Ich werde vielleicht das alles nicht mehr sehen«, dachte Duroy. Nun fühlte er, daß er von neuem weich wurde. Da nahm er sich mit Gewalt zusammen. »Ich darf an nichts denken bis zum Moment der Begegnung. Das ist das einzige Mittel, um den Mut nicht zu verlieren.«
Er begann sich anzukleiden. Beim Rasieren guckte er in den Spiegel, und es überkam ihn nochmals eine Schwäche, als er daran dachte, daß er vielleicht zum letzten Male sein Gesicht sähe.
Da trank er einen Schluck aus der Flasche und zog sich schnell an.
Es fiel ihm sehr schwer, über die nächste Stunde hinwegzukommen. Er ging auf und ab durch das Zimmer und zwang sich mit Gewalt zur äußeren Ruhe und Kaltblütigkeit. Als er an seiner Tür klopfen hörte, wäre er fast auf den Rücken gefallen, so heftig fuhr er vor Schreck zusammen. Das waren seine Zeugen. Also, es war Zeit.
Sie waren in Pelze gehüllt. Rival drückte seinem Klienten die Hand und erklärte:
»Es ist eine sibirische Kälte. Geht es gut?« fragte er.
»Ja, sehr gut.«
»Sind Sie ruhig?«
»Ja, sehr ruhig.«
»Also, es wird schon gehen. Haben Sie etwas getrunken und gegessen?«
»Ja, ich brauche nichts mehr.«
Für das Ereignis hatte sich Boisrenard ein gelb-grünes ausländisches Ordensbändchen angelegt, das Duroy noch nie bei ihm gesehen hatte. Sie gingen hinunter.
In dem Landauer saß ein Herr und wartete auf sie. Rival stellte vor:
»Doktor Le Brument.«
»Ich danke«, murmelte Duroy und drückte ihm die Hand.
Dann wollte er sich auf die Vorderbank setzen, aber er fühlte etwas Hartes. Das war der Pistolenkasten, wie er zu seinem Entsetzen bemerkte.
»Nein, nein, der