Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Sekundanten eingestiegen waren, fuhr der Kutscher los. Er wußte schon, wohin er fahren sollte.
Aber die Pistolenkiste belästigte alle, am meisten Duroy, der sie lieber nicht gesehen hätte. Man versuchte, sie hinter die Rücken zu stellen, sie störte aber furchtbar; dann stellte man sie zwischen Rival und Boisrenard — sie fiel immer runter. Schließlich legte man sie auf den Boden.
Die Fahrt verlief sehr eintönig, obgleich der Arzt Anekdoten erzählte. Rival antwortete allein darauf, Duroy hätte gern Geistesgegenwart gezeigt, er fürchtete aber, aus der Rolle zu fallen und seine Aufregung zu verraten; ihn quälte die Angst, er könnte zu zittern beginnen.
Der Wägen hatte bald freies Feld erreicht. Es war gegen neun Uhr früh an einem jener rauhen Wintermorgen, wo die ganze Natur glänzend, hart und spröde ist wie ein Kristall. Die Bäume im Rauhreif sahen aus, als ob sie Eis geschwitzt hätten; der Boden dröhnte unter den Schritten. Die trockene Luft trug weit die leisesten Geräusche, und der blaue Himmel funkelte wie ein Spiegel. Die Sonne warf auf die erfrorene Erde ihre hellen Strahlen, die nicht zu wärmen vermochten.
Rival sagte zu Duroy:
»Ich habe die Pistolen bei Gastine Renette gekauft. Er hat sie selbst geladen; der Kasten ist versiegelt. Übrigens wird das Los entscheiden, ob diese oder die unseres Gegners benutzt werden.«
Duroy antwortete mechanisch:
»Ich danke Ihnen.«
Dann gab Rival Instruktionen bis ins kleinste, denn sein Schutzbefohlener sollte in keinem Falle irgendeinen Fehler begehen. Alles, was er sagte, wiederholte er dabei mehrere Male.
»Wenn gefragt wird: Sind Sie fertig, meine Herren? so müssen Sie mit lauter Stimme antworten: Ja!
Beim Kommando ‘Feuer!’ heben Sie rasch den Arm und schießen, ehe bis drei gezählt wird.«
Duroy wiederholte es in Gedanken:
»Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm. — Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm. — Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm.« —
Er lernte es auswendig, wie Schulkinder ihre Aufgaben lernen, indem sie dieselben bis zur Bewußtlosigkeit vor sich hinsprechen, um sie recht fest dem Gedächtnis einzuprägen.
Der Wagen kam in einen Wald, bog nach rechts in eine Allee ein und dann wieder nach rechts. Plötzlich öffnete Rival die Wagentür und rief dem Kutscher zu:
»Dort den kleinen Weg hinein.«
Nun fuhr der Wagen auf einem Weg mit zwei tiefen Gleisen, der rechts und links von einem dichten Unterholz umgeben war, dessen altes, vorjähriges Laub von Eis bedeckt war und zitterte.
Duroy murmelte immer noch: »Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm.« Und er dachte, daß irgendein Unfall mit dem Wagen vielleicht noch alles gutmachen könnte. Wie gern hätte er ihn umgeworfen! Welches Glück, wenn er sich ein Bein bräche!
Doch Duroy bemerkte bald am Ende einer Lichtung einen anderen Wagen, der dort hielt, und vier Herren, die auf und ab gingen, um sich die Füße zu wärmen.
Er mußte seinen Mund auf tun, so schwer wurde ihm das Atmen.
Die Sekundanten stiegen zuerst aus, dann der Arzt und zuletzt der Duellant. Rival nahm den Pistolenkasten und schritt mit Boisrenard den beiden Fremden entgegen, die auf sie zukamen. Duroy sah, wie sie sich etwas feierlich begrüßten, dann in der Lichtung auf und ab gingen und bald auf den Boden, bald zu den Bäumen hinauf blickten, als suchten sie etwas, was fallen oder fortfliegen könnte. Dann zählten sie die Schritte ab und stießen mit großer Mühe ein paar Stöcke in die gefrorene Erde. Dann traten sie zu einer Gruppe zusammen und losten »Kopf oder Schrift« wie spielende Kinder.
Der Doktor Le Brument fragte Duroy:
»Fühlen Sie sich wohl? Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
»Nein, ich brauche nichts. Danke sehr.«
Es war ihm, als sei er verrückt geworden, als schliefe, als träumte er, und etwas Übernatürliches sei über ihn gekommen und umgäbe ihn.
Hatte er Furcht? Vielleicht! Er wußte es nicht.
Alles war so seltsam und eigenartig um ihn herum geworden.
Jaques Rival kam zurück und sagte zu ihm leise mit befriedigter Stimme:
»Alles ist fertig. Wir haben Glück mit unseren Pistolen.«
Duroy war das völlig gleichgültig.
Man zog ihm den Mantel aus. Er ließ es geschehen. Man befühlte ihm die Gehrocktaschen, um sich zu vergewissern, daß er kein Papier oder eine schützende Brieftasche darin trüge.
Er wiederholte für sich wie ein Gebet: »Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm.«
Nun führte man ihn zu einem der Stöcke, die in den Boden gebohrt waren und gab ihm eine Pistole in die Hand. Da sah er dicht vor sich einen Menschen stehen, einen kleinen, kahlköpfigen, dickbäuchigen Mann mit einer Brille. Das war sein Gegner. Er sah ihn ganz deutlich; doch er dachte nur an das eine: »Bei dem Kommando ‘Feuer’ hebe ich den Arm und schieße.« Eine Stimme ertönte in der tiefen Stille, eine Stimme, die ganz aus der Ferne zu kommen schien:
»Sind Sie fertig, meine Herren?«
Georges rief:
»Ja.«
Darauf kommandierte dieselbe Stimme:
»Feuer!«
Er hörte nichts mehr, er sah nichts mehr, er überlegte nichts mehr. Er fühlte nur, wie er den Arm erhob und mit aller Kraft auf den Hahn drückte.
Er hörte nichts, aber er sah sofort an der Mündung seines Pistolenlaufes eine leichte Rauchwolke. Und da der Mann ihm gegenüber noch in derselben Haltung stehenblieb, so erblickte er über dem Kopf des Gegners eine zweite kleine Rauchwolke.
Sie hatten alle beide geschossen. Es war aus.
Seine Sekundanten befühlten und betasteten ihn, knöpften ihm den Rock auf und fragten ängstlich:
»Sind Sie nicht verwundet?«
Er antwortete auf gut Glück:
»Nein, ich glaube nicht!«
Übrigens war Langremont ebenso unverletzt wie sein Gegner, und Jaques Rival murmelte in sehr mißvergnügtem Ton:
»Mit diesen verfluchten Pistolen ist es immer dieselbe Geschichte: man knallt vorbei oder schießt sich tot. Ein ekelhaftes Zeug.«
Duroy rührte sich nicht. Er war erstarrt vor freudiger Überraschung: Alles war vorüber. Man mußte ihm die Waffe abnehmen, die er noch fest und krampfhaft in der Hand hielt. Jetzt war ihm zumute, als hätte er mit der ganzen Welt gekämpft. Es war vorüber! Welches Glück! Er fühlte sich plötzlich so tapfer, daß er am liebsten noch jemanden gefordert hätte.
Die Sekundanten hatten noch eine Besprechung. Sie verabredeten eine Zusammenkunft, um das Protokoll aufzunehmen. Dann stieg man wieder in den Wagen, und der Kutscher, der auf dem Bock lachte, knallte mit der Peitsche und fuhr davon.
Sie frühstückten alle vier auf dem Boulevard und plauderten über das große Ereignis des Tages. Duroy schilderte seine Eindrücke:
»Es hat mir gar nichts gemacht, ganz und gar nichts. Sie müssen das auch übrigens bemerkt haben.«
Rival antwortete:
»Ja, Sie haben sich wacker gehalten.«
Als das Protokoll aufgenommen war, legte man es Duroy vor, damit er es in den Lokalnachrichten veröffentlichte. Er war sehr erstaunt, zu lesen, daß er zwei Kugeln mit Herrn Louis Langremont gewechselt hätte, und etwas beunruhigt fragte er Rival:
»Wir haben doch nur einmal geschossen?«
»Natürlich einmal,« lächelte der andere, »jeder eine Kugel, macht zwei Kugeln.«
Und Duroy, der