Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
mich, im Namen Gottes, retten Sie mich!«
Sie hielt ihn an seinem schwarzen Priesterrock fest, damit er nicht fort konnte und er blickte unruhig nach allen Seiten, ob nicht irgendein übelwollendes oder zu frommes Auge die Frau zu seinen Füßen sehen konnte. Da er schließlich einsah, daß er sie nicht los würde, sagte er:
»Stehen Sie auf, ich habe zum Glück den Schlüssel zum Beichtstuhl bei mir.«
Er wühlte in seiner Tasche und zog einen Ring mit einer Menge Schlüssel daran heraus. Er suchte einen davon heraus und ging mit schnellem Schritt zu einer kleinen Holzhütte, in welcher die Frommen ihre Seelen von allen Sünden entlasten. Er trat durch die Mitteltür herein und schloß hinter sich ab, während Frau Walter sich in dem schmalen Seitenteil niederwarf und leidenschaftlich und inbrünstig stammelte:
»Segnen Sie mich, mein Vater, denn ich habe gesündigt.«
Du Roy hatte einen Gang um den Chor gemacht und schritt nun das linke Seitenschiff hinunter. Er war gerade in der Mitte, als er dem dicken, kahlköpfigen Herrn begegnete, der immer noch im langsamen, gemessenen Schritt auf und ab wanderte. »Was mag dieser Sonderling hier zu suchen haben?« fragte sich der junge Mann. Auch der Herr hatte seinen Schritt verlangsamt und blickte George:; an, mit dem sichtlichen Wunsch, mit ihm ein Gespräch anzufangen. Als er ganz nahe war, grüßte er und fragte sehr höflich:
»Ich bitte sehr um Verzeihung, aber könnten Sie mir vielleicht sagen, wann ist diese Kirche erbaut worden?«
»Wahrhaftig,« antwortete Du Roy, »ich weiß das leider nicht. Ich glaube so vor etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren. Übrigens bin ich zum ersten Male hier.«
»Ich auch. Ich habe sie noch nie gesehen.«
Nun fuhr der Journalist neugierig fort:
»Sie scheinen sie sehr sorgfältig zu besichtigten.«
Der andere erwiderte bedächtig:
»Nein, ich besichtige sie gar nicht, ich warte auf meine Frau, die ich hier treffen sollte, sie hat sich sehr verspätet.«
Er schwieg und nach einer kurzen Pause fuhr er fort:
»Es ist furchtbar heiß draußen.«
Du Roy betrachtete ihn, und fand, daß er recht anständig aussah; plötzlich kam es ihm vor, daß er eine Ähnlichkeit mit Forestier hatte.
»Sie sind aus der Provinz?« fragte er.
»Ja, ich komme aus Rennes. Und Sie, mein Herr, Sie sind wohl aus Neugier in diese Kirche gekommen?«
»Nein, ich warte auf eine Frau.«
Der Journalist grüßte ihn und ging lächelnd weiter. Er näherte sich dem Hauptportal und sah dieselbe arme Frau immer noch beten und knien. »O Gott,« dachte er, »die hat Ausdauer im Beten.« Er war nicht mehr gerührt und empfand mit dieser Armen auch kein Mitleid mehr.
Er ging vorbei und schritt langsam das rechte Seitenschiff hinauf, um Frau Walter abzuholen.
Von weitem spähte er nach der Stelle, wo er sie verlassen hatte und war sehr erstaunt, als er sie nicht mehr sah. Er glaubte, er hätte sich in dem Pfeiler getäuscht und ging bis zum letzten durch und kehrte wieder zurück. Also war sie doch fort. Wütend und überrascht blieb er stehen. Dann dachte er, daß sie ihn vielleicht suche, und ging noch einmal durch die ganze Kirche herum. Er fand sie nicht und setzte sich auf denselben Stuhl, vor dem sie gekniet hatte, in der Hoffnung, sie käme dorthin wieder; er wartete.
Bald erregte ein kaum hörbares Murmeln seine Aufmerksamkeit. In dieser Ecke der Kirche hatte er niemanden bemerkt. Woher kam dieses leise Geflüster? Er stand auf, um es herauszufinden und erblickte in der nächsten Seitenkapelle einen Beichtstuhl. Der Saum eines Kleides ragte aus ihm heraus. Er trat heran, um die Frau näher zu betrachten. Er erkannte sie. Er verspürte ein heftiges. Verlangen, sie an den Schultern zu packen und aus diesem Kasten herauszureißen. Dann aber dachte er: »Ach was, heute ist der Pfaffe an der Reihe und morgen ich.« Er setzte sich ruhig gegenüber den Beichtstühlen wieder hin und wartete ab. Und er begann, innerlich über das Abenteuer zu lachen.
Er wartete lange. Endlich erhob sich Frau Walter und wandte sich um. Sie sah ihn an, ging auf ihn zu und sagte mit ernstem und strengem Gesichtsausdruck: »Mein Herr, ich bitte, mich nicht zu begleiten, mir nicht zu folgen und auch nicht mehr allein mich zu besuchen. Sie würden nicht empfangen werden. Leben Sie wohl.«
Dann ging sie in würdiger Haltung fort. Er ließ sie gehen, denn es war sein Grundsatz, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Als nun der Priester etwas erregt aus seinem Versteck kam, ging er gerade auf ihn zu, sah ihm scharf ins Auge und knurrte ihn an:
»Wenn Sie nicht diesen langen Rock trügen, oh, welch hübsches Paar Maulschellen ich Ihnen auf Ihre ekelhafte Schnauze kleben würde.«
Dann machte er kehrt und kam pfeifend aus der Kirche heraus.
Im Portal stand der dicke Herr, den Hut auf dem Kopf, die Hände auf dem Rücken. Er schien des Wartens müde und spähte auf den weiten Platz und die Straßen, die sich dort kreuzten.
Als Du Roy an ihm vorbeiging, begrüßten sie sich.
Der Journalist hatte weiter nichts zu tun und so begab er sich auf die Redaktion der Vie Française. Schon beim Eintreten sah er an den erregten Gesichtern der Laufburschen, daß etwas Außergewöhnliches passiert sei und er trat ohne weiteres in das Zimmer des Chefs ein.
Der Vater Walter schien aufgeregt und diktierte stehend in abgehackten Sätzen einen Artikel. Zwischen den einzelnen Absätzen erteilte er den Reportern, die ihn umgaben, verschiedene Aufträge, gab Boisrenard einige Verhaltungsmaßregeln und riß Briefe auf.
Als Du Roy hereintrat, stieß der Chef einen Freudenschrei aus.
»Ah, Gott sei Dank, da ist Bel-Ami!«
Er stockte etwas verlegen, mitten im Satz und entschuldigte sich.
»Ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie so genannt habe, aber ich bin augenblicklich etwas aufgeregt durch all diese Geschichten. Und außerdem höre ich meine Frau und meine Töchter von morgens bis abends Sie nur Bel-Ami nennen, bis ich mir das schließlich selbst angewöhnt habe. Sie sind mir deshalb nicht etwa böse?«
Georges lachte:
»Aber keineswegs. Dieser Beiname hat nichts, was mir mißfallen könnte.«
Vater Walter fuhr fort:
»Dann werde ich Sie auch Bel-Ami nennen, wie es alle Welt tut. Also hören Sie zu: Es sind große Ereignisse geschehen. Das Ministerium ist bei einer Abstimmung von 310 gegen 102 Stimmen gestürzt. Unsere Ferien sind nun wieder verschoben, vertagt ad calendas graecas, und wir haben schon den 28. Juli, Spanien hat sich wegen Marokko aufgeregt und darüber sind Durand und seine Freunde gestürzt. Wir sitzen jetzt bis zum Hals im Dreck. Marrot hat den Auftrag erhalten, ein neues Kabinett zu bilden. Zum Kriegsminister nimmt er den General Bouton d’Acte und zum Auswärtigen unseren Freund Laroche-Mathieu. Er selbst behält das Portefeuille des Inneren und den Vorsitz im Ministerrat. Wir werden ein Regierungsblatt werden. Ich diktiere eben den Leitartikel, eine schlichte Erklärung unserer politischen Grundsätze, das den neuen Ministern die nötige Direktive geben soll.«
Der brave Mann lächelte und fuhr fort:
»Natürlich müssen es auch die Grundsätze sein, denen sie auch zu folgen gedenken. Aber ich brauche nun irgend etwas Interessantes, einen aktuellen Sensationsartikel über die marokkanische Frage. Ich weiß nicht genau was. Könnten Sie mir so etwas verschaffen?«
Du Roy dachte eine Sekunde nach, dann antwortete er:
»Ich habe das, was Sie suchen. Ich gebe Ihnen einen ausführlichen Bericht über die Lage unserer sämtlichen afrikanischen Kolonien, links Tunis, Algier in der Mitte und rechts Marokko. Ich erzähle über die Völkerstämme, die diese weiten Gebiete bewohnen und schildere eine Entdeckungsreise über die marokkanische Grenze bis an die große Oase Figuig, die bis jetzt kein Europäer betreten hat, und die die eigentliche Ursache des gegenwärtigen Konfliktes ist. Ist das Ihnen