Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Und Du Roy suchte nun in den alten Nummern der Vie Française seinen ersten Artikel, die Erinnerungen eines afrikanischen Jägers, heraus. Nun konnte er umgetauft, umgearbeitet und anders aufgesetzt, von Anfang bis zu Ende vortrefflich ausgewertet werden, denn es war darin die Rede von der Kolonialpolitik, von der Bevölkerung Algiers und von einer Reise in die Provinz Oran.
In dreiviertel Stunden wurde der Artikel umgemodelt, zurechtgemacht, auf die aktuellen Fragen zugespitzt und mit den nötigen Schmeicheleien für das neue Ministerium versehen.
Der Direktor las den Artikel und erklärte:
»Großartig … wundervoll … vorzüglich! Sie sind ein kostbarer Mann. Mein aufrichtiges Kompliment!«
Als Du Roy zum Essen nach Hause kam, war er, trotz seines Mißerfolges in der Trinitékirche, doch mit seinem Tage sehr zufrieden. Er fühlte übrigens, daß er auch diesen Kampf gewonnen hatte.
Seine Frau erwartete ihn in fieberhafter Aufregung, und als sie ihn erblickte, rief sie ihm sofort entgegen:
»Weißt du, daß Laroche-Mathieu Minister des Auswärtigen ist?«
»Jawohl, ich habe deshalb sogar einen Artikel über Algier geschrieben.«
»Was denn?«
»Du kennst ihn doch; den ersten, den wir zusammen geschrieben haben: ‘Die Erinnerungen des afrikanischen Jägers’, umgearbeitet und zurechtgemacht, entsprechend der heutigen Lage.«
Sie lächelte.
»Ach ja, der paßt sehr gut.««
Nach einem kurzen Nachsinnen setzte sie hinzu:
»Ich denke über die Fortsetzung nach, die du doch damals schreiben solltest und die du so … hast liegen lassen. Wir könnten uns eigentlich jetzt gleich daranmachen, das würde eine hübsche und sehr aktuelle Artikelserie geben.«
Er antwortete, indem er sich vor die Suppe hinsetzte:
»Vortrefflich, uns steht jetzt nichts mehr im Wege, da doch der arme betrogene Ehemann Forestier tot ist.«
Sie erwiderte in einem harten beleidigten Ton:
»Diese Art Witze sind mehr als unpassend, und ich möchte dich bitten, damit endlich Schluß zu machen. Ich habe es lange genug angehört.«
Er war gerade im Begriff, mit einer ironischen Bemerkung zu antworten, als man ihm ein Telegramm, brachte, das ohne Unterschrift nur die Worte enthielt: »Ich habe den Kopf verloren, verzeihen Sie mir und kommen Sie morgen um vier Uhr nach dem Park Monceau.« Nun verstand er die Sache. Er war freudig erregt und sagte zu seiner Frau, indem er das blaue Papierchen in die Tasche gleiten ließ:
»Ich werde es nicht mehr tun, mein Liebling, es war dumm, ich sehe es ein.«
Und er begann zu essen.
Während der Mahlzeit wiederholte er sich immerfort die Worte: »Ich habe den Kopf verloren. Verzeihen Sie mir und kommen Sie morgen um vier Uhr nach dem Park Monceau.« Also sie gab nach, das hießt mit anderen Worten: »Ich ergebe mich. Ich gehöre Ihnen. Wo und wann Sie wollen.«
Er begann zu lachen. Madeleine fragte:
»Was hast du?«
»Nichts Besonderes, ich dachte an einen Pfaffen, den ich vorher getroffen hatte und der eine so komische Fratze hatte.«
Du Roy erschien tags darauf pünktlich zu seinem Rendezvous. Auf den Bänken saßen Bürger, die von der Hitze erschöpft waren. Ein paar stumpfsinnige Kindermädchen schlummerten, während die Kinder im Sande spielten und sich herumwälzten.
Er traf Frau Walter in der kleinen alten Ruine, wo eine Quelle sprudelte. Sie ging um den engen Säulenkreis herum, mit einem verlegenen und unruhigen Ausdruck. Er begrüßte sie, und sie sagte:
»Es sind so viele Menschen hier in diesem Garten.«
Er benutzte die Gelegenheit.
»Ja, das ist wahr, sollen wir nicht wo anders hingehen?«
»Aber wohin?«
»Das ist egal, nehmen wir eine Droschke zum Beispiel. Sie können den Vorhang an Ihrer Seite runterlassen und dann sind Sie ganz in Sicherheit.«
»Ja, das ist mir lieber; hier sterbe ich vor Angst.«
»Gut, dann treffen wir uns in fünf Minuten. Ich erwarte Sie mit einer Droschke vor dem Tor, das auf den äußeren Boulevard führt.«
Er ging mit schnellen Schritten davon.
Als sie im Wagen zusammensaßen, fragte sie ihn:
»Was haben Sie dem Kutscher gesagt? Wohin fahren wir?«
»Machen Sie sich keine Sorgen,« antwortete Georges, »er weiß Bescheid.«
Er hatte ihm die Adresse seiner Wohnung in Rue Constantinople gegeben.
»Sie ahnen nicht,« fuhr sie fort, »wie ich leide und wie ich mich quäle, alles um Ihretwillen! Ich war hart gestern in der Kirche, aber ich wollte Sie fliehen um jeden Preis. Ich fürchte mich, mit Ihnen allein zu sein. Haben Sie mir verziehen?«
Er drückte ihr die Hände.
»Ja, ja, was würde ich Ihnen nicht verzeihen, ich, der Sie so liebt!«
Sie sah ihn flehend an:
»Hören Sie, Sie müssen mir versprechen, mich zu schonen, daß Sie …, daß Sie nicht … sonst könnte ich Sie nie wiedersehen.«
Er antwortete zuerst gar nichts; er lächelte unter seinem Schnurrbart, mit einem Lächeln, das die Frauen verwirrte … Dann sagte er sehr leise :
»Ich bin Ihr Sklave.«
Und nun erzählte sie ihm, wie sie ihn liebte, wie sie das bemerkt hatte, als er Madeleine Forestier heiraten wollte. Sie sprach von Einzelheiten, von den kleinen Tatsachen. Plötzlich schwieg sie. Der Wagen hielt und Du Roy öffnete die Tür.
»Wo sind wir?« fragte sie.
»Steigen Sie aus,« erwiderte er, »und gehen Sie in dies Haus; dort werden wir es bequemer haben.«
»Wo sind wir denn eigentlich?«
»Bei mir. Es ist meine Junggesellenwohnung, die ich genommen habe … für einige Tage … um die Möglichkeit zu haben, Sie zu sehen.«
Sie klammerte sich an das Polster des Wagens fest und stammelte:
»Nein, nein, ich will nicht! Ich will es nicht!«
»Ich schwöre Ihnen, Sie zu schonen«, sagte er mit energischer Stimme. »Kommen Sie, Sie sehen doch, daß wir beobachtet werden, die Menschen werden sich ansammeln. Kommen Sie, steigen Sie aus.«
Und er wiederholte:
»Ich schwöre Ihnen, daß ich Ihnen nichts antun werde!«
Ein Weinhändler sah sie neugierig an. Sie wurde von Schreck ergriffen und eilte ins Haus.
Sie wollte die Treppe hinaufsteigen, aber er hielt sie zurück:
»Hier im Erdgeschoß«, sagte er.
Sobald sie im Zimmer waren, ergriff er sie wie eine Beute. Sie wehrte sich, kämpfte, stammelte: »Oh, mein Gott! Oh, — — mein Gott!« — — —
Er küßte ihr die Augen, die Haare, den Mund, den Hals; sie versuchte seinen Küssen zu entweichen und trotzdem erwiderte sie seine Küsse wider Willen. Plötzlich hörte sie auf zu kämpfen; sie war besiegt und ließ sich von ihm entkleiden. Schnell und geschickt wie eine geübte Kammerzofe zog er ihr eins nach dem anderen ihrer Kleidungsstücke aus.
Das Korsett riß sie ihm aus den Händen heraus, um ihr Gesicht darin zu verbergen, und nun stand sie elfenbeinnackt inmitten ihrer Hüllen, die ihr zu Füßen gefallen waren. Er ließ ihr die Schuhe an und trug sie auf den Armen aufs Bett. Da stammelte sie ihm mit gebrochener Stimme ins Ohr: