Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Mühe in den Wagen, dessen Federn sich bogen. Der Baron setzte sich an ihre Seite, Johanna und Rosalie nahmen auf dem kleinen Rücksitz Platz.
Die Köchin Ludwine brachte eine Menge Mäntel, über die Kniee zu decken, und zwei Körbe, die man unter den Sitzen versteckte; darauf kletterte sie auf den Bock neben den alten Simon, nahm sich eine Decke und wickelte sich von Kopf bis zu Fuß hinein.
Der Portier und seine Frau kamen ›adieu‹ zu sagen und schlossen die Wagenthür, man empfahl ihm noch einmal die Sorge für die Koffer, die auf einem Wägelchen folgen sollten. Dann ging es fort.
Der alte Kutscher Simon verschwand ganz, den Kopf eingezogen und indem er bei dem Unwetter einen krummen Buckel machte, unter dem dreifachen Kutscherkragen. Der Sturmregen schlug prasselnd an die Fenster und überschwemmte die Wege.
Der Wagen rollte in raschem Trabe den Quai hinab, an der Reihe der großen Schiffe vorüber, mit ihren Masten, Raaen und Takelagen, die traurig in den regnerischen Himmel starrten, wie entblätterte Bäume. Dann ging es den langen Boulevard du Mont-Riboudet hinunter.
Bald kamen sie auf die Wiesen, und hier und da zeichnete sich unbestimmt in dem wässerigen Nebel eine überschwemmte Weide ab, deren Zweige herabhingen wie tot. Die Eisen der Pferde klapperten, und die vier Räder sahen aus wie schmutzige rotierende Sonnen.
Man schwieg, sogar das Gehirn schien ertränkt wie die Erde.
Mutting lehnte sich zurück, lehnte den Kopf an und schloß die Lider. Der Baron betrachtete mit starren Augen die monotonen nassen Felder. Rosalie, die ein Paket auf den Knieen hielt, träumte in jener tierischen Döserei der gewöhnlichen Leute, aber Johanna fühlte sich unter diesem lauen Regen erwachen, wie eine lange eingeschlossene Pflanze, die man ans Licht bringt; und ihre unbändige Freude schützte wie das Blätterwerk ihr Herz vor Traurigkeit. Obgleich sie nicht sprach, hatte sie Lust zu singen und die Hände hinaus zu halten, um den Regen darin aufzufangen und zu trinken. Es machte ihr Spaß, so schnell im Wagen dahin zu fahren und draußen die traurige Landschaft zu erblicken, während sie sich doch selbst, mitten in dieser Überschwemmung sicher und trocken unter Dach und Fach fühlte. Und unter dem unausgesetzten Regen dampften die leuchtenden Kruppen der beiden Pferde.
Die Baronin schlief allmählich ein, ihr Gesicht, das von sechs regelmäßig gedrehten Löckchen umrahmt war, die immerfort hin und her baumelten, sank allmählich zusammen, von den drei großen Fettwülsten des Halses gehalten, dessen letzte Woge sich allmählich in der offenen See ihres Busens verlor. Ihr Kopf hob und senkte sich bei jedem Atemzug, ihre Wangen bliesen sich auf, während durch die halb geöffneten Lippen lautes Schnarchen klang. Ihr Mann beugte sich zu ihr und legte ganz leise in ihre über der mächtigen Wölbung ihres Leibes gefalteten Hände eine kleine Ledertasche.
Bei der Berührung wachte sie auf und betrachtete den Gegenstand mit verschwommenen Blicken und jenem törichten Ausdruck, den man nach dem Erwachen aus tiefem Schlaf zu haben pflegt. Das Täschchen fiel und ging auf, Gold und Banknoten verstreuten sich im Wagen. Sie ward ganz munter, und nun machte die Heiterkeit ihrer Tochter sich in lautem Lachen Luft.
Der Baron las das Gold zusammen und legte es in ihren Schoß:
– Liebe Freundin, das ist alles, was von meinem Meierhof Eletot übrig geblieben ist. Ich habe ihn verkauft um Les Peuples, wo wir von jetzt ab öfters wohnen werden, in Stand setzen zu lassen.
Sie zählte sechstausendvierhundert Franken und steckte sie ruhig in die Tasche.
Das war der neunte Meierhof von einunddreißig, die ihm die Eltern vererbt hatten, den sie so verkauften, aber sie besaßen noch etwa zwanzigtausend Franken Rente aus Grundbesitz, der, bei guter Verwaltung, leicht dreißigtausend hätte einbringen müssen.
Da sie einfache Lebensgewohnheiten hatten, hätte dieses Einkommen vollkommen ausgereicht, wenn in diesem Hause nicht ein unergründlicher Brunnen immer offen gestanden hätte: die Güte. Die ließ das Geld in ihren Händen schmelzen, wie die Sonne das Wasser der Sümpfe aufsaugt. Es lief durch die Finger, es entfloh, es verschwand. Wie? – wußte kein Mensch. Alle Augenblicke sagte eines von ihnen:
– Ich weiß nicht wie es kommt, ich habe heute hundert Franken ausgegeben und eigentlich nichts Besonderes dafür gehabt!
Übrigens war diese Freigebigkeit das große Glück in ihrem Leben, und in diesem Punkt verstand sich das Paar wirklich rührend.
Johanna fragte:
– Ist mein Schloß jetzt schön?
Die Baronin antwortete fröhlich:
– Das wirst Du sehen, Kleine!
Allmählich nahm die Kraft des Regens ab und endlich war er nur noch eine Art nassen Nebels, ein seiner in der Luft schwebender Regenstaub. Die Regenwolke schien zu steigen und Heller zu werden, und plötzlich brach durch ein unsichtbares Loch im Gewölk ein Sonnenstrahl auf die Wiesen herab.
Die Wolken teilten sich und das Blau des Himmels erschien, dann ward der Spalt breiter, wie wenn ein Schleier zerreißt, und allmählich wölbte sich ein schöner, reiner, tiefblauer Himmel über der Erde.
Ein süßer, frischer Hauch strich dahin wie ein glückliches Aufatmen der Welt, und wenn sie an Gärten oder Wäldern vorüber kamen, hörten sie ab und zu das fröhliche Zwitschern eines Vogels, der sein Gefieder trocknete.
Der Abend kam, außer Johanna schliefen jetzt alle im Wagen. Zweimal blieben sie an Wirtshäusern halten, um die Pferde ausruhen und ihnen Hafer und Wasser geben zu lassen.
Die Sonne war untergegangen. Aus der Ferne klang Glockengeläut. In einem kleinen Dorf wurden die Laternen angesteckt, und auch der Himmel erhellte sich und strahlte in einem Meer glitzernder Sterne. Hier und da erschienen erleuchtete Häuser, die einen feurigen Schein durch das Dunkel sandten, und plötzlich stieg hinter einer Anhöhe zwischen den Zweigen der Tannen der Mond auf, rot, riesig und wie verschlafen.
Die Luft war so mild, daß die Fenster offen blieben. Johanna ganz matt vom Träumen und befriedigt von den glücklichen Zukunftsbildern, ruhte jetzt auch. Ab und zu schlug sie, wenn sie zu lange in ein und derselben Stellung geblieben war, die Augen auf, dann blickte sie hinaus und sah in der hellen Nacht Bäume, einen Meierhof oder ein Paar Kühe, die hier und da auf dem Felde lagen und nur die Köpfe hoben, den Wagen vorüber gleiten zu sehen. Dann nahm sie eine neue Stellung ein und versuchte ihren flüchtigen Traum weiter zu träumen, aber das fortwährende Rasseln des Wagens klang ihr in den Ohren, schläferte ihre Gedanken ein, und sie schloß wieder die Augen, denn sie fühlte den Geist müde, wie den Körper.
Dann hielten sie. Männer und Frauen standen, Laternen in der Hand, am Wagenschlage. Sie waren angekommen. Johanna war sofort wach und sprang heraus. Während einer der Landleute leuchtete, trugen der Vater und Rosalie beinahe die völlig erschöpfte Baronin, die unausgesetzt wimmerte und fortwährend mit sterbender Stimme rief:
– Ach mein Gott! Meine Kinder! Meine Kinder!
Sie wollte nichts essen, nicht trinken, legte sich zu Bett und schlief sofort ein.
Johanna und der Baron aßen zusammen zu Abend. Sie lächelten, wenn sie sich anblickten, reichten sich über den Tisch die Hände und fingen beide, von kindischer Freude gepackt, an, das alte, renovierte Herrenhaus anzusehen. Es war eines jener großen, weiten, normannischen Wohnhäuser, halb Pachthof, halb Schloß, aus weißen, mit der Zeit grau gewordenen Steinen gebaut und geräumig, um einen ganzen Volksstamm aufzunehmen.
Ein riesiger Flur teilte das Haus in zwei Teile und durchschnitt es von einem Ende zum anderen. Rechts und links führten große Thüren zu ihm. Eine doppelte Treppe schien über dem Eingang breitbeinig zu stehen, sodaß die Mitte frei blieb und die beiden Aufgänge sich im ersten Stock zu einer Brücke vereinigten.
Im Erdgeschoß trat man rechts in einen Riesenraum bespannt mit Stickereien, auf denen Bäume zu sehen waren und Vögel. Das ganze Mobiliar war gepolstert mit Canevas-Stickerei, lauter Illustrationen zu den Fabeln von Lafontaine.
Johanna war glückselig, als sie einen Stuhl wiederfand, den sie als ganz kleines Kind so gern gehabt, auf dem die Fabel vom Fuchs und vom Storch zu sehen war.