Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
sie:
»Du hast mit ihr geschlafen!«
Er ließ sie los und gab ihr solch einen Schlag ins Gesicht, daß sie gegen die Wand taumelte. Doch sie wandte sich gegen ihn, hob die geballten Fäuste und schrie von neuem mit aller Kraft:
»Du hast mit ihr geschlafen!«
Da stürzte er sich über sie, und während sie unter ihm lag«, schlug er auf sie los wie auf einen Mann. Jetzt wurde sie plötzlich still und stöhnte nur unter seinen Schlägen.
Sie rührte sich nicht mehr. Sie hatte ihr Gesicht in der Ecke zwischen Wand und Parkett versteckt und stieß klagende Schreie aus.
Endlich ließ er sie los und richtete sich auf. Dann machte er ein paar Schritte durch das Zimmer, um seine Kaltblütigkeit wiederzugewinnen. Es fiel ihm etwas ein, er ging ins Schlafzimmer, goß kaltes Wasser in das Waschbecken und tauchte seinen Kopf hinein. Nachher wusch er sich die Hände und ging zurück, um zu sehen, was sie nun machte. Währenddessen trocknete er seine Finger sorgfältig mit dem Handtuche ab.
Sie rührte sich nicht. Sie blieb am Boden ausgestreckt liegen und weinte leise.
Er fragte:
»Bist du bald mit deiner Heulerei fertig?
Sie antwortete nicht. Er stand mitten im Zimmer, fühlte sich etwas verlegen und beschämt neben diesem ausgestreckten Körper.
Dann faßte er plötzlich einen Entschluß, nahm den Hut vom Kamin und sagte:
»Guten Abend. Übergib den Schlüssel dem Portier, wenn du fertig bist. Ich kann nicht deiner Laune wegen ewig warten.«
Er ging hinaus, schloß die Tür und suchte den Portier auf.
»Madame ist noch in der Wohnung«, sagte er; »sie wird auch gleich gehen. Sagen Sie dem Hausbesitzer, daß ich zum 1. Oktober kündige. Wir haben den 16. August, es ist also noch vor dem Termin.«
Er entfernte sich schnell, denn er hatte verschiedene dringende Besorgungen zu erledigen und die letzten Einkäufe für die Ausstattung zu machen.
Der Hochzeitstag war auf den 20. Oktober festgesetzt, nach der Wiedereröffnung der Kammern. Die Trauung sollte in der Madeleinekirche stattfinden. Es wurde viel hin und her geredet, ohne daß man die Wahrheit genau wußte. Verschiedene Geschichten liefen umher. Man erzählte von einer Entführung, aber es waren nur vage und unbeweisbare Gerüchte. Nach Angabe der Dienstboten sprach Frau Walter überhaupt nicht mehr mit ihrem zukünftigen Schwiegersohn; sie sollte an dem Abend, wo die Ehe beschlossen war, nachdem sie ihre Tochter um Mitternacht in ein Kloster bringen ließ, vor Zorn einen Schlaganfall bekommen haben.
Man hatte sie halbtot aufgefunden, und es bestand keine Aussicht, daß sie jemals ganz gesund sein würde. Sie sah jetzt aus wie eine alte Frau, ihre Haare wurden grau. Sie war sehr fromm geworden und nahm jeden Sonntag das Abendmahl.
In den ersten Septembertagen meldete die Vie Française, daß der Baron Du Roy de Cantel Chefredakteur geworden sei, während Herr Walter den Titel des Direktors behalte.
Jetzt wurde ein ganzer Stab bekannter Feuilletonisten, politischer Redakteure, Kunst-und Theaterkritiker den bekannten großen Zeitungen durch schweres Geld gewaltsam entrissen und bei der Redaktion als neue Mitarbeiter angestellt.
Die älteren, achtbaren, ernsten Journalisten zuckten nicht mehr mit den Achseln, wenn man von der Vie Française sprach.
Der schnelle und durchgreifende Erfolg hatte die Mißachtung erstickt, die ernste Schriftsteller anfangs gegen dieses Blatt gehegt hatten.
Die Hochzeit des Chefredakteurs war ein sogenanntes großes Pariser Ereignis. Georges Du Roy und Walter hatten seit einiger Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Neugier auf sich gelenkt. Alle Leute, deren Namen in den Zeitungen erwähnt werden, sollten zur Trauung erscheinen.
Dieses Ereignis fand an einem sonnigen Herbsttage statt. Um acht Uhr morgens beschäftigte sich das gesamte Kirchenpersonal damit, einen breiten roten Teppich über die Stufen der hohen Freitreppe auszubreiten, die von der Rue Royal zur Kirche hinaufführt. Die Passanten waren stehengeblieben, und das Volk von Paris wußte, daß eine sehr feierliche Zeremonie sich hier abspielen würde.
Die Beamten, die zu ihren Bureaus gingen, die kleinen Arbeiterinnen und Kommis gafften, bewunderten die Vorbereitungen und träumten unbestimmt von den reichen Leuten und von dem Reichtum, der dazu gehöre, um so viel Geld für eine Hochzeit ausgeben zu können.
Um 10 Uhr begannen die Neugierigen sich anzusammeln. Sie blieben dort einige Minuten stehen, in der Hoffnung, daß es vielleicht gleich anfangen würde und gingen dann, des Wartens müde, weiter. Um 11 Uhr kam ein Trupp Stadtpolizisten und forderten die Menge auf weiter zu gehen, denn es bildeten sich alle Augenblicke Aufläufe.
Die ersten Gäste erschienen bald, die die besten Plätze einnehmen wollten, von wo man alles übersehen konnte. Sie setzten sich am Rande neben dem großen Mittelschiff, allmählich kamen auch die anderen, Frauen mit rauschenden Seidenkleidern, strenge, ernste Männer, beinahe alle kahlköpfig, von weltmännischem, korrektem Auftreten, die sich hier an diesem Ort noch feierlicher und würdevoller als sonst benahmen.
Allmählich füllte sich die Kirche. Ein heller Sonnenstrahl drang durch das weitgeöffnete Kirchenportal und fiel auf die erste Reihe der eingeladenen Freunde. Am Chor sah es dunkel aus; der Altar, der mit brennenden Kerzen besteckt war, schien mit einem gelblichen Licht schwach beleuchtet, im Vergleich zu dem grellen Schein, der durch die Öffnung des großen Portals drang.
Man erkannte sich, man begrüßte sich durch Zeichen und man stand in Gruppen herum. Die Literaten, die weniger respektvoll als die vornehme Welt waren, plauderten halblaut. Man betrachtete die Damen. Norbert de Varenne schien einen Freund zu suchen und erblickte Jacques Rival, der in der Mitte der Stuhlreihen stand. Er trat auf ihn zu:
»Da sehen Sie, die Welt gehört den Gerissenen.«
Der andere, der gar nicht neidisch war, antwortete:
»Um so besser für ihn, er ist ein gemachter Mann.«
Dann sprachen sie über einzelne Bekannte, die ihnen dort auffielen,
Rival fragte:
»Wissen Sie eigentlich, was aus der Frau geworden ist?«
Der Dichter lächelte:
»Ja und nein. Sie lebt ganz zurückgezogen, so hat man mir erzählt, in dem Stadtviertel von Montmartre. Aber … es ist nämlich ein »aber« dabei … seit einiger Zeit lese ich in der ‘Feder’ die politischen Artikel, die denen von Forestier und Du Roy auffallend ähnlich sind. Sie stammen von einem gewissen Jean Le Dol; es ist ein junger Mann, ein hübscher Kerl, intelligent, von demselben Schlage wie unser Freund Georges; und er hat dessen frühere Frau kennengelernt. Daraus schließe ich, daß sie die Anfänger liebte und sie wahrscheinlich ewig lieben wird. Sie ist übrigens reich. Vaudrec und Laroche-Mathieu waren doch nicht umsonst ihre besten Freunde.«
Rival erklärte:
»Sie war nicht schlecht, die kleine Madeleine, sehr schlau und sehr klug. Ohne Hülle muß sie reizend sein. Aber sagen Sie doch, wie kommt denn das, daß Du Roy sich nach der Scheidung in der Kirche trauen läßt?«
Norbert de Varenne antwortete:
»Er läßt sich kirchlich trauen, weil er für die Kirche das erstemal überhaupt nicht verheiratet war.«
»Wieso?«
»Unser Bel-Ami hatte, als er Madeleine Forestier heiratete, aus Gleichgültigkeit oder aus Sparsamkeit das Standesamt für ausreichend gehalten. Er hat sich den kirchlichen Segen erspart. Was unsere heilige Mutter Kirche als einfaches Konkubinat betrachtet. Folglich tritt er heute als Junggeselle vor sie und sie stellt ihm allen ihren Pomp zur Verfügung, der den Vater Walter ein schweres Geld kosten wird.«
Der Lärm der wachsenden Menge wurde immer lauter, man vernahm Stimmen, die ganz laut sprachen. Man zeigte auf die berühmten Persönlichkeiten, die vor dem Publikum posierten und zufrieden waren, begafft zu werden. Sie waren gewohnt, sich