Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
an denen lauter Erinnerungen hängen, wie Griechenland. Es muß doch schön sein, dort alles wieder zu finden von diesen Völkern, deren Geschichte wir von Kindheit an kennen, die Stätten zu sehen, wo alle die großen Thaten geschehen sind.
Der Baron, der weniger exaltiert war, erklärte:
– Mich zieht England sehr an, das ist ein sehr lehrreiches Land.
Da suchten sie die ganze Welt ab, besprachen die Annehmlichkeiten jedes Landes von den Polen bis zum Äquator, begeisterten sich über erträumte Landschaften und seltsame Sitten gewisser Völker, wie der Lappen oder der Chinesen. Aber sie schlössen damit, das schönste Land der Welt sei Frankreich mit seinem gemäßigten Klima, kühl im Sommer und mild im Winter, mit seinen blühenden Feldern, grünenden Wäldern, seinen großen, ruhig hinströmenden Flüssen und seinem Kunstgeschmack, der sich seit der Blütezeit Athens nirgends so entwickelt.
Dann schwiegen sie. Die Sonne, die schon tief stand, schien zu bluten, und ein breiter Lichtkegel, ein blendender Streifen, lief über das Wasser, von den Grenzen des Ozeans bis zum Kielwasser des Bootes.
Der letzte Windhauch ließ nach, alle Wellen ebneten sich, und das unbewegliche Segel ward purpurn. Unendliche Ruhe schien die Weite umfangen zu haben, ein tiefes Schweigen angesichts der Vermählung der beiden Elemente, während das Meer unter dem Himmel seinen glänzenden flüssigen Leib krümmte und die feurige Geliebte erwartete, die zu ihm niederstieg. Sie sank jetzt schon schneller herab in purpurner Glut, als ersehnte sie die Umarmung, jetzt trafen sie einander, und allmählich verschlang sie das Meer.
Da wehte ein frischer Hauch aus der Ferne, die unbewegliche Wasserfläche kräuselte ein Zittern, als ob das untergegangene Gestirn noch einen Seufzer der Erleichterung über die Welt gehaucht.
Die Dämmerung war kurz, es kam eine Nacht mit tausend Sternen. Der alte Lastique nahm seine Riemen auf, und nun sahen sie, daß das Meer phosphoreszierte. Johanna und der Vicomte betrachteten Seite an Seite das hin-und herflutende Feuer, das das Boot hinter sich ließ. Sie dachten fast nicht mehr nach und blickten nur hinaus, in köstlichem Wohlgefühl die Kühle des Abends einatmend. Johanna hatte die eine Hand auf die Bank gestützt, da legte sich wie zufällig ein Finger ihres Nachbars an sie. Überrascht, glücklich und verwirrt über diese leichte Berührung, bewegte sie sich nicht.
Als sie abends wieder in ihrem Zimmer war, fühlte sie sich seltsam bewegt und so weich gestimmt, daß sie immerfort Lust hatte zu weinen. Sie betrachtete ihre Kaminuhr, und ihr war es, als ticke die kleine Biene wie ein Herz, wie ein befreundetes Herz; das Zeuge sein würde ihres Lebens, das mit lebhaftem, regelmäßigen Tik-Tak Leid und Lust begleiten würde, und sie hielt die kleine Fliege an, um einen Kuß auf ihre Flügel zu drücken. Sie hätte irgend etwas küssen mögen, alles! Sie erinnerte sich, daß sie in einem Fach eine alte Puppe aus früherer Zeit versteckt hatte, die suchte sie hervor und sah sie mit der Freude wieder, mit der man liebe Freunde wieder sieht; sie drückte sie an die Brust, bedeckte die gemalten Wangen und den Flachskopf des Spielzeugs mit Küssen, und indem sie die Puppe im Arme behielt, dachte sie nach.
War das wohl er, der ihr durch tausend geheime Stimmen versprochen, den ein gütiges Geschick ihr so in den Weg geführt? War er das für sie erschaffene Wesen, dem sie ihr Leben opfern sollte? Waren sie die beiden für einander bestimmten Geschöpfe, deren Zärtlichkeit sich einen sollte, sich mischen sollte untrennbar und die »Liebe« erzeugen?
Sie hatte noch nichts von jener großen Erschütterung des ganzen Wesens, von jenem tollen Glück, jenem Zittern in allen Tiefen, das, wie sie meinte die Leidenschaft war, verspürt, und doch war es ihr, als finge sie an ihn zu lieben. Denn manchmal wurde sie ganz matt, wenn sie an ihn dachte, und sie dachte unausgesetzt an ihn. Seine Gegenwart erfüllte und erregte ihr Herz, sie errötete und erbleichte, wenn ein Blick von ihm sie traf, und sie zuckte zusammen, wenn sie nur seine Stimme hörte. Diese Nacht fand sie kaum noch Schlaf.
Da kam über sie von Tag zu Tag mehr der verwirrende Wunsch, zu lieben. Sie erforschte sich unausgesetzt, befragte die Maßliebchen, die Wolken und das Schicksal in Gestalt eines Geldstücks, Kopf oder Wappen?
Da sagte eines Tages ihr Vater zu ihr:
– Mach Dich schön morgen früh. Sie fragte:
– Warum Papa?
Er antwortete:
– Das ist ein Geheimnis.
Als sie am Morgen, wie aus dem Ei geschält, in hellem Kleide herunter kam, fand sie auf dem Tisch im Salon eine Menge Bonbonnièren und auf einem Stuhl einen riesigen Blumenstrauß.
Ein Wagen fuhr in den Hof, auf dem zu lesen stand: »Lerat, Traiteur in Fécamp. Hochzeitsdiners.«
Und Ludwine zog, indem sie eine Klappe hinten am Wagen öffnete, mit Hilfe des Küchenjungen eine Menge flacher Körbe, die gut rochen, heraus.
Der Vicomte von Lamare erschien. Seine Hose war gestrafft und unter winzigen reizenden Lackstiefeln, die die Kleinheit seines Fußes zeigten, mit Stegen versehen. Sein langer Gehrock saß eng in der Taille, und ans der Brustöffnung schaute das Spitzenhemd heraus. Eine prachtvolle Kravatte war mehrmals um den Hals geschlungen und zwang ihn, seinen schönen Kopf, auf dem ernste Vornehmheit zu lesen stand, hoch zu halten. Er sah anders aus, als gewöhnlich, er machte jenen fremden Eindruck, den ein besonderer Anzug plötzlich auch den bestgekannten Gesichtern verleiht. Johanna war ganz erstaunt und blickte ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen; sie fand, daß er riesig aristokratisch aussah! Jeder Zoll ein Edelmann!
Er verbeugte sich lächelnd:
– Nun, Gevatterin, sind Sie bereit?
Sie antwortete:
– Ja! Was denn? Was ist denn los?
– Das wirst Du nachher erfahren, sagte der Baron.
Der angespannte Wagen fuhr vor. Frau Adelaide kam im größten Staat von ihrem Zimmer herab, am Arm Rosaliens, die den eleganten Vicomte so bewundernd ansah, daß Papachen flüsterte:
– Hören Sie mal, Vicomte, ich glaube, Sie haben an unsrem Mädchen eine Eroberung gemacht!
Er ward rot bis an die Ohren, that, als hätte er nichts gehört, und nahm den großen Blumenstrauß, den er Johanna überreichte. Mit noch größerem Staunen nahm sie ihn entgegen, und alle vier stiegen ein. Und die Köchin Ludwine, die der Baronin zur Erfrischung eine Tasse kalter Bouillon gebracht, sagte:
– Gnädige Frau, man könnte wirklich glauben, es ist Hochzeit!
Am Eingang von Yport stiegen sie aus, und als sie in das Dorf kamen, traten die Matrosen in ihren neuen Anzügen aus den Häusern, grüßten, drückten dem Baron die Hand und folgten hinter ihnen wie bei einer Prozession.
Der Vicomte hatte Johanna den Arm gereicht und ging mit ihr voraus. Als sie an die Kirche kamen, blieben sie halten, und das große, silberne Kreuz erschien, von einem Chorknaben gehalten, dem ein anderer in rot und weißem Gewand folgte, der den Weihwasserkessel trug mit dem Wedel darin. Dann kamen drei alte Chorsänger, deren einer hinkte, darauf das Serpent, endlich der Pfarrer, dessen goldne Stola sich über seinem dicken Leib spannte. Er begrüßte sie durch – Lächeln und Kopfnicken.
Dann folgte er mit halbgeschlossenen Augen, die Mütze in die Stirne gerückt, ein Gebet murmelnd, seinem Generalstab im Chorhemd und ging dem Meer zu.
Am Ufer wartete eine große Menschenmenge an einem neuen Guirlanden-geschmückten Boot. Mast, Segel, Takelage waren mit langen Wimpeln geziert, die im Winde flatterten, und hinten stand in goldenen Buchstaben der Name: »Johanna«.
Der alte Lastique, der Führer des Bootes, das auf Kosten des Barons gebaut worden, ging voraus. Wie auf Kommando zogen alle Männer die Kopfbedeckung, und eine ganze Reihe Beterinnen in langen, schwarzen faltigen Kapuzenmänteln, die in langem Faltenwurf über die Schultern fielen, knieten im Kreise nieder, als sie das Kreuz erblickten.
Der Pfarrer trat mit den beiden Chorknaben an das eine Ende des Bootes, während am andern Ende die drei alten Chorsänger, schmierig aussehend, in ihren weißen Gewändern, unrasiert, ernst auf die Noten niederblickend, laut in den hellen Morgen