Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
– Wir wollen lieber hinein gehen, sagte sie. Sie drehten um.
Als sie in den Salon traten, strickte Tante Liese wieder. Sie beugte sich auf ihre Arbeit, und ihre dürren Finger zitterten, als wären sie sehr müde.
Johanna näherte sich ihr:
– Tante, wollen wir nicht schlafen gehen?
Die alte Jungfer erhob ihre Augen, sie waren rot, als hätte sie geweint. Das Liebespaar achtete nicht darauf, aber der junge Mann bemerkte plötzlich, daß die dünnen Schuhe des jungen Mädchens ganz naß geworden waren. Besorgt und zärtlich fragte er:
– Frierst Du nicht an Deinen lieben kleinen Füßchen?
Da begannen plötzlich die Finger der Tante so zu zittern, daß ihr die Arbeit entfiel, der Wollknäul rollte zu Boden, sie verbarg schnell ihr Gesicht in den Händen und fing an krampfhaft und laut zu schluchzen.
Die Brautleute blickten sich erschrocken an, und plötzlich kniete sich Johanna hin, öffnete die Arme und sagte ganz erschrocken:
– Aber, was hast Du denn? Was hast Du denn, Tante Liese?
Da stammelte das arme Wesen mit thränenerstickter Stimme, zusammenzuckend in ihrem Leid:
– Weil, wie er Dich gefragt hat …… Frierst Du nicht an Deinen …… Deinen …… kleinen Füßchen … ich gedacht habe …. so was hat mir nie jemand gesagt, mir nie …. nie …
Johanna war überrascht und voll Mitleid, und dennoch kam ihr fast das Lachen bei dem Gedanken, daß jemand Tante Liese seine Liebe erklären könnte. Auch der Vicomte hatte sich abgewandt, seine Heiterkeit zu verbergen. Aber die Tante stand plötzlich auf, ließ den Wollknäul am Boden liegen, den Strickstrumpf auf dem Stuhl und entfloh ohne Licht die dunkle Treppe hinan, indem sie sich nach ihrem Zimmer tastete.
Die beiden jungen Leute waren allein, sie blickten einander lachend, zärtlich an. Johanna sagte:
– Die arme Tante!
Julius meinte: – Sie scheint heute ein bißchen verdreht zu sein!
Sie hielten einander an den Händen und konnten sich nicht entschließen, sich zu trennen, und leise, ganz leise tauschten sie vor dem leeren Stuhl, den eben Tante Liese verlassen, den ersten Kuß.
Am andern Tage dachten sie an die Thränen der alten Jungfer nicht mehr. Die beiden letzten Wochen vor der Hochzeit war Johanna ziemlich still und ruhig, als ob sie müde sei von all den süßen Träumen.
Am Tage, als es nun so weit war, fand sie auch keine Zeit nachzudenken, ihr schien bloß, als wäre ihr ganzer Körper leer, als wären Fleisch, Blut, Knochen geschmolzen unter der Haut, und wenn sie etwas anfaßte, merkte sie, wie ihre Finger zitterten.
Erst in der Kirche, während des Gottesdienstes, fand sie sich wieder.
Sie war verheiratet, verheiratet! Die Dinge, Bewegungen, Ereignisse, die einander gefolgt waren, seit Tagesanbruch, erschienen ihr wie ein Traum, ein wirklicher Traum. Es giebt Augenblicke, wo alles um uns her sich verändert zu haben scheint. Jede Bewegung gewinnt eine neue Bedeutung, sogar die Stunden scheinen nicht mehr ihren Lauf zu gehen.
Sie war wie betäubt, vor allem erstaunt. Noch am Tage vorher war nichts in ihrem Dasein verändert, nur die ewige Hoffnung ihres Lebens kam näher und näher, daß sie sie fast berührte. Als Mädchen war sie gestern eingeschlafen, heute war sie nun Frau.
Sie hatte also die Schwelle überschritten, welche die Zukunft mit allen Freuden, allem ersehnten Glück zu bergen scheint. Ihr war, als hätte sich ein Thor vor ihr geöffnet und als träte sie in das »Ersehnte« ein.
Die heilige Handlung ging ihrem Ende entgegen, sie traten in die fast leere Sakristei, denn es war niemand eingeladen worden. Dann gingen sie wieder hinaus.
Als sie am Portal erschienen, erklang ein furchtbares Getöse, sodaß die Braut zurückfuhr und die Baronin laut aufschrie. Es war eine Gewehrsalve, die die Bauern abgefeuert, und nun hörte bis zum Schloß die Schießerei nicht mehr auf.
Ein Imbiß war bereit für die Familie, den Ortspfarrer und den von Yport, die jungen Ehegatten und die Zeugen, die sie unter den Großbauern der Nachbarschaft gewählt.
Dann wurde ein kleiner Spaziergang im Garten gemacht, um das Hochzeitsmahl zu erwarten. Der Baron und die Baronin, Tante Liese, der Ortsvorstand und Pfarrer Picot liefen Muttings Allee auf und ab, während in der gegenüber der andere Priester auf und niederschritt und in seinem Brevier las.
Auf der andern Seite des Schlosses hörte man die lärmende Fröhlichkeit der Bauern, die dort im Schatten der Bäume Apfelwein tranken.
Alle Bewohner des Ortes in ihren Sonntagskleidern füllten den Hof; die jungen Burschen und die Mädchen jagten einander.
Johanna und Julius durchschritten das Wäldchen, stiegen auf den Grenzwall, und blickten beide stumm auf das Meer hinaus. Es war ein wenig frisch, trotzdem es Mitte August war, der Nordwind blies, und am klaren, blauen Himmel leuchtete grell die Sonne.
Die jungen Leute gingen, um Schutz zu finden, durch die Haide und wandten sich rechts, nach dem gewundenen, baumbestandenen Thal, das nach Yport hinunter führt. Sowie sie das Dickicht erreicht hatten, traf sie kein Sonnenstrahl mehr, und sie verließen die Straße, um in einen schmalen Pfad einzubiegen, der in das Blättermeer führte. Sie hatten kaum nebeneinander Platz, da fühlte sie, wie sich sein Arm langsam um ihre Taille legte.
Sie sagte nichts, das Herz schlug ihr, ihr stockte der Atem. Tief herabhängende Äste streiften ihr Haar, sie mußten sich oft bücken, um durch zu kommen. Sie riß ein Blatt ab, auf dem zwei Herrgottskäferchen, wie zwei zarte kleine rote Muschelchen saßen, und sagte ganz unschuldig:
– Da ein Pärchen!
Julius berührte ihr Ohr mit den Lippen: – Heute abend wirst Du meine Frau.
Obgleich sie während ihres Landaufenthaltes viel kennen gelernt hatte, dachte sie doch nur an die Poesie der Liebe und war überrascht.
Seine Frau? War sie denn das nicht schon?
Da begann er sie kurz, glühend auf Schläfe und Hals, wo sich die ersten Härchen lockten, zu küssen. Dieser Kuß des Mannes, den sie nicht kannte, ließ sie jedesmal zusammen zucken. Instinktiv beugte sie den Kopf nach der andern Seite, um dieser Liebkosung auszuweichen, die ihr dennoch angenehm war.
Aber plötzlich befanden sie sich am Waldessaum. Sie blieb stehen, sie ängstigte sich doch, fort zu sein, was sollten die andern denken, und sie sagte:
– Wir wollen umkehren.
Er zog den Arm, den er um ihre Taille gelegt, zurück, und als sie sich umdrehte, standen sie sich einander so nahe gegenüber, daß sie ihren Atem gegenseitig im Gesicht spürten und sie blickten sich an, mit jenem starren, erforschenden, ergründenden Blick, in dem zwei Seelen glauben in eine überzugehen. Sie suchten in ihren Augen, hinter ihren Augen, in jenen unergründlichen Tiefen des Wesens zu lesen, sie erforschten einander in stummer, beweglicher Frage. Was würden sie eines für das andere bedeuten? Wie würde dieses Leben werden, das sie heute miteinander begannen? Welche Freuden, welches Glück, oder welche Ernüchterung würden sie in diesem langen, untrennbaren Beieinandersein, das die Ehe war, finden? Und es war ihnen beiden, als hätten sie einander noch nicht gesehen.
Plötzlich legte Julius beide Hände auf die Schultern seiner Frau und küßte sie, wie er sie noch nicht geküßt, mitten auf den Mund mit einem heißen Kuß. Dieser Kuß strömte durch ihren Körper und ging ihr durch Adern und Nerven und traf sie so seltsam, daß sie Julius mit beiden Armen verzweifelt zurückstieß, sodaß er beinahe gefallen wäre.
– Wir wollen gehen, wir wollen gehen, laß uns gehen, stammelte sie.
Er antwortete nicht, aber er nahm ihre beiden Hände und behielt sie in den seinen. Bis zu Haus sprachen sie kein Wort. Der Nachmittag erschien ihnen lang.
Bei sinkender Nacht setzten sie sich zu Tisch.
Gegen normannische Sitte war das