Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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Stock zu erreichen. Vor dem dritten Spiegel blieb er stehen, drehte sich den Schnurrbart in der Art und Weise, wie er es immer that und nahm seinen Hut ab, um seine Frisur zu ordnen; dann murmelte er vor sich hin, wie er’s auch oft that:

      – Famose Erfindung.

      Dann streckte er die Hand zur Glocke aus und klingelte.

      Beinahe sofort ging die Thür auf, und vor ihm stand ein Diener in schwarzem Frack, der sehr würdig aussah, glattrasiert und so vorzüglich angezogen, daß Duroy wieder eine Verlegenheit beschlich, ohne daß er wußte, woher das eigentlich kam. Vielleicht verglich er unbewußt den Schnitt ihrer Kleider. Dieser Diener, der Lackschuhe an hatte, fragte, indem er Duroy den Überzieher abnahm, den er auf dem Arme trug, damit man die Flecken darauf nicht sehen sollte:

      – Wen darf ich melden?

      Dann schlug er die Portière zur Seite, und rief den Namen in den Empfangs-Salon.

      Aber plötzlich verlor Duroy seine ganze Haltung. Er war wie gelähmt vor Furcht. Jetzt sollte er den ersten Schritt in das neue geträumte und erwartete Leben thun. Aber er trat trotzdem ein. Da stand eine blonde junge Frau ganz allein in einem großen, hell erleuchteten Zimmer, das voll Blumen und Pflanzen war, wie ein Gewächshaus und erwartete ihn.

      Er blieb kurz stehen, ganz außer Fassung. Wer mochte die Dame sein, die ihn da anlächelte? Dann erinnerte er sich, daß Forestier ja verheiratet war. Und der Gedanke, daß dieses junge blonde Wesen die Frau seines Freundes sein könnte, machte ihn vollends verlegen.

      Er stammelte:

      – Gnädige Frau, ich bin –

      Sie streckte ihm die Hand entgegen:

      – Ich weiß, Herr Duroy. Karl hat mir erzählt, wie Sie sich gestern getroffen haben und ich freue mich sehr über seinen guten Gedanken, Sie zu bitten, heute bei uns zu essen.

      Er ward rot bis über die Ohren und wußte nicht, was er sagen sollte. Er fühlte, wie sie ihn beobachtete, musterte von Kopf bis zu Füßen, ihn einschätzte und beurteilte.

      Er wollte sich eigentlich entschuldigen und irgend einen Grund erfinden, um das Mangelhafte seines Anzuges zu erklären. Aber er fand nichts und wagte nicht an dies peinliche Kapitel zu rühren.

      Er setzte sich in einen Stuhl, auf den sie deutete. Und als er fühlte, wie unter ihm der weiche Sammt des Sessels sich niederbog, als er fühlte, wie er versank und die Lehnen dieses weichen Stuhles ihn umfaßten und stützten, dieses Stuhles, dessen Rücken und Seitenarme ihn weich in ihren Polstern hielten, da war es ihm, als träte er wirklich in ein neues schönes Leben, als ob er etwas Köstliches in Besitz nehme, als würde er nun erst Mensch, als wäre er jetzt gerettet nnd geborgen. Und er blickte Frau Forestier an, welche die Augen nicht von ihm gewandt hatte.

      Sie trug ein Kleid von blaßblauem Cachemir, das ihre schlanke Figur und ihren starken Busen gut abzeichnete.

      Das Fleisch ihrer Arme und der Brust leuchtete aus einer Flut von weißen Spitzen, mit denen die Taille und die kurzen Ärmel besetzt waren. Ihr Haar war auf dem Kopf zusammengerafft, fiel hinten ein wenig in Löckchen herab und bildete eine leichte Wolke von feinem Flaum im Nacken.

      Duroy ward wieder sicherer unter ihrem Blick, der ihn, ohne daß er wußte warum, an den des Mädchens erinnerte, das er am Abend vorher in den Folies-Bergère getroffen. Sie hatte graue Augen von einem bläulichen Grau, das einen ganz eigentümlichen Eindruck hervorbrachte, eine schmale Nase, kräftige Lippen, das Kinn ein wenig fleischig und ein unregelmäßiges verführerisches Gesicht, liebenswürdig und boshaft zugleich. Es war eines jener Frauenantlitze, in denen jede Linie einen besonderen Reiz besitzt, eine besondere Bedeutung zu haben und bei der jede Bewegung irgend etwas zu sagen oder zu verbergen scheint.

      Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn:

      – Sind Sie schon lange in Paris?

      Er antwortete und gewann allmählich wieder die Herrschaft über sich selbst:

      – Gnädige Frau, erst seit ein paar Monaten. Ich bin an der Eisenbahn angestellt, aber Forestier hat mir Hoffnung gemacht, daß ich vielleicht Dank seiner Hilfe zum Journalismus umsatteln könnte.

      Sie lächelte etwas mehr, etwas wohlwollender und murmelte, indem sie die Stimme senkte:

      – Ich weiß schon.

      Die Glocke war von neuem erklungen. Der Diener meldete:

      – Frau von Marelle.

      Es war eine kleine brünette Dame.

      Sie trat lebhaft ein; von Kopf bis Fuß war sie ganz einfach gekleidet, nur eine rote Rose im dunklen Haar zog sofort die Blicke an, und schien ihre Art und Weise festzustellen, ihr etwas Besonderes zu geben, einen lebhaften und energischen Ton, wie er zu ihr paßte.

      Ein kleines Mädchen in dunklem Kleide folgte ihr. Frau Forestier ging ihr entgegen:

      – Guten Tag, Clotilde!

      – Guten Tag, Magdalene!

      Sie umarmten sich, dann bot das Kind mit der Sicherheit eines Erwachsenen Frau Forestier die Stirn und sagte:

      – Guten Tag, Cousine.

      Frau Forestier küßte sie. Dann stellte sie vor:

      – Herr Georg Duroy, ein guter Freund von Karl.

      – Frau von Marelle – meine Freundin. Wir sind so ein bißchen verwandt.

      Sie fügte hinzu:

      – Wissen Sie, wir sind hier ganz unter uns und machen gar keine großen Geschichten, nicht wahr?

      Der junge Mann verbeugte sich.

      Aber die Thür öffnete sich von neuem und ein kleiner, dicker Herr, gedrungen und rund, erschien, der eine große schöne Frau am Arm führte. Sie war größer als er, viel jünger und hatte ein gemessenes vornehmes Auftreten. Es war Herr Walter, Abgeordneter, Finanz-und Geschäftsmann, Jude, Südfranzose, Herausgeber der › Vie française‹, und seine Frau, eine geborene Basile-Ravalau, Tochter des Bankiers dieses Namens.

      Dann erschienen kurz hinter einander Jacques Rival, sehr elegant und Norbert von Varenne, dessen Rockkragen speckig glänzte, weil die langen Haare, die ihm bis auf die Achsel fielen, abgefettet und einen weißen Schuppenregen darauf hinterlassen hatten.

      Seine Kravatte war unordentlich gebunden und schien nicht gerade frisch zu sein. Er trat auf sie zu mit der Geckenhaftigkeit eines alten Lebemannes, nahm Frau Forestiers Hand und küßte sie. Bei der Bewegung fiel, als er sich bückte, seine lange Mähne herab und umrieselte wie ein Wassersturz den bloßen Arm der jungen Frau.

      Nun trat Forestier ein und entschuldigte sich, daß er zu spat gekommen. Aber er war wegen des Falles Morel in der Redaktion ausgehalten worden. Der radicale Abgeordnete Morel hatte nämlich die Regierung interpelliert wegen einer Kreditforderung bezüglich der Kolonisation Algeriens.

      Der Diener meldete:

      – Es ist angerichtet.

      Und man ging ins Eßzimmer. Duroy saß zwischen Frau von Marelle und ihrer Tochter. Er war wieder etwas verlegen. Er hatte Angst, sich irgendwie bei der Handhabung von Messer und Gabel, Löffel oder der Gläser nicht richtig zu benehmen. Es gab vier Gläser, das eine hatte einen leicht bläulichen Schein. Was trank man wohl daraus?

      Während der Suppe wurde nicht gesprochen.

      Dann fragte Norbert von Varenne:

      – Haben Sie den Prozeß Gauthier gelesen? Das ist doch eine eigentümliche Sache.

      Und nun sprach man über diesen Ehebruchsfall, der noch verwickelter geworden war durch eine Erpressung, aber man sprach nicht davon, wie man sich in Familie wohl von Ereignissen unterhält, die in der Zeitung gestanden haben, sondern wie Ärzte unter sich über eine Krankheit oder Grünwarenhändler über Gemüse reden. Man war weiter gar nicht empört und nicht erstaunt über das, was zu Tage gekommen. Man suchte nach den tieferen geheimen Ursachen mit professionsmäßiger Neugierde und einer vollkommenen


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