Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
Zehntes Kapitel.
Orchideen
Die Fürstin ist strahlend von ihrer Kur zurückgekehrt, findet aber bald, daß das Leben auch im Sommer in Brauneck recht eintönig sei. Eine kleine Abwechslung verspricht es ja, daß der Thorsteiner in diesem Herbste ihr Porträt malen soll. Dem Fürsten eilt es wohl nicht sehr damit, aber die Fürstin schmollt und meint – ob man damit warten wolle, bis sie alt und häßlich und nur noch als spukende Ahnfrau zu gebrauchen sei? So hat sich der Fürst gefügt, und der lange Thorsteiner ist gebeten worden. Es liegt ihm aber nicht sehr viel daran, fürstlich brauneckscher Hofmaler zu werden, und er macht allerhand Einwände. Seine Zeit ist beschränkt und Porträts wohl gar nicht seine Stärke. Er fürchte, er verstehe es nicht, ein Repräsentationsbild, wie es das der Fürstin doch sein soll, zu malen. Er könne nur seinen Eindruck wiedergeben und fürchte, er könne nicht stilisieren. Darüber reden die Herren einmal, wie sie nach dem Diner in dem langen Rosengang auf- und abgehen. Es ist schon so düster, daß man nur die roten Punkte der beiden Zigarren sieht, die sich wie freundliche Glühwürmer auf- und abbewegen. »Das ist schon möglich, Graf Thorstein, daß Sie darin recht haben, das sind Künstlerbedenken, von denen ich nicht allzuviel verstehe. Nur das eine kann Sie vielleicht beruhigen, an ein Repräsentationsbild, für den Saal etwa, habe ich gar nicht gedacht. Es ist bei uns nicht Sitte, daß die Frauen gemalt würden, ehe sie den ersten Sohn hatten ... ich hatte auch gerne noch gewartet, aber ce que femme veut – Dieu veut. Sie wissen ja. Nehmen Sie ein Ovalformat, wie das Bild von meiner Schwester im grünen Zimmer.« Harro verspricht endlich, eine Skizze zu machen und, wenn sie der Fürstin gefalle, aber nur dann, sie auszuführen. Der Toilettenrat, den Harro mit der Fürstin abhält, ist schwierig und langwierig. Das grüne Jagdkleid mit den Lederaufschlägen und dem weichen Hütchen, wie Harro vorschlägt, ist der Fürstin zu einfach. Und dem ganzen Toilettenzauber von Madame Lenormand aus Wiesbaden steht Harro mit einer Verachtung gegenüber, die zu verhehlen er sich gar keine Mühe gibt. Die Fürstin hätte ein anderes Entgegenkommen von diesem noch so jungen und unbeweibten Malerkavalier erwartet, und es reizt sie, ein kleines ungefährliches Sommerspiel mit ihm zu treiben. Er kann ja nicht nur ablehnend sein, dieser Ruinengraf, das sieht man in seinem Verkehr mit der Kleinen, die durch ihn so entsetzlich verwöhnt und anspruchsvoll geworden ist. Und die Sache ist ja so ungefährlich ... und so unterhaltend in der endlosen Monotonie dieses Braunecker Sommeraufenthalts. Die Fürstin ist also gefügig, selbst in den Dingen, in die sie sonst keinen Eingriff duldet. Sie läßt sich ein rotes Damastkleid, das sie herzlich langweilig findet, anpreisen und willigt sogar ein, daß von der Taille der ganze reiche Garniturschmuck von Perlstickereien und Fransen verschwindet. Sie spricht sogar ganz verächtlich von dem Zeug, das alle Linien verzerre und verderbe. Aber zu weiteren Konzessionen – Harro möchte über den Ausschnitt einen schönen alten Venezianerspitzenkragen legen, ist sie nicht zu bewegen, sie weiß doch, welch wunderschönen Hals sie hat, wozu also den verdecken. Spitzenkragen trägt ja doch kein Mensch mehr. »Ich merke, Sie wollen eine Ahnfrau aus mir machen – alles, nur das nicht. Ich will einmal später die Leute nicht eingraulen helfen.«
Im großen Saal, wo die Beleuchtung am besten ist, wird das Atelier hergerichtet. Seelchen hat all diese Vorgänge mit dem brennendsten Interesse begleitet. Harro malen zu sehen, gehört zu ihren höchsten Lebensfreuden. Aber sie merkt bald, daß ihre Gegenwart bei den Sitzungen nicht gewünscht wird, und sie muß sich begnügen, das Bild in seinen Fortschritten allein zu betrachten. Wenn der Gong zum Diner ertönt und Mama in ihrer Pracht davon gerauscht ist und Harro seine Pinsel und Palette verwahrt, kommt sie hereingeschlüpft. Eine Einladung zum Diner nimmt er niemals an ... es nehme ihm zu viel Zeit.
»Nun kommt die hohe Kritik,« begrüßt er sie.
»O Harro, ich habe es kaum erwarten können.« Sie setzt sich auf die Stuhllehne, stützt ihre Ellbogen auf die Knie, die Hände in den goldenen Haarwellen vergraben, ein nachdenklicher kleiner Elf.
»Nun ... schieße los, ich bin auf alles gefaßt.«
»Harro, das Rot leuchtet schön, am schönsten in den Schatten.«
»Nun, ist das Kleid die Hauptsache?«
Seelchen nickt ernsthaft. »Man kann es meinen, Harro.«
»Donnerwetter ... Du wirst doch nicht wieder recht behalten. Du wirst schrecklich, Seelchen, wenn das so weitergeht mit deiner Neunmalklugheit ... das Rot ... es war gar zu schön ...«
Es fällt ihm ein, daß die Fürstin ihn schmollend gefragt hatte, ob sie ihre Kammerfrau in das Kleid stecken solle. Leise pfeifend steht er hinter dem Kind.
»Und was hast du noch zu sagen?«
»Daß es schön ist und ein böses Rot ist. Wenn ich einmal ein Puppentheater habe, will ich die bösen Königinnen so anziehen.«
»Prinzessin,« warnt Frau von Hardenstein, »was sagen Sie? Wenn Sie jemand hörte, böse Farben gibt es nicht.«
Harro pfeift schreckliche Dissonanzen: »Verschieb deine Kritik noch, Seelchen, bis Gesicht und Händen noch mehr ihr Recht geschieht ... ich habe mich in das Rot verliebt, es ist eine wundervolle Farbe, aber ein Toilettenstilleben soll es doch nicht werden.« – –
»Rosmarie, ist Graf Thorstein nicht da und malt? Warum bist du nicht dabei – du willst doch so gerne zusehen.«
»Mama hat es gar nicht gerne.«
»Hat sie dir's gesagt?« »Nein, aber das fühlt man doch. – Papa, ich fürchte, Harros Bild gefällt dir nicht.«
»Warum nicht? Ist es nicht schön?«
»So schön, wie er noch kein Bild gemalt hat. Die anderen Bilder an den Wänden müssen sich ganz verwundern darüber und können kaum wegsehen, wenn man die Tür öffnet, und das müssen sie doch.«
Der Fürst hat längst aufgehört, sich über solche Worte zu ärgern, und heute beschäftigt, wie das leichtest vorüberwehende Spinnfädchen, seine Gedanken etwas anderes.
»Rosmarie, ich meine, das Zusehen sollte man dir nicht ganz nehmen. Geh hinein und bringe Mama die schönen Orchideen, die ich im Gewächshaus mit vieler Mühe für sie erkämpft habe.«
»O Papa, du hast recht, die Blumen passen zu Mamas Bild,« und das Kind fliegt mit den zwei abenteuerlich geformten, wunderbar duftenden Blütenzweigen davon. –
In dem großen Saal hört man eine eingesperrte Biene summen, so still ist's. Die Fürstin sitzt auf einem der alten hohen, geradlinigen Stühle, die in ihrer Steifheit zu dem weichen Fluß der Linien des Körpers so unendlich malerischer sind als die gewollt bequemen Formen. Harro steht vor seiner Staffelei und malt mit grimmigem Ernst. Daß die Fürstin, die alles Unbeschäftigte, Träumerische haßt, sich zu einem solchen Stilleben hergibt, ist sehr merkwürdig. Fast verschüchtert kommt das Kind herein, ihre Blumen als Friedenspfand vor sich hinhaltend.
»Mama, das hat dir Papa geholt, du weißt, daß der Herr Hofgärtner sie gar nicht gern hergibt. Harro, sieh einmal, wie sie schön und seltsam sind.« Die Fürstin zieht die Stirne kraus. »Ich denke, du hast jetzt deine französische Stunde.« »Schon vorüber. Harro, wie schön zu Mamas Kleid, und du warst immer mit der Hand nicht zufrieden.« Und Rosmarie schiebt der Fürstin den Blütenzweig in die Hand, und Mama ist so gehorsam wie ein Lamm.
»Durchlaucht, es ist genau, was ich mir noch wünschen möchte ...« »Ich komme mir lächerlich vor; muß es denn sein? Ich bin doch keine moderne Ästhetin, daß ich mit Blütenstengeln herumliefe! Sentimental! Gebt mir eine gelb und braune Reitpeitsche, wenn gelb und braun sein muß.«
»Mama, es ist gewiß schön, und du hältst die Zweige nicht wie Blumen, sondern wie eine kleine Gerte. Und die Orchideen sehen ja gar nicht aus wie Blumen, sondern wie Becher und kleine Tiere mit Flügeln.«
»Als ob ich eine Gerte, an der garstige kleine Kreaturen hinaufkrabbelten, in der Hand behielte ...! Graf Thorstein, sprechen Sie ein Machtwort, diese junge Dame wird zu anmaßend!«
»Sie