Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther

Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther


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da ein furchtbares Spiel, Tennis heißt es, und jedermann war sehr entsetzt, daß ich es nicht spielen könne. Mama schämte sich auch herzlich darüber und redete von meinem schwachen Herzen. Aber es war die allgemeine Ansicht, daß ich ganz vortrefflich im Stande wäre, wenn ich von Kind an immer Tennis gespielt hätte. So mußte ich es denn lernen und habe viele Stunden täglich mit jungen englischen und amerikanischen Mädchen und Herren auf dem Tennisplatz zugebracht. Durch die Bäume leuchtete der See wie ein Stück Himmel, das heruntergefallen war, und Sonne und Wolkenschatten gingen über die Savoyerberge hin. Und man durfte nicht darauf sehen, man mußte auf den Ball achten. Und hatte man den glücklich, – meist verdarb man den andern das Spiel, – so mußte man ihn gleich wieder fortschlagen. Und all die andern wären so viel lieber ohne mich gewesen. Ich hörte die kleine Francis Gower, die über mir wohnte, sagen: »Muß ich denn mit dieser schrecklichen, steifen deutschen Prinzessin spielen, die alle Bälle verdirbt? Sie ist so dumm wie eine Kuh!« Und ihre Mutter sagte: »Prinzessinnen sind nie dumm, was tut es auch, wenn einmal ein Spiel verdorben ist und du kannst nachher sagen, ich habe mit der Prinzessin von Brauneck Tennis gespielt!« Und die schönsten Stunden, wo ich hätte sehen können, wie die weißen Schwäne über die Flut kommen, wenn Sturm ist, und aus den Schluchten die langen Nebelfrauen herausschweben, habe ich diesem Ball gedient, der mir wie mein ärgster Feind vorkam. Zu meiner größten Freude bekam ich dann jeden Tag Ohnmachten, manchmal zwei im Tage, und da hatte das Tenniselend ein plötzliches Ende.

      Lieber Harro, ich muß es Dir leider sagen, daß ich häßlich geworden bin. Mama sagt es mir jeden Tag, und ich muß es selbst einsehen. Das eigene Gesicht ist man ja so gewöhnt, daß man sich allerhand einbilden könnte, wenn man sich mit andern vergleichen würde. Und all die hübschen jungen englischen und französischen Damen sehen so ganz anders aus als ich. Mama hatte recht, ich werde eine Riesendame mit Entenfüßen. Ich trage trotzdem Herrn Wurmhabers Schuhe, und meine Kleider sind ganz weich, und wenn ich mir auch die Seele verkrüppeln lassen muß, meinen Körper habe ich mir bis jetzt bewahren können. Ach, in meinem Garten wachsen wieder Stechranken und Brennesseln, lieber Harro, Du merkst es an diesem Brief. Ich habe nicht so bleiben dürfen, wie ich an meinem Einsegnungstage gehofft habe. Es ist nun wieder so, wie es in meiner Kindheit war, in dieser Welt finde ich mich nicht zurecht. Es ist mir manchmal, namentlich beim Tennisspielen, – als habe ich mich verirrt und gehöre gar nicht daher. Ach, könnte ich heimfinden, ich liefe dafür mit bloßen Füßen, wie die Gisela, auf Nadeln und kleinen Schwertern und großen Schwertern, – ob ich für das glühende Eisen auch Mut genug hätte, weiß ich nicht, ich wäre wohl zu feig dazu. Darum muß ich wohl auch dableiben. Und nun leb wohl, liebster Harro. Wenn ich noch so recht beten könnte, würde ich immer nur bitten, daß Gott Dich recht glücklich machen solle. Aber ich kann es nicht mehr. Es hängt ein dunkler Vorhang dort, wo einmal das goldene Himmelstor war, und ich kann ihn nicht aufheben so allein.

      Dein Seelchen.

      Sechzehntes Kapitel.

       Der Pflaumenkerl

       Inhaltsverzeichnis

      Unter den Linden in Berlin drängte und schob sich die hastige Menschheit. Die Linden streckten kahle dürre Zweige in den grauen Himmel, von dem leise Schneeflocken herabkamen. Wenn sie auf den Boden fielen, zergingen die glänzenden Sternchen und wurden zu einer grauen schmutzigen Masse, die viele Füße zertraten. Eine bunte Menge ist es, die da vorübereilt, und jeder Augenblick bringt neue Gruppen vor das Auge. Die Menschen tauchen auf und verschwinden wieder, und wieder neue kommen, wie das Gestiebe vom grauen Himmel. Es sind die Stunden, wo die elegante Welt Einkäufe macht; jetzt zur Weihnachtszeit trägt fast jedermann irgendein, wenn auch allerkleinstes Paket. Elegante Wagen schieben sich nebeneinander, Taxameter, fauchende Autos zittern und pulsieren vor den Juwelierläden; dazwischen fliegen kleine Zeitungsverkäufer, Apfelsinenhändler, und da ein kleines braunes Kerlchen mit dunkeln blitzenden Augen, das eben allgewandt dem Blick eines Polizisten zu entgehen bestrebt ist. Es ist wohl aus dem Süden verschlagen, das Kind, und es trägt in dieser eleganten Prachtstraße seinen heimatlichen Weihnachtskram feil. Schwarze Pflaumenkerle, auf Hölzchen gespießte getrocknete Pflaumen, wie kleine Schornsteinfeger. Es schaut mit spähendem Blick an den Herrn und Damen hinauf und lacht dazu aufmunternd mit seinen Schwarzaugen. Eben ist ja sein Feind, der Polizist, mit einem Streit zwischen einem aufgeregten Herrn und einem nicht ganz alkoholfreien Kutscher beschäftigt.

      »Zwetschgenkerle, echte schwarze Krambusse,« ruft er. Da leuchten seine Augen auf, ein sehr großer Herr, ein Riese, wie's dem Büblein vorkommt, lacht ihn an und sagt: »Gib mir deinen schönsten Krambus, aber auf zwei gleichen Beinen muß er stehen.«

      »Jawohl, Herr Baron,« sagt der kleine Geschäftsmann, in dem wohl ein Menschenkenner schlummert, und, oh, der aufregende Augenblick, der große Herr zieht sein Portemonnaie und hat eine blanke Mark in der Hand.

      »Das andere kannst du behalten.« Ein elegantes Coupé ist vorbeigefahren und hält dort, wo um den aufgeregten Herrn und den nicht alkoholfreien Kutscher sich bereits ein Menschenring gebildet hat. Eine junge Dame entsteigt dem Wagen und drängt sich in fliegender Eile durch die Menge. Eben ist der Krambus in ein Stück Papier eingeschlagen in der Paletottasche des Herrn verschwunden, da legt sich plötzlich eine schmale Hand im grauen Handschuh auf den Arm des Herrn.

      »O Harro, lieber Harro, endlich, endlich!« halb schluchzend, halb lachend. Das Interesse der vorüberströmenden Menschheit wendet sich nun schier peinlich den beiden hohen Gestalten zu, die da auf offener Straße ein Wiedersehen feiern, wobei der Herr fast sprachlos vor Überraschung ist.

      »Prinzessin, verzeihen Sie, ich erkannte Sie nicht, Durchlaucht sind doch nicht ganz allein.«

      »Ja – doch!«

      »Ich bitte Sie, die Leute alle.«

      »Das sind gar keine Menschen, das sind nur Schemen und Schatten. Sie gehen immer über diese Straßen, sie gehen einen nichts an, man spricht nie mit ihnen ... O Harro, hast du mich denn nicht gekannt?«

      »Prinzessin, ich sehe dort Ihren Wagen, darf ich Sie dahin begleiten ...«

      »Und dann soll ich Dich nie wieder sehen, – nein, was gehen uns die Schemen an. – Ich muß dich sprechen. All die Jahre, – ist denn kein Ort hier in der Nähe –«

      Harro hat sie an den Wagen gebracht, es sind jetzt sehr viel Schemen um den Weg. Der Lakai öffnet den Schlag. Rosmarie steht davor, fast mit blitzenden Augen.

      »So bist du, Harro!«

      Da flüstert er ihr etwas zu, sie nickt und steigt in den Wagen und fährt fort; es kommen wieder neue Schemen und das Gestiebe vom Himmel wird dichter, und der graue Schmutz auf dem Boden klebriger und feuchter. Harro hat sich auch in einen Wagen geworfen und fährt, so schnell es geht, dem Coupé nach. Am Dom entläßt Harro den Kutscher und eilt dann gegen den Wind über den ungemütlichsten Platz Europas, wo alle häßlichen Winde sich ein Rendezvous zu geben pflegen, nach der Nationalgalerie. Das Kunstbedürfnis der Berliner und der Onkels vom Lande ist heute gemäßigt. Die Säle sind fast leer, nur eine Gruppe junger Damen umgibt eine Lehrerin, die eben über die Insel der Seligen doziert.

      »Beachten Sie bitte dieses einzigartige ...« Harro entflieht eine Treppe hinauf, und da, unter der Apotheose Kaiser Wilhelms, ausgerechnet unter diesem Riesenschmarren, auf der runden Bank allein, sitzt die junge Dame mit des Seelchens Augen und Stimme und Goldhaar. Sie erhebt sich mit einem leisen Freudenschrei –. So ganz ohne jede Fremdheit und junge Damenhaftigkeit, als flöge das Seelchen den Prinzessinnengang hinunter, so leuchten die grauen Augen.

      »O Harro, du bist doch gekommen und hast mich nicht umsonst warten lassen.«

      Ein schläfriger blauer Museumsdiener pendelt langsam vorbei; als er sich die beiden Besucher betrachtet hat, verschwindet er wieder in dem nächsten Saal. Stelldichein sieht er zu häufig, als daß sie noch ein Interesse für ihn hätten. Harro beugt sich herab und küßt die schlanke Hand.

      »Durchlaucht, ich bin in größter Sorge, daß Ihnen irgend etwas Unangenehmes erwächst, Bekannte kommen, aber ich wollte nicht – Rosmarie,


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