Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
ihr Kleinen von den Meinen! Ich stand und sah und dachte an meinen Herrn Albrecht, und wie sehr ich ihm ein paar Augen voll gegönnt hätte. Ich sah nur die schöne Kopfform und den wundervoll hingegebenen jungen Körper, in jeder Linie beseelt und wie vorgeneigt in unsäglicher Sehnsucht. Feuerbachs Iphigenie liebe ich sehr, diese war jünger und jungfräulicher und ebenso königlich!«
Des jungen Mannes Augen strahlten.
»Und ihr Gesicht haben Sie nicht gesehen?«
»Nein, ich wagte mich nicht weiter, ich wollte ihre Andacht nicht stören. Und dann: Ich bin kein Zergliederer meiner Freuden. Wenn sie nun das Antlitz gewendet hätte und das hätte nun irgend einen kleinlichen Zug gehabt – oder das ist's nicht einmal: Man sagt auch nicht zu dem Engel, der auf Rembrandts Bild den Propheten berührt: bitte, wenden Sie sich nach rechts! nein, man genießt ihn so, wie ihn der Maler hingestellt. Ich ging ganz leise und bescheiden zurück.« »O Herr Professor, gehen Sie doch bald wieder ans Capo und erzählen Sie doch gewiß dem Herrn Doktor nichts von der Iphigenie, er sagt sonst nur, es sei eine der vielen überzähligen Damen gewesen, die ein Rendezvous erwartete.«
»Geographisch unmöglich, sie sah nicht rechts, nicht links, und anlegen, das gibt es dort nicht einmal für Fischerboote. Und das ist Herrn Spittelers Herzgänsespiel. Freuen Sie sich nur recht daran.«
»Und wenn Sie die Iphigenie wiedersehen –«
»Das ist mir höchst unwahrscheinlich. Ich kann mir diese Gestalt mit dem besten Willen nicht unter den Britinnen an der Table d'hôte vorstellen, den Oberkellner mit der Weinkarte hinter sich, – ein unvollziehbarer Gedanke! Sie wird ins Land der Träume verschwunden sein – ein Mondnachen kam und holte sie ab, oder wie Sie das sonst bedichten wollen, mein lieber junger Freund ...« – – –
Aber nun kommen Regentage, und Iphigenie zu sehen wird unmöglich sein. Da, eines Tages kommt der Herr Professor wieder.
»Heureka, Herr Albrecht! Sie sehen es mir ja an. Die Iphigenie!«
»Oh, wenn ihr Gesicht nicht so schön war wie ihre Haltung, so sagen Sie es mir nicht. Mutter ist ausgegangen, es drücken sie ihre anderen Jungen, die Weihnachten ohne sie zubringen müssen, und sie sucht jetzt schon jedem ein Pflaster auf seine Wunden. Und die Iphigenie?«
»Herr Albrecht, ich sollte Ihnen doch die portugiesischen Liebeslieder von Elisabeth Barrett Browning aus der Bibliothek besorgen. Ich halte eben die sehr achtungswerte Dame in etwas verschabtem Ledereinband unter dem Arme und gehe durch den Garten hinauf, da begegnet mir langsam schreitend Iphigenie, eine graue, offenbar untergeordnete Weiblichkeit neben sich, und, sollte man es für möglich halten, trägt wirklich ein Gewand, und, wie habe ich Ihre verehrte Frau Mutter herbeigewünscht, daß sie es mir bestätige, sie geht in Sandalen oder etwas dem ähnlichem. So geht man nicht in Schuhen von Schusters Gnaden. Sie kam so sanft daher und hatte, was ja für eine Iphigenie etwas merkwürdig ist, aber trotzdem recht gut aussah, einen Federhut auf. Wiegen Sie sich noch nicht in rhythmischen Gedanken, Herr Albrecht, warten Sie ab, es kommt noch manches, es kommt das reine Märchen!
Also ich wollte doch nicht nur die Barrett Browning versorgen, sondern hatte auch eine Broschüre vom Kollegen Leonhardi bekommen, und nun, um die guten Fliegenden Blätter doch mit weiterem Stoff über uns neben den Schwiegermüttern zu versorgen, muß mir diese Broschüre, mit der mir so wohlbekannten, von manchen aber bestrittenen Tücke des Objekts, entgleiten. Ich schritt weiter, Elisabeth um so fester unter dem Arme haltend, je dünner mir die Gute zu werden schien. Plötzlich berührt mich jemand. Da steht die Holdselige und sagt mit der lieblichsten hohen Stimme: »Mein Herr, Sie haben dieses verloren,« und gibt mir den Gilgamesch. Wie ein kleines Schulmädchen, so freundlich und ordentlich ist sie mir nachgelaufen.«
»Und ihr Gesicht, Herr Professor?«
»Das war das Schönste von allem. Ich reiße also meinen Hut herunter, dabei muß mir nun diese Elisabeth entgleiten, und wahrhaftig, sie bückt sich, die junge Königin, und hebt sie mir auf. Und nun habe ich das Recht, wenn ich sie sehe, den Hut herunterziehen zu dürfen. Und Herr Albrecht, sind Sie nun, der Sie mich nach der Bibliothek geschickt haben, mein Wohltäter oder nicht? Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. –
Nun, ich höre noch, wie die graue Dame sie wegen ihrer holden Güte in englischen Quetschlauten schilt. Die Damen gehen aus dem Garten, ich in respektvoller Entfernung hinten drein. Und nun entdecke ich in mir einen Sherlock Holmes. Ich folge ihren Spuren, nicht wie ein Jüngling, sondern wie ein Polizist. Sie verschwinden in einen Park, ich merke mir die Nummer, ich eile zu Schulte und studiere alle Fremdenlisten.«
»O Herr Professor, Sie wollten auch den Namen wissen!« »Nein, aber ein Gefühl hatte ich, als ob ich einer Gestalt aus unserer deutschen Vergangenheit nachginge. Herr Albrecht, ich erkannte sie, – die deutsche Kaiserstochter aus der Hohenstaufenzeit.«
»Aber Sie waren doch an der Griechin.«
»Herr Albrecht, ich vermisse genauere Geschichtskenntnisse. – Heirateten die Hohenstaufen nicht byzantinische Prinzessinnen, also möglicherweise griechischen Blutes? Sie ist eine Prinzessin von Brauneck und gehört einem unserer edelsten Geschlechter an. Mit den Hohenstaufen verwandt und verbunden kämpften sie mit ihnen gegen Papst und Guelfen; auf unzähligen deutschen Schlachtfeldern hat ein Brauneck geblutet. Jetzt ist die Familie in den meisten Linien ausgestorben. Sie sind jedem europäischen Herrschergeschlecht ebenbürtig. Die Iphigenie kann eine deutsche Königin werden.
Und so wenig neues Weib ist sie,« – der Herr Professor lachte hell auf, – »so wenig neues Weib, – hebt wie die Ottilie in den Wahlverwandtschaften einem Herrn das Buch vom Boden auf! Nun, genügt das nicht für einen lyrischen Erguß, Herr Albrecht? Diese Enkelin hoher Ahnen, die so bescheiden und demütig ist ... oder nicht ... Doch das müssen Sie besser wissen.«
Es ist stark zu befürchten, daß Tante Helen, wenn sie nun ihren kleinen, wohleingerichteten Staat sähe, nicht sehr zufrieden wäre! Die Déroute fängt ganz unten an, bei dem kleinen italienischen Hausmädchen, deren Familie sich jeden Tag vermehrt und an der Hintertüre gespeist wird. Der Braunecker Lakai Adolf, der dem kleinen Haushalt beigegeben ist, damit nicht ganz der männliche Schutz fehle, steht die meiste Zeit an dem Drahtzaun, der die nächste, von einer englischen Familie bewohnte Villa umgibt, und treibt Sprachstudien mit einer kleinen, hübschen englischen Nurse und läßt deren Pflegebefohlene auf den Knien reiten und spielt ihnen den angenehmen deutschen Onkel. Die Köchin ist unwirsch und schlampig und verbraucht so viel Fleisch, daß eine zehnköpfige Familie reichlich davon leben könnte. Miß Granger erklärt der Prinzessin eines Abends, daß der Arzt ihr das späte Diner verboten habe, daß sie es als große Güte ansehen würde, wenn ihr abends einige leichtere Speisen aufs Zimmer gebracht würden. Rosmarie legt es der Köchin ans Herz, ja recht leichte Sachen herauszusuchen!
Jeden Tag geht Miß Granger in ihre teas, an der Hand einen schwarzseidenen Riesenbeutel, der seltsam schwer aussieht. Da englische Damen doch nicht wie gute deutsche Hausfrauen mit dem Strickbeutel zusammen kommen, so muß der Beutel einen andern Inhalt haben. Als Rosmarie sie eines Tages schüchtern danach fragt, bekommt sie die Antwort, daß der Mensch stets ein gutes Buch bei sich haben müsse, um durch einige vorgelesene Sätze der Unterhaltung einen höheren Schwung zu verleihen. Die guten Bücher scheinen alle recht voluminös zu sein, rechte Wälzer und Tröster. Rosmarie hat nach dem Inhalt des schwarzen Beutels kein Verlangen. So geht Miß Granger denn mit ihrer Geistesnahrung bewaffnet fort und kehrt um sieben sichtlich aufgemuntert zurück, dann verschwindet sie für den Abend in ihre oberen Gemächer. Des Morgens geht sie in die englische Kirche und kehrt da eben so gedrückt und niedergeschlagen zurück, wie sie aus den teas erheitert heimkam.
Rosmarie fürchtet ihre Kirchenstimmung und macht scheue Trostversuche. Mit unerwartetem Erfolg. Miß Granger gesteht ihr, daß sie täglich flehe, ein drohendes Schicksal von ihren Angehörigen abzuwenden. Sie gibt zu verstehen, daß das Schicksal durch eine kleine pekuniäre Hilfe gebessert werden könnte. Rosmarie holt schnell aus ihrer Kassette drei deutsche Goldfüchse, die ihr Vater ihr für die eigensten Bedürfnisse gegeben. Die Rechnungen werden ja nach Brauneck geschickt und von dort aus bezahlt. Miß Granger dankt würdevoll im Namen der Angehörigen und heitert sich sichtlich auf.
Aber