Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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hielt's nun für gefährlich, gegen den Strom zu schwimmen, und ging mit der Mehrzahl. Zuletzt stimmten auch die beiden Bürgermeister mit nein, Hecht laut und fast zornig, Letzkau ruhig und ohne Erhebung der Stimme. Darauf verkündete der Schreiber das Ergebnis: nur fünf von den Ratsherren wollten den Schoß bewilligen, alle anderen verweigerten ihn.

      Nun stand alles von den Sitzen auf, trat in Gruppen zusammen, sprach laut durcheinander, während der Stadtschreiber den Beschluß in sein Buch eintrug. Nur mit Mühe konnte Letzkau so weit die Ruhe herstellen, daß man ihn darüber hörte, wie der Beschluß ausgeführt werden solle. Er schlug vor, zu gleicher Zeit ein Schreiben an den Komtur und an den Hochmeister zu richten, das erstere kurz und förmlich, das andere in freundlichen Worten und die Ablehnung mit Gründen entschuldigend, aus denen er ersehen könne, daß man unter Umständen wohl bereit sei, ihm zu helfen.

      Schreibt's, wie ihr wollt, rief Hecht, es ist alles eins! Wie er's haben mag, wollen wir's ihm nicht geben, und wie wir's ihm geben mögen, will er's nicht haben. Die Frage ist nur noch, ob er's sich mit Gewalt nimmt; dann wird das ganze Land erkennen, was seine Bitte bedeutet.

      Die Türen wurden geöffnet; in geordnetem Zuge traten die Ratsherren hinaus, da das Volk bis auf die Treppe drängte und man einzeln nicht durchzukommen fürchtete. Bald hatten die Vordersten im Haufen erkundet, wie die Abstimmung lautete. Nein! schrien sie den Hinteren zu. Nein! tönte es weiter durch die Menge, immer vielstimmiger und brausender. Auf dem Markte standen sie Kopf an Kopf, rissen die Mäuler auf und brüllten: Nein – nein – nein! Alle diese Leute hatten eigentlich nur die eine Befürchtung gehabt, daß sie würden von ihrem Eigentum abgeben müssen. Nun wußten sie, daß sie nicht zahlen dürften, und jubelten dem Rat zu, der sie mutig befreit hatte. Was weiter aus der Sache werden solle, kümmerte sie nicht. Sie hätten sich aber im Augenblick auch, wenn's nötig gewesen wäre, zur Rettung ihrer Pfennige auf Tod und Leben zur Wehr gesetzt.

      Kaum konnten die Bürgermeister hindern, daß man sie aufhob und nach Hause trug. Eine Schar junger Burschen stürzte die Treppen im Turm der Marienkirche hinauf und läutete die Glocken. Nun füllten sich auch die Schiffe derselben mit Menschen, die nicht wußten, was sie wollten, und irgend etwas Außerordentliches erwarteten. Da die Geistlichkeit sich nicht blicken ließ, sangen sie auf eigene Hand Lieder und beteten an den Altären. So hatten sich die Reihen auf dem Markt ein wenig gelichtet. Die Ratsherren konnten nun in ihre Häuser eintreten, zum Teil eingeholt von der besorgten Dienerschaft. Vor ihren Fenstern lärmte das Volk nach lange. Bis zum späten Abend wurde in den Brauhäusern Bier verzapft, und mancher vertrank mehr, als er dem Herrn Hochmeister zu steuern gehabt hätte, wenn der Beschluß des Rats anders gefallen wäre.

      Letzkau begleitete seinen Schwiegersohn nach dessen Hause. Die Wogen gehen hoch, sagte er; so rasch ist ein Sturm erregt.

      Haben wir doch einen Steuermann mit kräftiger Hand, antwortete Barthel Groß, so darf uns nicht bange sein für unser Schiff.

      Der Bürgermeister ging schweigend einige Schritte. Dann sagte er: Es sind zwei am Ruder, und jeder will die Segel anders stellen. Wir müssen sorgen, daß die Besonnenen auf unserer Seite bleiben. Ich sehe noch böseres Wetter voraus. Tut Euch ein wenig um unter den Amtsgenossen und forscht aus, wer das Wort führt und den meisten Anhang hat. Wir müssen künftig in engem Kreise beraten, ehe wir ins Rathaus gehen, damit wir die Leitung behalten. Doch wollte ich nicht, daß wir in meinem Hause zusammenkämen – es würde Verdacht erregen. Auch nicht in Eurem, lieber Sohn. Sprecht mit Huxer.

      Und soll Hecht ausgeschlossen sein? fragte Barthel.

      Letzkau sann eine Sekunde lang nach. Nein, sagte er dann, wir müssen ihn in die Mitte nehmen, sonst kommt er über uns.

      28. DIE WELLEN GEHEN HÖHER

       Inhaltsverzeichnis

      Moses Achacz, der Holzjude, meldete sich auf dem Schloß. Er ließ dem Herrn Komtur untertänigst sagen, daß er in zwei oder drei Tagen abzureisen gedenke, und bat um einen Geleitschein. Er hatte sich länger in Danzig aufhalten müssen, als ihm lieb gewesen war; aber das Holzgeschäft ließ sich nicht rascher abschließen, da der Kaufmann erst Gewißheit haben wollte, ob wirklich der Friede zustande kommen werde. So war man mit diesem Hin- und Herhandeln über die Mitte des Februar hinausgelangt.

      Der Komtur bestellte ihn auf den Abend vor seiner Abreise nochmals zu sich; es könne sein, daß er ihm etwas nach Thorn mitzugeben habe. Er war in sehr übler Laune. Die Antwort der Rechten Stadt Danzig erschien ihm als eine offenkundige Auflehnung gegen des Meisters Gebot. Wär's nach seinem Wunsch gegangen, man hätte sofort Zwang gebraucht. Aber sein Kapitel hielt ihn zurück. Es werde viel böses Gerede im Lande geben, wenn man gegen Danzig wie gegen eine feindliche Stadt verfahre, und jedenfalls sei es notwendig, in einer so wichtigen Angelegenheit erst des Herrn Hochmeisters Willen zu vernehmen.

      Sein Kumpan, der Hauskomtur, der einen Ausgleich versuchen sollte, hatte viel zu erzählen von der Aufregung, die in der Stadt herrsche, und auch Peter Engelke, sein Diener, den er als Kundschafter brauchte, hinterbrachte ihm, was in den Schenken und auf dem Markte gesprochen wurde, und wie überall die Rede gehe, die Stadt wolle sich bei übler Behandlung trotz des Friedens vom Orden losreißen und des Königs Gnade anvertrauen. Er wollte auch davon gehört haben, daß nicht alles im Gemeinen Rat verhandelt werde, weil der Orden dort noch namhafte Freunde habe, sondern daß die Bürgermeister mit einigen von den Angesehensten der Kaufmannschaft geheime Dinge verhandelten. Auch des reichen Schiffsreeders Huxer Name wurde genannt.

      Das beunruhigte den Komtur nicht wenig. Er dachte sich in seiner ergrimmten Stimmung etwas aus, wie er vielleicht hinter diese Schliche kommen könne, und schickte deshalb Engelke wieder ins Kloster zu den Schwarzmönchen. Man sollte dort Frau Barbara wissen lassen, daß sich Gelegenheit biete, eine Botschaft nach Schloß Sczanowo zu befördern; ob also das Fräulein dieserhalb den Pater Severus zu sprechen wünsche.

      Maria hatte sich längst das Köpfchen zerbrochen, wie sie dem armen kranken Junker Heinz etwas von sich wissen lasse; aber es war ihr wenig Kluges eingefallen. Sie selbst konnte nicht geläufig schreiben, und es mußte ihr bedenklich scheinen, einen von des Stadtschreibers Gesellen oder den Rektor der Stadtschule oder einen Geistlichen der Pfarrkirche oder gar ihres Vaters Stuhlschreiber, der im Kontor die Handelsbriefe abfaßte, ins Geheimnis zu ziehen. Und wenn sie wirklich das Schreiben in Händen hatte, wie sollte sie es an den bestimmten Ort gelangen lassen? In einer Nacht, als sie nicht schlafen konnte, war sie auf den Gedanken gekommen, daß Klaus Poelke sich vielleicht erbitten lasse, ihr diese Reise zu tun. Barbara schüttelte dazu den Kopf. Sie brachte die Sache aber doch, als ihr Schwestersohn mit Fischen vom Hakelwerk hineinkam, beiläufig zur Sprache. Liebe Muhme, sagte er, wie soll ich mitten im Winter diese Reise tun, da alle Flüsse zugefroren sind? Ich bin ein Seemann und wollte wohl ganz allein auf einem kleinen Boot die Weichsel hinauf mit Segel und Ruder. Aber ein Pferd weiß ich nicht zu lenken, und zu Fuß ist's auf diesen Schneewegen durch die weiten Wälder allzu gefährlich. Geduldet Euch also, bis das Eis aufgegangen ist; dann fahre ich auf einem Weichselkahn nach Polen hinein und will Euch redlich alles besorgen, was Ihr mir aufzutragen habt.

      Nun schienen die Schwarzmönche ihr unerwartet helfen zu können. Freilich war ihr der Pater Severus etwas unheimlich, und auch Barbara sprach nicht gern von ihm. Aber er mußte es doch wohl gut mit ihr und Junker Heinz meinen, da er so freundlich an sie gedacht hatte und ihr's nun nahelegte, seine Dienste anzunehmen. So trieb sie denn das Herz, alle Bedenken zu beseitigen. Liebe, gute Barbara, schmeichelte sie und klopfte ihr mit der runden, kleinen Hand die Wange, hilf mir doch diesmal; es ist gewiß zu meinem Glück. Ich habe mir etwas ausgedacht, wie ich ihm nicht schreiben darf und doch zu erkennen geben kann, daß sich hier nichts verändert hat. Bestelle im Kloster, daß der Pater zu dir kommen möge – heute abend, wenn's dunkelt und der Vater nach dem Hof gegangen ist. Führe ihn dann in mein Stübchen und halte Wache, daß uns niemand überrascht, es soll nicht lange dauern, was ich mit ihm zu verhandeln habe. Tu's, Beste, und ich will dir's danken.

      Barbara ließ sich erbitten und leitete alles geschickt in die Wege. Abends, als das Kontor geschlossen und Huxer fortgegangen war, kam der Pater. Er bestätigte,


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