Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон

Gesammelte Werke von Cicero - Марк Туллий Цицерон


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Gesundheit begehrenswerth wären, beide zusammen es mehr als die Weisheit allein sein; aber insofern beide nur zu den schätzenswerthen Dingen gehören sollten, sind beide zusammen doch nicht schätzenswerther, als die Weisheit allein. Wir rechnen allerdings die Gesundheit zu den schätzenswerthen Dingen, aber doch nicht zu den Gütern, und ebenso kann es kernen so schätzenswerthen Gegenstand geben, dass er über die Tugend gesetzt werden könnte. Aber die Peripatetiker nehmen dies nicht, vielmehr müssen sie eine sittliche und zugleich schmerzfreie Handlung derselben Handlung mit Schmerzen vorziehn. Wir sind anderer Ansicht; ob mit Recht oder nicht, wird nachher zur Untersuchung kommen, aber der Unterschied in den Meinungen beider Schulen kann gewiss nicht grösser sein.

      Kap. XIV. (§ 45.) So wie das Licht einer Laterne von dem Lichte der Sonne verdunkelt wird und verschwindet; so wie ein Tropfen Honig in dem Aegeischen Meere durch dessen Grösse verschwindet, und wie in dem Reichthum des Crösus ein Pfennig mehr und auf dem Wege von hier nach Indien ein Schritt weiter nicht bemerkt wird, so muss, wenn das als höchstes Gut gilt, was die Stoiker dafür erklären, jene ganze Schätzung der körperlichen Dinge durch den Glanz und die Grösse der Tugend verdunkelt werden, zusammenbrechen und verschwinden. Wie die rechte Zeit, womit ich die eukairia ausdrücken möchte, durch die Verlängerung der Zeit nicht rechter wird, denn solche Gelegenheit hat ihr Maass, so kann das rechte Handeln, wie ich die katorthôsis nenne, da katorthôma, die einzelne rechte That bezeichnet, so kann also das rechte Handeln und ebenso die Harmonie und das Gute selbst, was in der Uebereinstimmung des Naturgemässen besteht, durch Zuwachs keine Steigerung erleiden. (§ 46.) Wie jene Rechtzeitigkeit, so werden auch die eben genannten Dinge durch die zeitliche Verlängerung nicht grösser, und deshalb gilt den Stoikern ein langes glückliches Leben nicht wünschenswerther und mehr zu erstreben als ein kurzes; sie benutzen hier das Gleichniss mit dem Schuh; wenn sein Werth darin liegt, dass er zum Fusse richtig passe, so können weder die vielen Schuhe den wenigen, noch die grossen Schuhe den kleinen vorgezogen werden, ebenso können auch Die, für welche alles Gute nur in der Harmonie und in der Rechtzeitigkeit bestellt, das Viele nicht dem Wenigen und das zeitlich Längere nicht dem Kürzern vorziehn. (§ 47.) Es ist nicht scharfsinnig, wenn man einwendet, ein langes Wohlsein sei höher zu schätzen, als ein kurzes, und deshalb sei auch ein lang dauernder Besitz der Weisheit mehr werth. Man bemerkt dabei nicht, dass die Schätzung des Wohlseins sich nach der Dauer bestimmt, die der Tugend aber nach dem Rechtzeitigen; wer so etwas behauptet, müsste folgerecht auch von einem guten Tod und einer guten Niederkunft behaupten, sie würden durch die Dauer besser. Man übersieht, dass Manches nach seiner Kürze, Anderes nach seiner langen Dauer geschätzt wird. (§ 48.) Nach der Lehre Derer, welche annehmen, das höchste Gut, welches wir auch das äusserste und oberste nennen, könne zunehmen, muss dann in Uebereinstimmung mit dem eben Gesagten auch angenommen werden, dass der Eine weiser sein könne als der Andere und dass der Eine mehr schlecht oder mehr recht handeln könne als der Andere, während wir dies nicht sagen können, da das höchste Gut für uns keiner Zunahme fähig ist. So wenig ein Mensch unter dem Wasser besser Athem holen kann, wenn er der Oberfläche schon so nahe ist, dass er bald auftauchen wird, als wenn er noch in der Tiefe ist, und so wenig ein junger Hund, der bald wird sehen können, mehr sieht als ein neugeborner, so bleibt auch Der, welcher dem Zustande der Tugend sich bereits genähert hat, ebenso im Elend, wie Der, welcher noch keinen Schritt dahin gethan hat.

      Kap. XV. Dies klingt allerdings sonderbar, allein da das Vorhergehende unzweifelhaft gewiss und wahr ist und das Obige nur daraus folgt und damit übereinstimmt, so kann man auch an der Wahrheit dieses Letztern nicht zweifeln. Wenn wir indessen auch leugnen, dass die Tugenden oder die Laster wachsen können, so glauben wir doch, dass beide in gewisser Weise sich ausdehnen und gleichsam verbreitern können. (§ 49.) Der Reichthum hat nach Diogenes nicht blos die Kraft, dass er gleichsam zur Lust und zum Wohlbefinden hinführe, sondern dass er Beides auch schon selbst enthalte; in Bezug auf die Tugend und die übrigen Künste finde dies aber bei dem Reichthum nicht statt, hier könne das Geld wohl den Führer abgeben, aber sie nicht selbst in sich enthalten. Wenn daher die Lust und das Wohlbefinden zu den Gütern gehörten, so gehöre auch der Reichthum dazu; wenn aber die Weisheit ein Gut sei, so folge noch nicht, dass dies auch von dem Reichthum gelte. Ueberhaupt könne kein Gegenstand, der nicht selbst zu den Gütern gehöre, etwas zu den Gütern Gehörendes in sich enthalten, und eben deshalb könne, weil dies Vorstellungen und Begriffe der Dinge, aus denen die Wissenschaften hervorgehen, das Begehren erwecken, und weil der Reichthum nicht zu den Gütern gehöre, auch keine Wissenschaft im Reichthum enthalten sein. (§ 50.) Man kann dies für die Wissenschaften zugeben, allein für die Tugend passt dieser Grund nicht, weil sie vieles Nachdenkens und vieler Hebung bedarf, was bei den Wissenschaften nicht nöthig ist, und weil die Tugend Festigkeit, Standhaftigkeit und Beharrlichkeit während des ganzen Lebens fordert, was bei den Wissenschaften ebenfalls nicht der Fall ist.

      Es wird demnächst von uns der Unterschied der Dinge erklärt. Wollten wir denselben ganz leugnen, wie von Aristo geschehen ist, so würde das ganze Leben in Verwirrung gerathen; man könnte dann keine Geschäfte und kein Werk für die Weisheit ausfindig machen, wenn unter den Dingen, welche zur Führung des Lebens gehören, kein Unterschied bestände und keine Auswahl stattzufinden brauchte. Nachdem man also genügend festgestellt hatte, dass nur das Sittliche ein Gut und das Unsittliche ein Uebel sei, wollte man doch in den Dingen, welche für das glückliche oder unglückliche Leben nichts beitragen, einigen Unterschied zulassen, so dass einige schätzenswerth, andere das Gegentheil und andere wieder keines von Beiden seien. (§ 51.) Unter den schätzenswerthen Dingen haben manche in sich den zureichenden Grund, weshalb sie vorgezogen werden; so die Gesundheit, die unversehrten Sinne, die Schmerzlosigkeit, der Ruhm, der Reichthum und Aehnliches; andere sind nicht der Art; ebenso haben manche von den nicht schätzenswerthen Dingen den zureichenden Grund in sich, weshalb man sie verabscheut, so der Schmerz, die Krankheiten, der Verlust der Sinne, die Armuth, die Schande und Aehnliches; andere haben den Grund nicht in sich. Dies ist der Ursprung von dem, was Zeno proêgmena und dessen Gegentheil apoproêgmena nennt. Trotz der reichen Sprache, in der er lehrte, bildete er doch neue Worte, was man uns bei unsrer ärmern Sprache nicht gestatten will, wiewohl Du die unsrige für die reichere erklärst. Um den Sinn dieser Ausdrücke besser zu verstehn, wird es gut sein, den Grund, weshalb Zeno sie gebildet hat, darzulegen.

      Kap. XVI. (§ 52.) Niemand, so lauten seine Worte, sagt, dass am königlichen Hofe der König selbst gleichsam bevorzugt sei zur königlichen Würde (denn dies liegt in dem proêgmenon), sondern man sagt es nur von Denen, die in einem Ehrenamte sich befinden und deren Stand der königlichen Würde am nächsten kommt. Ebenso werden auch im Leben nicht die Dinge, welche die erste Stelle einnehmen, sondern die an zweiter Stelle proêgmena, d.h. bevorzugte genannt. Man nennt sie entweder so, wenn man das griechische Wort wörtlich übersetzt, oder auch Vorangestellte oder Zurückgestellte, oder wie ich vorher sagte, vorzügliche und verwerfliche. Wenn nämlich die Sache gefasst ist, so dürfen wir in den Worten nicht zu peinlich sein. (§ 53.) Weil nun Alles, was ein Gut ist, nach unsrer Ansicht die erste Stelle einnimmt, so kann es deshalb kein Gut und kein Uebel geben, was man bevorzugt oder vorgehend nennen könnte; wir definiren daher das Bevorzugte als das Gleichgültige von einiger Werthschätzung. (Was nämlich die Stoiker adiaphoron nennen, möchte ich mit »gleichgültig« übersetzen.) Es musste nothwendig unter diesen in der Mitte bleibenden Dingen Manches der Natur gemäss, Anderes entgegen sein, und wenn dies der Fall war, so musste es zu dem gehören, was der Schätzung fähig ist, und wenn dies der Fall, so musste Einzelnes davon zu dem Bevorzugten gehören. (§ 54.) Deshalb hat diese Unterscheidung ihre Richtigkeit, und um sie verständlicher zu machen, wird folgendes Gleichniss aufgestellt: Wenn man nämlich als Ziel und Höchstes annehme, dass der Würfel so liege, dass die rechte Zahl oben auf sei, so wird ein Würfel, der so geworfen wird, dass er so zu liegen komme, zwar einen Vorzug in Bezug auf das Ziel haben und der anders geworfene nicht, aber dieser Vorzug des Würfels wird doch nicht das gestellte Ziel selbst sein; in derselben Weise werden die bevorzugten Dinge zwar auf das Ziel bezogen, aber gehören doch nicht zu dessen Begriff und Natur. (§ 55.) Es folgt dann die Eintheilung, dass einige von den Gütern zu jenem Höchsten gehören (denn so nenne ich die, welche telika heissen; ich habe die Bezeichnung durch mehrere Worte vorgezogen, um die Sache verständlicher zu machen, da mit einem Worte dies nicht anging); andere sind bewirkende, welche die Griechen poiêtika nennen, und andere sind Beides.


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