Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans

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die sich schon lange mit dem Problem beschäftigen, den Apparat Montgomerys früher oder später in Betrieb setzen würden, wenn ihnen nur Gelegenheit gegeben wäre, Versuche damit anzustellen.«

      Geraume Zeit schwieg der Kalif nachdenklich. Dann sprach er weiter. Leiser, gedämpfter als bisher.

      »Glaubst du, Abd ul Hafis, daß der eine oder andere Gelehrte meines Reiches imstande wäre, die Aufgabe zu lösen, wenn er den Apparat von Montgomery in seinem Besitz hätte?«

      Einen kurzen Moment zögerte der Gefragte mit der Antwort. Dann sprach er:

      »Herr, du verlangst die volle Wahrheit von mir. Ich würde freveln, wollte ich es wagen, sie dir vorzuenthalten. Ich sage sie frei und offen. Im Bereiche deiner scherifischen Macht gibt es wohl niemand, der das vermöchte. Wohl aber in Ägypten. Die Gelehrten an der Universität Kairo… in erster Linie Ibn Ezer… der Große. Seine Leistungen haben das größte Aufsehen in der Welt erregt.«

      »Ibn Ezer!…« Der Kalif murmelte den Namen mehrmals vor sich hin… »Ibn Ezer würde es verstehen können… aber… sage mir die reine Wahrheit, Abd ul Hafis… wie lange würde Ibn Ezer brauchen, das Geheimnis zu ergründen?«

      »Diese Frage meines Herrn vermag ich nicht zu beantworten. Ich weiß es nicht. Auch Ibn Ezer selbst wird darauf keine Antwort geben können. Es kann Wochen dauern… vielleicht Monate… vielleicht Jahre… wer kann das sagen?«

      »Jahre?« Der Kalif schüttelte das Haupt. »Zu groß die Frist… zu groß… Ali Bei!…«

      Am anderen Ende der Tafel erhob sich eine hohe Gestalt. Die Uniform ließ erkennen, daß der Gerufene zum engeren Gefolge des Kalifen gehörte. Gleichzeitig mit ihm stand Abdurrhaman auf, trat in den Schatten der Brunnenmauer, sprach lange mit ihm, ging dann mit ihm in die erleuchtete Halle hinein.

      Eine Viertelstunde später tönte Propellersausen durch die Luft. Ali Bei war auf dem Fluge nach Ägypten.

      Abdurrhaman kehrte in den Kreis seiner Getreuen zurück, das Gedächtnisfest des Sieges mit ihnen zu feiern.

      Die ›Sutherland‹, das große Schottlandschiff, lag startbereit in der Halle zu Wembley. Wohl über eine Länge von 200 Meter erstreckte sich der mächtige Rumpf aus schimmerndem Leichtmetall. Lord Permbroke schritt nervös auf dem federnden Gummipflaster neben dem Schiff auf und ab. Zum zehnten Male zog er das Chronometer aus der Tasche, warf einen zerstreuten Blick darauf, um es danach wieder in die Tasche zurückgleiten zu lassen. Jetzt blieb er neben dem Laufsteg zum Schiffe stehen.

      »Ich begreife unsere Freundin nicht, Ellen. Noch zehn Minuten bis zum Start. In fünf Minuten werden die Laufstege eingezogen.

      Sie wird zu spät kommen, und sie war doch so begierig auf diesen Ausflug.«

      Bevor Lady Ellen antworten konnte, kam ein eleganter Kraftwagen durch die große Hallenpforte, fuhr in schnellem Tempo die mittlere Straße entlang und hielt unmittelbar neben dem Laufsteg.

      Jolanthe von Karsküll sprang aus dem Wagen, begrüßte Lady Ellen und Sir Arthur, entschuldigte die Verspätung mit einem unvorhergesehenen Aufenthalt auf dem Wege hierher.

      »Alle Passagiere an Bord! Alle Fremden von Bord!« dröhnte die Stimme eines Offiziers der ›Sutherland‹ durch die Halle. An der Seite von Lady Ellen ging die Baronin Jolanthe über den Steg. Lord Permbroke folgte. Unmittelbar hinter ihnen wurden die Laufbrücken fortgezogen und die metallenen Pforten hermetisch verschlossen.

      Dumpfes Dröhnen aus den Maschinenräumen. Ein Erzittern des ganzen gewaltigen Schiffsrumpfes. Die ›Sutherland‹ war im Fluge und stieg dabei unaufhörlich. Längst hatte das Schiff die dicken über London lagernden Wolkenbänke durchstoßen und schoß im hellen Sonnenglanz nordwärts. Immer noch stieg es dabei bis hinauf in jene Höhen, in denen es keine Stürme und Regengüsse mehr gibt, in denen die dünne und immer unbewegte Luft den Höhenflugschiffen eine ideale Straße bietet.

      Jolanthe von Karsküll saß mit Lord und Lady Permbroke im Parlourroom an der Backbordseite der ›Sutherland‹. Zu sehen war für die Passagiere bei solchem Höhenflug kaum etwas. Weit im Westen blitzte hin und wieder ein Schimmer des Atlantik auf. Sonst nur Wolken und immer wieder Wolken. Da blieb während der Stunde der Fahrt wohl Zeit für die Unterhaltung. Bald war das Gespräch in vollem Gange, drehte sich zuerst um Elias Montgomery, den toten Erfinder, und um das Vexierstück, das er ganz England hinterlassen. Dann flogen die Erinnerungen zurück nach Moskau, wo sie sich zuerst kennenlernten, wo zuerst jene Freundschaft zwischen Jolanthe und Lady Amelie, der Schwägerin Lord Permbrokes, entstand, die weiter zur Freundschaft mit den Permbrokes führte.

      »Es war auch in Moskau schön, Sir Arthur, aber noch besser gefällt es mir hier in England. Geht alles, wie ich hoffe, dann bringe ich nächsthin auch meine Schwester Modeste nach London mit.«

      Lady Ellen griff den Faden auf.

      »Ihre jüngere Schwester, Jolanthe… Ihre Stiefschwester, wenn ich nicht irre. Damals war sie noch nicht mündig. Der Vormund hielt sie auf den livländischen Gütern ihres Vaters in sicherer Obhut…«

      Jolanthe lachte.

      »In sehr sicherer Obhut, Lady Ellen. Unser gemeinsamer Vormund, der alte Baron von Keddern, ist noch ein Mann aus der alten Schule. Er hielt es für seine Pflicht, seine Mündel zu bewachen wie… wie… sagen wir, wie eine Henne ihre Kücken bewacht. Und da ihm das bei mir so glänzend mißlungen war, führte er es bei meiner Schwester mit doppelter Gewissenhaftigkeit durch. Ihre schönsten Jugendjahre mußte sie auf dem einsamen Tirsenhof verbringen. Da hatte ich’s im Hause meines Großvaters, des Fürsten Iraklis, doch angenehmer.«

      Lord Permbroke mischte sich dazwischen.

      »Aber eigentlich, eigentlich hätte Ihr Vormund doch auch Sie damals zu sich nehmen, nach Livland bringen müssen.«

      »Eigentlich, Sir Arthur. Gewiß! Er hatte auch die besten Absichten dazu. Hat es öfter als einmal versucht. Aber meine Großeltern sträubten sich, und ich wollte es noch viel weniger. Bedenken Sie doch, meine rechte Mutter war lange tot. Ich hatte kaum noch eine Erinnerung an sie. Eine ganz flüchtige nur noch an meinen Vater…«

      Jolanthe strich mit der Hand über die Stirn, als ob sie trübe Gedanken verjagen wolle.

      »…Mein armer Vater. Bald hierhin, bald dorthin trieb ihn die Pflicht durch das weite Rußland. Bis er endlich den Dienst quittierte, sich auf seine Güter zurückzog und zum zweiten Male heiratete. Meine Stiefschwester war eben erst ein Jahr alt, als er sich mit seiner Gattin auf den Weg machte, mich heimzuholen. Und dann kam die Katastrophe, der Sturm auf dem Schwarzen Meer…«

      »Es war ein tragisches Schicksal, das Ihnen am gleichen Tage den Vater und die neue Mutter raubte.«

      »Schicksal, Sir Arthur? Man hat von der Besatzung und den Passagieren jenes Schiffes niemals wieder etwas gehört. Nur Trümmer wurden an den Strand geworfen.« Wieder fuhr sie mit der Hand über die Stirn.

      »Lassen wir das. Es ist vorbei. Das alles liegt hinter uns.« Jolanthe zwang sich zu einem Lächeln.

      »Nie werde ich das erstaunte Gesicht des alten Herrn von Keddern vergessen, als ich plötzlich vor ihm stand und mich ihm als ein inzwischen mündig gewordenes Mündel präsentierte… und doch, Sir Arthur, als ich dann auf dem Tirsenhof, dem alten Stammgut unserer Familie, stand, als ich meine junge Schwester zum ersten Male in die Arme schloß, da begannen die Bilder des Kaukasus zu verblassen. Ich spürte es an tausend Dingen, daß ich hier doch in der rechten Heimat war… und bald wurde ich auch heimisch. Zuerst freilich kamen sie mir recht frostig entgegen, die lieben Nachbarn von Jurgensburg und Ogershoff. Aber bald schwand die Zurückhaltung, und schon nach einem Monat war es so, als hätte ich immer auf dem Tirsenhof gelebt.«

      Lord Permbroke lächelte.

      »Aber der Tirsenhof hat Sie trotzdem nicht lange festhalten können, Baronin.«

      »Nein, Sir Arthur, vorläufig noch nicht. Später… vielleicht einmal. Wer weiß? Solange man noch jung ist, nicht zu lange an derselben Stelle.« Bei diesen Worten erhob sie sich von ihrem Sessel.


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