Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans

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geht und die Niagarafälle von Kanada her anschneidet. Das Schiff war überfüllt, jede Kabine, jeder Platz jeder Stuhl besetzt. Während die ›Potomac‹ schon in dreißig Kilometern Höhe über Nordschottland dahinschoß, waren die Stewards immer noch eifrig beschäftigt, neue Sessel und Liegestühle aus den Vorratsräumen herbeizuholen.

      So erhielt Malte von Iversen endlich im Speisesaal der ›Potomac‹ eine Sitzgelegenheit, auf der er seine Glieder strecken konnte. Er war gerade noch zurechtgekommen, als man bereits die Laufplanken der ›Potomac‹ einziehen wollte, um mit einem letzten gewaltigen Satz an Bord zu springen.

      Jetzt saß er, streckte und verschnaufte sich. Die nächsten zwölf Stunden gehörten ihm. Hier konnte ihm Eisenecker nicht entkommen.

      Aber bei dieser Völkerwanderung zu den Niagarafällen, von der dieÜberfüllung der ›Potomac‹ einen kleinen Vorgeschmack gab, würde es ihm nicht leicht sein, seinen Mann in der unübersehbaren Menge an den Fällen selbst im Auge zu behalten.

      Indes vier Augen sehen mehr als zwei, und zehn Augen sehen noch mehr. Darauf hatte Iversen seinen Plan gebaut und sich telegrafisch mit amerikanischen Detektiven ins Einvernehmen gesetzt. Ein unmittelbares Verschwinden sollte dem Beschatteten bis zur Unmöglichkeit erschwert werden.

      Auch hier im Speisesaal der ›Potomac‹ bildete das bevorstehende Experiment William Jeffersons an allen Tischen den Hauptgegenstand der Unterhaltung. In allen Sprachen Europas wurde darüber debattiert und stellenweise recht absprechend geurteilt. Seit Monaten hatten ja bereits die Zeitungen darüber berichtet und die Möglichkeiten eines Erfolges erörtert. Manche Blätter hatten das Ganze als eine richtige Yankeeidee bezeichnet. Diese groteske Idee, die fünfunddreißig Millionen Pferdestärken der Niagarafälle konzentriert auf ein Becken mit einhundert Kilogramm Quecksilber wirken zu lassen. Einige Gelehrte hatten sogar von einer hemdsärmeligen Physik gesprochen, wie man in früheren Zeiten wohl ähnlich von der Diplomatie zu sprechen pflegte. Die Mehrzahl der Zeitungsstimmen hatte auf das Problematische des ganzen Versuches hingewiesen.

      Aber die Wirtschaft und besonders die Börse war nervös geworden, wurde immer nervöser, je näher der Tag des Experimentes heranrückte. Von Tag zu Tag gaben die Kurse der Gold- und Energiewerte nach. Der schwarze Donnerstag, der Todestag Montgomerys, war noch nicht vergessen.

      Iversen hatte einen Platz in der einen Ecke des Saales bekommen, von dem aus er den ganzen großen Raum gut übersehen konnte. Während er dort saß, hier und da Gesprächsbrocken über das Thema William Jefferson auffing und einzelne Passagiere musterte, trat Eisenecker ein. An einem Tisch in der Mitte des Saales fand er Platz und ließ sich das Schiffsdiner servieren. Von seinem Winkel aus konnte Iversen das Gesicht des Mannes in aller Ruhe studieren, und er tat es gründlich. Geübt, in den Physiognomien der Menschen zu lesen, verfolgte er jeden Zug dieses Gesichts. Er studierte dieses Antlitz wie ein Buch.

      Verbarg sich da nicht etwas, das den äußeren Schein Lügen strafte? Welche geheimen Pläne woben hinter dieser breiten, kantigen Stirn? Welches Ziel hatten diese leuchtenden, willensharten Augen?

      Der ganze Mensch ein Rätsel, ihm. Warum nutzte er nicht unverzüglich seine Erfindungen aus?

      Die Atomenergie… sollte die Erkenntnis der Macht, die sie ihrem Beherrscher in die Hand gab… sollte diese Erkenntnis solche rätselhaften Wandlungen hervorrufen? Schon die bizarre Weise, in der Elias Montgomery sein Leben umgestellt hatte, nachdem ihm die Entdeckung gelungen, gab der Welt reichlichen Grund zum Kopfzerbrechen. Hier schien sich der Fall, wenn auch in anderer Weise, zu wiederholen. Auch dieser hier schwieg über seine Entdeckung. Zwar vergrub er sich nicht in seinem Haus, schloß sich nicht hermetisch von jedem Verkehr ab, aber im Erfolg war sein Tun das gleiche. Er floh in die Welt.

      Flucht… ja Flucht war’s, die Eisenecker in die Ferne trieb! Flucht vor den quälenden Zweifeln, die ihm Herz und Sinn beschwerten. Die Erkenntnis der ungeheuren Tragweite dessen, was ein günstiges Geschick ihm nach mühevoller Arbeit in den Schoß geworfen, wuchtete wie eine ungeheure Last auf seiner Seele. Mit allen Kräften des Geistes und des Körpers rang er dagegen, um nicht niederzubrechen.

      Durch ein einfaches Versehen waren damals in seinem Hause Energiemengen von unbeabsichtigter Größe frei geworden, der alte Ellernhof war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. In diesem Augenblick war ihm die gefährliche Größe seiner Entdeckung klar vor die Augen getreten. Gleichgültig, ohne Bedauern hatte er zugesehen, wie das jahrhundertealte Gebäude ein Raub der Flammen wurde.

      Ein Wink des Schicksals war ihm diese Feuersbrunst, die ihm das Obdach raubte, die ihn aus enger Einsamkeit hinaus in fremde Welten trieb. Neue Kräfte sammeln im Getriebe der Welt! Neue Kräfte, um das Errungene so auszubauen, so zu verwerten, daß es Segen für die Menschheit wurde. Nicht ein blutiger Sieg, bei dem unzählige Existenzen die Opfer der gewaltigen Umstellung werden mußten.

      Eine neue, ganz große Aufgabe. Sie mußte gelöst sein, bevor er Europa, der Welt die neue Energiequelle in die Hand gab.

      Wohin sich wenden? Amerika…? Seine Industrie die bestentwickelte, zugleich die am straffsten organisierte der Welt. Hier die neue Energiequelle zur Anwendung gebracht! Hier mußten die Folgen am deutlichsten zu sehen sein. Hier hatten sich auch bereits ernste Köpfe mit dem Problem beschäftigt, wie einem so umwälzenden Ereignis, wie der Entdeckung der Atomenergie am besten zu begegnen sei.

      Der Versuch Jeffersons… die Riesenenergie der Niagarafälle auf ein wenig Quecksilber loszulassen… er lächelte bei dem Gedanken daran.

      Der Kaffee wurde serviert. Mechanisch folgte Eisenecker dem Beispiel der meisten anderen Gäste und griff nach dem Radiohörer, der neben jedem Sitz hing. Neueste Nachrichten aus der Welt… vier Jahre hatte er einsam auf dem Ellernhof gehaust, in seine Arbeit vertieft, abgeschnitten von jedem Verkehr. Was vier Jahre hindurch in der Welt geschah, war ihm fremd geblieben. Es würde einige Zeit benötigen, die Lücke wieder auszufüllen. Wahllos ließ er den Einstellhebel über die Metallscheibe gleiten.

      Kairo: Attentat auf die ägyptische Staatsbank. In der heutigen Sitzung des ägyptischen Parlamentes machte der Innenminister folgende Mitteilung:

      Von einer weitverzweigten internationalen Bande ist ein Attentat auf unsere Staatsbank versucht worden. Man hat von einem gegenüberliegenden Gebäude aus unter der Straße hinweg mit der Aushebung eines unterirdischen Ganges begonnen. Die ägyptische Polizei, die schon seit langem unterrichtet war, griff heute mit schnellem Schlag zu und konnte mehrere Mitglieder der Bande verhaften.

      Doch nun kommt das Außergewöhnliche, woran unsere Hörer vielleicht zweifeln werden. Es war nicht beabsichtigt, den Bankschatz zu rauben. Man wollte ihn nur vernichten. Es war beabsichtigt, hundert Zentner der brisantesten Sprengstoffe unter die Bankkeller zu bringen, um das ganze Bankgebäude, das ganze Stadtviertel von Grund auf in die Luft zu sprengen. Über die Täter schweigt sich die Polizei vorläufig noch aus.

      Der Minister teilte dem Parlament darauf den folgenden, jedenfalls nicht gewöhnlichen Entschluß des Gesamtministeriums mit, den Bankschatz bis auf weiteres in den Totenkammern der Cheopspyramide unterzubringen. Das vollkommen freie und übersichtliche Gelände um die Pyramide herum wird in einem Umkreis von drei Kilometer gesperrt werden. Um die Sicherung durchzuführen, beabsichtigt die Regierung zunächst, einen Militärkordon um die Pyramiden zu legen. Später soll der Schutz noch durch elektrische Sicherungen verstärkt werden. Diese Nachricht wird bei denen, die in diesem Jahre einen Besuch Ägyptens und der Pyramiden vorhaben, sehr gemischte Gefühle auslösen. Viele werden den Besuch sicherlich unterlassen, da die Pyramiden ein Hauptziel für die Touristen sind.

      Eisenecker rückte den Hebel weiter: Bern, Sitzung des europäischen Staatsrates. Rede des deutschen Delegierten über die europäischmaurischen Verhandlungen in Rom.

      Die Brauen des Hörenden schoben sich halb unwillig, halb drohend zusammen. Noch immer der Feind auf europäischem Boden! Seine Gedanken flogen zu der spanischen Halbinsel, flogen zurück durch die Jahre. Zurück zu der Zeit, als er dort die großen Kraftwerke in Segovia, in Zamora und bei La Roda baute. Ein Name besonders ging ihm durch den Sinn. Gonzales… Pionierhauptmann damals in Segovia…

      Er hörte nichts mehr von dem, was aus dem Radiohörer klang.


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