Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans
Die Ziegeninsel in der Mitte, Goats-Island, trockenen Fußes von beiden Ufern her erreichbar. Alle Kraft der Fälle arbeitete in den Werken, bereit, im entscheidenden Augenblick durch eine einzige Schalterbewegung in jenen in den massiven Fels eingesprengten Experimentierraum geleitet zu werden. Eine druckfeste Wanne dort tief im Felsen, gefüllt mit einigen wenigen Zentnern reinen Quecksilbers. Um 12 Uhr würden sich 35 Millionen Pferdestärken auf dieses Quecksilber stürzen, würden es… wie die Physiker erwarteten… zertrümmern… in Gold… in Helium… in Nichts. Selbst wenn das Experiment nicht in seiner ganzen Größe gelang, wenn die Atomenergie des Quecksilbers noch nicht freigemacht werden konnte, so erwartete man doch mit Sicherheit die Zerlegung und Umwandlung des Quecksilbers in einfachere Elemente.
Ein Mann in besten Jahren, einfach gekleidet, vielleicht ein Arbeiter aus den Kraftwerken, suchte sich durch die dichtgedrängten Menschenmassen am kanadischen Ufer nach vorn zu schieben. Was ganz unmöglich schien, nach und nach war’s ihm gelungen, sich bis zu den vordersten Reihen durchzudrängen. In nächster Nähe eines hochgewachsenen blonden Mannes hielt er plötzlich an. Betrachtete den Minuten hindurch mit größter Aufmerksamkeit. Murmelte dann zu den Umstehenden etwas von Unwohlsein und begann sich wiederum hastig nach rückwärts durch die Massen zu drängen.
Jetzt blieb er wieder stehen. Stand in der Nähe eines anderen, mit äußerster Eleganz gekleideten Herrn unbestimmten Alters. Machte dem, für die Umstehenden gar nicht bemerkbar, ein Zeichen mit den Fingern, und sofort begann auch dieser andere seinen Platz zu verlassen, sich aus dem Gedränge nach hinten hin zurückzuarbeiten, wo der Platz freier, mehr Beweglichkeit möglich war. Dort stand der Elegante, holte ein Taschentuch aus der Brusttasche und breitete es umständlich aus. Es war ein weißes großes Tuch mit einem gezackten blauen Rand. Er wischte sich damit den Schweiß von der Stirn und legte es genauso umständlich wieder zusammen, wie er es entfaltet hatte. Dann, als ob ihm das noch nicht genug, zog er ein rotseidenes Tuch heraus, mit dem er sich Luft zufächelte, als wäre ihm die Hitze ganz unerträglich geworden, entfaltete er ein neues weißes Tuch und führte auch das ans Gesicht. Dann sprang er in einen der hier stehenden Kraftwagen und fuhr in Richtung der Stadt davon.
Im gleichen Augenblick begann sich einer der in der obersten Flugschiffreihe stehenden Hubschrauber aus dem Verband zu lösen, flog über den Fluß und nahm ebenfalls den Kurs zur Stadt.
Der Apparat Iversen arbeitete. Seine Spürhunde hingen an Eiseneckers Fersen und würden ihn auch hier in dieser Riesenmenge bestimmt nicht aus den Augen verlieren.
Je näher die Mittagsstunde kam, desto höher stieg die Erregung der vieltausendköpfigen Menge. Sinnlos schoben die Massen immer weiter nach vorn. Auch das umfangreiche Polizeiaufgebot vermochte nicht mehr, die befohlene Ordnung aufrechtzuerhalten. Schon gab es Verwundete und Ohnmächtige in dem gefährlichen Gedränge. Die Sanitätsmannschaften hatten alle Hände voll zu tun. Immer gewaltiger der Lärm, immer wilder die Stimmung.
Da endlich 12 Uhr!… Ein Kanonenschuß erdröhnte… sekundenlange Stille folgte. Alles starrte wie hypnotisiert auf das gegenüberliegende Ufer.
Ein leichtes Dröhnen und Brausen drang durch die Luft. Ein Zittern ging durch den Erdboden. Dann ein befreiender Aufschrei aus hunderttausend Kehlen.
Bravo!… Hurra!… Händeklatschen… die Massen kamen in Bewegung. Ihr Johlen und Schreien wetteiferte mit dem immer stärker werdenden Dröhnen in den Felsen des anderen Ufers.
Doch stärker und stärker wurde das Dröhnen, wurde zum Donnern… und dann ein häßlicher markdurchdringender Klang. Ähnlich etwa, wie wenn das eiserne Rad eines schweren Wagens auf der Straße einen Ziegelstein zermalmt. Aber vieltausendfach stärker, millionenfach kreischender. Ein Klang, bei dem es den Hunderttausenden auf dem gegenüberliegenden Ufer kalt über den Rücken rann.
Die Menge stand starr, stierte in höchster Spannung auf das gegenüberliegende Ufer, auf jene Stelle hin, wo die meterstarken Kabel in den Fels eintraten. Starrte und sah, was geschah.
Die ganze gewaltige Felswand dort drüben geriet in Bewegung, schwankte wie im Erdbeben und klaffte in immer größer werdenden Rissen auseinander. Leichter Dampf schoß aus den Spalten. Wassermassen folgten. Immer mächtiger, immer gewaltiger brachen sie aus der Felswand. In breitem Schwall sprudelten sie aus den Klüften, stürzten schäumend und donnernd in die Tiefe.
Was war das? War eine verborgene Wasserader angeschlagen? Nein!… Wie ein Lauffeuer ging es durch die Tausende.
Eine Katastrophe hatte sich ereignet, eine Katastrophe für die Kraftanlage. Die riesige Energie, tief im Felsen auf einen einzigen Punkt konzentriert, hatte sich gewaltsam Luft gemacht. Sie hatte die Eingeweide der Felswand zerstört, zerbrochen, zermalmt. Die Turbinenschächte, die von den oberen Stromschnellen her das Kraftwasser zu den Werken führten, waren aufgebrochen und verschüttet, alle Kraftanlagen tot… unbrauchbar.
Die sinnlose Menge sah es und jubelte beim Bilde dieser Zerstörung. Was kam es noch weiter auf die Kraftwerke an. Das Experiment mußte ja gelungen sein… mußte ganz sicher geglückt sein. Und dann, im Besitze der neuen Energie, der Atomenergie… was brauchte man da noch die Wasserkraftwerke des Niagara.
Und wenn es etwa nicht vollständig gelungen war, wenn die Atomenergie noch nicht entfesselt war… das mußte doch zum mindesten geglückt sein, die Umwandlung des Quecksilbers in Gold. Und mit dem Golde, damit konnte man ja leicht neue bessere Turbinenschächte bauen, wenn man die Kraftwerke vorläufig doch noch brauchen sollte.
Die große Menge war bei diesem Schauspiel jedenfalls auf ihre Kosten gekommen und machte ihrer Begeisterung in unendlichem Toben und Lärmen Luft.
Das Experiment William Jefferson war zu Ende. War es wirklich gelungen? Erst nach Tagen, vielleicht nach Wochen würde man darüber etwas wissen können. Dann erst, wenn die entfesselten Wassermassen wieder abgelenkt, der Zutritt zu dem Versuchsstollen wieder frei sein würde. Dann vielleicht, wenn die tobenden Fluten den ganzen Apparat nicht etwa mitgerissen und alle Ergebnisse fortgeschwemmt hatten. Jetzt wußte man noch nichts darüber. Aber schon jetzt war es für jeden Fachmann klar, daß es viele Millionen und lange Arbeit kosten würde, um die verhängnisvollen Folgen dieses Experimentes zu beseitigen und den alten Zustand der Kraftwerke wiederherzustellen.
Abendgesellschaft im Königsschloß von Madrid. Schimmernde Uniformen hoher Offiziere mischten sich mit dem schwarzen Kleid der obersten Beamten und Diplomaten. Wie ein bunter Flor dazwischen die vielfarbigen glänzenden Toiletten der Damen.
Der neue Hof. Die ganze neue Gesellschaft, die sich um diesen Hof scharte. Darunter wohl einige schiffbrüchige Existenzen der alten Gesellschaft… Alles war versammelt. Trotzdem offensichtlich eine gewisse Auswahl unter den farbigen Vertretern getroffen war, sah man doch so ziemlich alle Typen des nordafrikanischen Völkergemisches. Hier der stolze gelassene Maure, dort der schlanke rassige Berber. Neben dem eleganten Tunesier der blonde, blauäugige Rifkabyle. Dazwischen die Kreuzungen aller dieser Rassen. Mischlinge aus europäischem und afrikanischem Blut.
Unter den Damen die gleichen Erscheinungen. Die entblößten Nacken und Arme blitzten von kostbarem Schmuck, übergossen vom Sonnenglanz der elektrischen Lampen.
An der Seite der Fürstin Iraklis, welche für die fehlende Hausfrau die Honneurs machte, Prinz Ahmed Fuad, der Bruder des Kalifen. Das Antlitz schwach gebräunt, unter den schweren Lidern ein paar dunkle Augen. In ungezwungener Haltung begrüßte er jeden Gast mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit.
Jetzt verweilte er lange bei einem hohen Offizier, dem der linke Ärmel leer an der Uniform hing. Das war Fürst Murad Iraklis, der berühmte Führer der maurischen Vorhut. Sein Haar war stark ergraut, doch straff die Haltung, ungebeugt die Gestalt. Das ebenmäßig geschnittene Gesicht, die helle Hautfarbe ließen ihn durchaus als Europäer erscheinen. Fürst Iraklis, der Georgier, der Kaukasus seine Heimat. Doch nach einem Zwist mit Soliman el Gazi, dem Kalifen des neuen asiatischen Reiches, war der Feuerkopf außer Landes gegangen, war der Paladin des maurischen Kalifen geworden.
An seiner Seite ein junges blondes Mädchen. Nordländischer Typ unverkennbar. Bewundernd blickten die blauen strahlenden Augen auf das glänzende Bild dieser Gesellschaft… und doch wäre ein gewisser müder, abgespannter Ausdruck in den feinen