Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz


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Austern. Melitta eine Estin.«

      Austern? Mir gar nicht aus der Zeit erinnerlich. Ich hatte einen Mäzen. Einen Metzgermeister, der einmal in der Woche aus Edingburg zum Markt herüberkam und ein Reichsdeutscher war.

      Wenn ich an dessen Stand trat, um eine Kleinigkeit zu kaufen, begrüßte er mich lebhaft deutsch, sagte aus weitem Herzen rauh: »Landsmann, willst du was Schweinernes? Ein Kotelett?« Und schon hieb er mit großen Beilschlägen fünf Rippen aus einer Schweinebrust. Reichte sie mir ohne Papier und reichte mir seine große, blutbefleckte Tatze. »Kostet nichts, Landsmann; auf Wiedersehen.«

      Wie war ich manchmal reich in Armut.

      Ich wartete dringend auf zweihundert Mark, die mir der Maler Seewald aus München schicken sollte und die meinen Honoraranteil für die »Schnupftabaksdose« darstellten.

      Wieder einmal versetzte ich meine Manschettenknöpfe in Riga, um mit Fanjka und Wanjka und deren Freundin Säuberlich ein Maskenfest mitzumachen. Als Zigeunerin hatte ich mich verkleidet, trug eine schwarze Perücke und am Arm ein Körbchen mit Knöpfen, Zwirnsrollen und Nähnadeln. Davon hatte ich schon auf der Fahrt nach Riga einiges an lettische Arbeiter verkaufen müssen, weil sie mich für echt hielten und ich sie nicht enttäuschen mochte. Einigen mußte ich sogar wahrsagen. Ich tat das gern und gutgespielt, weil ich froher Stimmung war. Als ich aber am nächsten Morgen müde und in meinen dünnen Kleidern sehr frierend und durch allerlei Mißgeschick verärgert nach Bilderlingshof zurückkehrte und unter den lettischen Frühaufstehern Aufsehen erregte, belästigt und wiederum verteidigt wurde, da hatte das Maskenspiel ein häßliches Ende und erfüllte mich mit Abscheu und Reue.

      Frau Dora Kurs in Eisenach kümmerte sich nach wie vor eifrigst um mein Schicksal. Nun schrieb sie, daß sie durch die Zeitung eine Stellung für mich als Privatbibliothekar ermittelt hätte. Sie hatte einem Grafen Yorck von Wartenburg meine Adresse mitgeteilt, damit er sich direkt an mich wenden könnte.

      Auf dieses Schreiben wartete ich nun aufgeregt. Und es traf eines Tages ein, das heißt nur ein leerer Briefumschlag, aus dem gräflichen Fideikommiß. Ich fragte den Briefboten, wo der Inhalt des Kuverts wäre. Er zuckte die Achseln.

      Wanjka lachte, als ich ihr die Geschichte erzählte. »Gib ihm fünfzig Kopeken«, sagte sie.

      Am nächsten Tage zeigte ich dem Briefträger nochmals das leere Kuvert und schenkte ihm fünfzig Kopeken. Am übernächsten Tag hatte er den Brief zu dem Kuvert gefunden. Graf Yorck von Wartenburg fragte nach meinen Vorkenntnissen und erbat Zeugnisse. Die ließ ich mir aus München zuschicken. Auch Seebach stellte mir ein Empfehlungsschreiben aus.

      Ich hungerte und fror. Wanjka und Fanjka veranlaßten Freunde, mir diskret zu helfen. So kam ich in den Besitz eines kostbaren Schlittenpelzes aus Persianerfell. Du lieber Gott, ich zog ihn morgens zum Holzhacken und Heizen, zum Aufwaschen und Scheuern an. Er war so herrlich warm.

      Ein Redakteur einer deutschen Zeitung in Riga forderte mich auf, doch einmal ein Feuilleton für sein Blatt zu schreiben, irgend etwas aus meinem Leben in Bilderlingshof. Das feuerte mich an. Ich verfaßte eine Skizze »Von Schuster Pix bis zum Nordpol«. Zwei Tage arbeitete ich daran. Der Redakteur schrieb mir, daß es ihm sehr leid täte, mir nur acht Rubel dafür zahlen zu können, denn er sehe wohl, daß ich seinen Auftrag viel zu schwer genommen und statt einer journalistischen Plauderei ein Dichtwerk geliefert hätte.

      Acht Rubel waren viel für mich, aber sie schmolzen in meinen Schulden rasch dahin. Ich konnte die lettische Waschfrau noch immer nicht bezahlen. Auch nicht, als ich aus Deutschland einen Zwanzigmarkschein erhielt. Denn den Arzt, den einzigen Deutschen in der Gegend, der mir den Schein hätte umwechseln können, traf ich am Vormittag nicht an. Mittags schickte die Waschfrau fünf lettische Männer mit Knüppeln in mein Haus. Ich sah sie kommen, versteckte mich und öffnete nicht, solange sie auch läuteten. Sie aber ersahen aus den Schneespuren, daß ich ins Haus gegangen war und es nicht wieder verlassen hatte. Sie fluchten wild und versuchten, die Tür mit Fußtritten einzuschlagen. Ich hörte es zitternd in bösem Gewissen. Die Tür war solid, und die Letten zogen endlich ab.

      Ich wartete auf die zweihundert Mark von Seewald, preßte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe, spähte nach der Straße. Ließ den Faustwalzer spielen, ging stundenlang in der Veranda auf und ab und kam mit meinen Grübeleien auf mißtrauische Gedanken, die dem redlichen Seewald sehr unrecht taten.

      Die Korrespondenz mit dem Grafen Yorck spann sich weiter. Wieder traf ein leeres Kuvert von ihm ein. Diesmal gab ich dem Briefträger sofort fünfzig Kopeken, und er zog sofort ganz schamlos den fehlenden Brief hervor. Ich nahm ihm das nicht einmal übel. Durch die Post nur konnte meine Rettung aus dieser tödlichen Einsamkeit kommen.

      Sonntags wurde keine Post ausgetragen. Da ging ich zu Fuß an den Eisenbahnschienen entlang, drei Werst weit bis Majorenhof. Vor dem Posthaus traf ich den jungen Postgehilfen an, wie er nasse Holzstückchen aus dem Schnee auflas. Da er deutsch sprach, fragte ich, was sein Tun bedeute. Holz war doch so billig im Baltenland, daß man sogar die Lokomotiven mit Buchenholz heizte. Der Gehilfe klärte mich auf. Selbstverständlich stand seinem höheren Chef ein Geldfonds für Heizmaterial zur Verfügung. Selbstverständlich unterschlug dieser Chef dieses Geld. Ich ging in Gedanken den Weg von oben nach unten bis zu dem leeren Kuvert.

      Nichts hatte ich mehr zum Versetzen. Mit Mühe brachte ich so viel Geld zusammen, daß ich nach Riga fahren konnte, um Wanjka nochmals anzupumpen, was mir nachgerade sehr peinlich wurde. Ich traf sie nicht an. So irrte ich den ganzen Nachmittag trostlos in den Straßen umher. Abends begegnete mit Wanjka. Sie war in Begleitung ihres Freundes. Ich genierte mich, mein Anliegen vorzubringen und tat auch so, als wäre ich eben angekommen und gar nicht in Wanjkas Wohnung gewesen. Wanjka aber unterbrach mich erstaunt und sagte laut vor dem Baron: »Warum lügst du denn? Ich weiß doch, daß du bei mir warst. Wahrscheinlich brauchst du Geld. Das kannst du doch offen sagen.«

      Wanjka war ein Mädchen, ist heute eine Frau und nach wie vor eine treue Freundin von mir, der ich nicht eine einzige Lüge nachweisen könnte, nicht mal eine Lüge aus Höflichkeit oder Rücksicht.

      Ich wartete auf die zweihundert Mark, auf die ich doch ein ehrliches Anrecht hatte.

      Ich depeschierte an Seewald, lustig, dann dringend, dann drohend.

      Ein vorwurfsvoller und doch gütig beherrschter Brief meines Vaters traf ein. Fanjka, die selbst nichts mehr für mich tun konnte, hatte heimlich an ihn geschrieben, meine Lage geschildert und ihm nahegelegt, mir doch das Geld für die Rückfahrt nach Deutschland zu schicken. Vater teilte mir mit, daß er seinen Rigenser Freund, den Bankier und Dichter Julius Meyer, beauftragt hätte, mir das Reisegeld auszuzahlen. Fanjka hatte in bester Absicht gehandelt, aber ich war sehr aufgebracht darüber, daß sie das hinter meinem Rücken getan hatte. Ich sandte meinem Vater ausführliche Erklärungen über meine Lage, erwähnte die zweihundert Mark vom Piper-Verlag und meine sichere Aussicht auf eine Stellung als Bibliothekar. Ich dankte ihm für das Geld und versprach, es ihm pünktlich zurückzuzahlen.

      Dann suchte ich Herrn Meyer auf. »Der durstige Meyer« wurde er genannt, weil er einen guten Tropfen liebte. Er hatte auch gute Gedichte geschrieben. Sehr freundlich und wohltuend humorvoll nahm er mich auf und führte mich sogar abends in einen Klub ein, der sich Krakenbank nannte. Bei jeder Sitzung mußte ein Mitglied seinen Geburtstag feiern, ganz gleich, ob das zeitlich stimmte oder nicht, und bekam dann eine ehrenvolle Halskette leihweise umgehängt. Das Vereinslokal lag unter der Erde, die Wände waren mit Seeungeheuern bemalt. Auf einem hohen Bord standen heilig bewahrt die Stammkrüge verstorbener Mitglieder.

      Die Briefe des Grafen Yorck waren von ausgewähltester Höflichkeit. Ich bemühte mich, es ihm gleichzutun und redete ihn in meinen Antworten mit Erlaucht und in der dritten Person an, obwohl ich herausgebracht hatte, daß ihm das gar nicht zukam.

      Ich wurde als Bibliothekar au pair bei ihm engagiert.

      Klein-Oels

       Inhaltsverzeichnis

      Es war am 4. Februar 1912, da mich eine Equipage auf dem


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