Apokalypse Pallantau. Arno Endler
„Ich muss die Station aufgeben. Ich sende die Bilder direkt an die Zentrale, damit man sich dort einen Eindruck von der Katastrophe bilden kann. Wie lange die Station dies hier überstehen wird, ist mir nicht klar, aber ich schalte alles auf Automatik.“ Macon wischte sich den Schweiß von der Stirn, hörte das Röhren der Ventilatoren, die gegen die unmenschliche Hitze ankämpften, jedoch die Schlacht allmählich verloren.
Nun verstand er, weshalb ihm so warm war.
Die unterirdischen Magmaströme würden die Station vernichten. Sie kamen näher, die hellgelben Flüsse griffen wie Finger nach ihm, bereit, ihn einzuschließen und zu töten.
„Es wird eine gewaltige Eruption stattfinden, Primus. Irgendwohin müssen die flüssigen Gesteinsmassen. Etwas schürt den Ofen, drückt den Kern in Richtung Kruste. Ich befürchte, wir können nichts dagegen unternehmen. Ich selbst werde jetzt den Lift an die Oberfläche nutzen, solange er noch funktioniert. Falls ich es bis zum Ozean schaffe, nehme ich das Schiff, um zum Mount Elias zu kommen. Ich melde mich via LR-Verbindung, sobald ich an Bord bin. Wenn Sie mir noch etwas mitteilen wollen, beeilen Sie sich bitte mit der Antwort. Meine Zeit wird knapp. Errki Ende.“
Macon initiierte die Notfallprotokolle und Automatiken. Sämtliche Daten sollten an die Zentrale gesendet werden.
Mit Schrecken sah er, dass einer der Magmaströme steil nach oben abbog und sich dem Fahrstuhlschacht zur Oberfläche näherte. Der Ingenieur schaute auf die Zeitanzeige. Er würde höchstens dreißig Sekunden warten.
Zu seiner Überraschung kam die Antwort prompt. „Zivis Errki! Wir danken Ihnen für Ihren Einsatz und wünschen Ihnen alles Gute für die Heimkehr. Bringen Sie sich in Sicherheit. Primus Arneus, Ende!“
Macon sprang so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte.
Er rannte zur Tür, die sich automatisch öffnete, dahinter war der Flur, über den er zu dem Lift gelangte. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis die Schiebetür beiseitegeglitten war. Macon quetschte sich hindurch, wartete nicht, bis sich die Türen in der Endposition befanden, sondern hämmerte auf den Schließen-Button.
Macon drückte die Automatik-Steuerung weg, wechselte auf dem Kontroll-Display zur manuellen Bedienung und gab den Notfall-Code für den Express-Aufstieg ein.
Nun würde er rund eine Minute bis zur Oberfläche benötigen, zehnmal schneller als üblich.
Er legte sich mit dem Rücken auf den Boden, um dem Andruck möglichst zu entgehen, fluchte innerlich, weil die Türen nur langsam schlossen, und sah dann dem Countdown auf dem Display zu.
3, 2, 1. Mit einem Ruck, der ihm den Atem nahm, sauste die Zwei-mal-ein-Meter-Kabine in die Höhe.
Macon spürte Hitze an seinem Rücken, vermutete jedoch, dass er es sich lediglich einbildete. Das Material war hochgradig hitzeabweisend. Es konnte nicht sein.
Doch dann dachte er an die Wärmetauscher, die Überhitzung gemeldet hatten. Wie hoch mussten die Temperaturen sein, damit ein solches Gerät überhitzte?
Macon wollten die Zahlen nicht einfallen. Irgendwie funktionierte sein Kopf nicht so gut wie üblich.
Die Fahrt wurde merklich langsamer.
War er schon oben?
Der Lift stoppte. Aber die Türen öffneten sich nicht.
Macon hypnotisierte das Display, auf dem die Zahl Minus 15 auftauchte.
Der verdammte Fahrstuhl war kurz vor der Oberfläche zum Halten gekommen.
„Weiter! Los jetzt!“
Ein Ruck fuhr durch die Kabine, danach zerfetzte ein metallisches Kreischen Macons Nervenkostüm. Die Geräusche wurden lauter und lauter, bis der Ingenieur sich mit den Händen die Ohren zuhielt.
Minus 14.
Der Lift bewegte sich wieder.
Irgendetwas in der Röhre musste ihn aufhalten und nur langsam setzte sich die schiere Kraft der Notfall-Express-Maschinen durch. Hoffentlich hielten die Plast-Seile.
Macon sah zu, wie die Anzeige auf Minus 12 wechselte.
„Oh, bitte. Ich will Sabi wiedersehen“, flehte er stumm einen Gott an, an den er schon lange nicht mehr geglaubt hatte.
„Hilf mir bitte!“
Minus 10.
„Bitte.“
Macon spürte eine schmerzende Hitze seine Nackenhaare versengen. Er rückte von der Kabinenwand ab. Tränen traten ihm in die Augen. Ihm wurde nun klar, dass ein Magmastrom, der den Fahrstuhlschacht erreichte, mit enormer Geschwindigkeit nach oben schießen würde.
Er steckte in einer Todesfalle.
Minus 8.
Dann presste Macon der Andruck einer plötzlichen Beschleunigung zu Boden. Sein Kopf schlug auf dem harten Plast-Stahl auf und für einen kurzen Moment verlor er den Bezug zur Wirklichkeit.
Als er wieder klar sah, schoben sich die Türen auseinander. Kühle Luft füllte den Raum. Macon rappelte sich auf, rannte aus dem Lift und aus dem winzigen Gebäude, das als oberirdischer Zugang zur Energiestation diente. Draußen hinderte Nebel seine Sicht. Der Pfad hinunter zum Meer, wo das Schiff lag, war jedoch deutlich zu erkennen, da man das allgegenwärtige Gras mit einem plattenbedeckten Weg zurückgedrängt hatte.
Macon lief, bis ihm der Atem wegblieb. Seitenstechen ließ ihn kurz innehalten und schließlich langsamer weitergehen.
Er überlegte, wie viel Zeit ihm wohl blieb. Wenn es zu einem Ausbruch kommen würde, dann war es auf dem Meer am sichersten. Während der gesamten Kolonisierungsphase und der Erforschungsperiode Rannuiemmis hatte es niemals Hinweise auf vulkanische Aktivitäten gegeben. Was in den nächsten Stunden geschehen würde, darüber konnte man nur spekulieren.
Es gab keine Vulkankegel oder ehemalige Calderas an der Oberfläche. Woher kamen also diese unerwarteten Magmaströme?
Macon keuchte in der schwülen, stickigen Luft. Das Seitenstechen ließ nach, als er kurz stoppte.
Der Nebel irritierte ihn. Es grummelte unter seinen Füßen, ein dumpfes Grollen näherte sich. Macon vermisste das Plätschern der sanften Brandung am Anlegeplatz. Es konnte doch nicht mehr weit sein.
Der Nebel vor ihm wechselte die Farbe in ein giftiges Grüngelb. Ein stechender Duft, der ihn an Schwefel erinnerte, jedoch nicht ganz so ekelig war, eher süßlich und verführerisch, drang ihm in die Nase.
Er musste niesen.
Irgendwo in der Nähe zischte es laut, bis das Geräusch in einen hellen, singenden Pfeifton überging.
Macon schleppte sich weiter. Das Seitenstechen quälte ihn bis hin zum Schmerz.
Endlich erreichte er die Plattform, die auf das Meer hinausragte. Inzwischen war der Nebel so dicht, dass er gerade mal die Bretterstruktur der Anlegestelle erkennen konnte. Darüber hinaus versank alles im diffusen grüngelben Schleier.
Auf welcher Seite des Steges hatte er das Schiff festgemacht?
Macon schimpfte sich innerlich einen vergesslichen Idioten. Er ließ sich auf alle Viere nieder, hustete und krabbelte weiter voran, um den Pfosten nicht zu verpassen, an den das Schiff gebunden war.
Der süßliche Geruch wurde stärker, das Donnergrollen von der Station her verklang, wurde ersetzt durch ein Rauschen, das viel bedrohlicher auf Macon wirkte.
„Wo bist du? Wo bist du?“, murmelte er, suchte im immer dichter werdenden Dunst mit der Hand am Rand des Steges entlang, bis er endlich ein Tau ertastete.
„Ja! Da bist du!“
Macon zog daran und registrierte einen unerbittlichen Widerstand. Das Schiff ließ sich nicht näher ziehen.
„Verdammt!“
Er krabbelte weiter vor, bis er die Planke fand, über die der Steg mit dem Schiff verbunden