Winzerschuld. Andreas Wagner

Winzerschuld - Andreas Wagner


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      Andreas Wagner ist Winzer, Historiker und Autor. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karls-Universität in Prag hat er 2003 zusammen mit seinen beiden Brüdern das Familienweingut seiner Vorfahren in der Nähe von Mainz übernommen. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. www.wagner-wein.de/Krimi

      Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

      © 2020 Emons Verlag GmbH

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagmotiv: Nilufer Barin/Arcangel.com

      Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

      Umsetzung: Tobias Doetsch

      Lektorat: Marit Obsen

      E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

      ISBN 978-3-96041-661-6

      Originalausgabe

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      Für Elisabeth

      geboren am 8. Oktober 1886,

      gestorben um den 20. Februar 1945 in Hadamar

      »Fassenacht« ist ein durch das Brauchtum legitimierter mehrtägiger alkoholischer Ausnahmezustand, der fast jede Form menschlicher Ausfallerscheinungen entschuldigt.

      Unbekannter Fassenachtsanalyst

      Prolog

      Der schmale Weg leuchtete im Mondlicht. Unter ihren Füßen knirschte der Schotter. Sie wollte ihre brennenden Augen schließen, nur mit allergrößter Mühe konnte sie die Lider offen halten. Angestrengt schleppte sie sich vorwärts. Ihre Knie und die heißen Füße in den Turnschuhen schmerzten bei jedem Schritt. Ach, wäre sie doch schon daheim in ihrem Bett. Sie sehnte den Moment herbei, in dem sie endlich die Beine und auch den Rest ihres erschöpften Körpers ausstrecken konnte.

      Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken. Ein sanfter Druck zwischen ihren Schulterblättern, der guttat und ihr die Richtung vorgab in dieser Nacht, die so schön begonnen und doch im totalen Chaos geendet hatte. Wie immer, weil sie die Kontrolle verloren hatte. Über sich und alles um sich herum. Sie schluckte und schloss nun doch die Augen, durch die Tränen hindurch konnte sie jetzt ohnehin nichts mehr sehen. Er schob sie sanft, aber entschlossen weiter dem Ziel entgegen, das nicht mehr weit sein konnte.

      Die Müdigkeit drohte sie zu übermannen, schon jetzt, auf dem Weg zu seinem Auto. Der Kampf gegen den Schlaf würde sich als aussichtslos erweisen, wenn sie erst einmal auf dem weichen Polster des Beifahrersitzes Platz genommen hatte. Sie wusste, dass sie dann keine Chance mehr hatte. Er würde dafür Verständnis haben und sie in Ruhe schlafen lassen. Sie wollte nicht reden, nicht über Belanglosigkeiten und schon gar nicht darüber, dass sie immer auf die Falschen traf. Sie schluchzte laut auf und sank noch etwas mehr in sich zusammen.

      Mühsam ging sie weiter, setzte schwerfällig einen Schritt nach dem anderen. Blind, mit geschlossenen Augen, durch die weiter ihre Tränen quollen. In schmalen Strömen bahnten sie sich ihren Weg. Die Schminke war sowieso längst ruiniert. Zum Fürchten sah sie aus. Verheult, weil sie wieder einmal realisiert hatte, dass sie sich zu schnell an jemanden geklammert hatte, der es nicht wert war. Lag es am Überschwang und der Euphorie, die die halbe Flasche süßer Sekt in ihr entfacht hatte, oder fehlte es ihr schlicht an Urteilsvermögen? Wie sollte man denn die Richtigen von den Falschen unterscheiden? Er war ein richtiges Arschloch gewesen!

      Sie rieb sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen und versuchte, durch den Schleier, der blieb, abzuschätzen, wie weit sie noch zu laufen hatte. Sie musste die Augen weit aufreißen, um überhaupt etwas erkennen zu können. Der Druck seiner Hand auf ihrem Rücken verstärkte sich. Er schob sie unerbittlich weiter, obwohl sie gern für einen Moment stehen geblieben wäre. War das überhaupt der Weg zum Parkplatz? Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie stemmte sich gegen den Druck auf ihrem Rücken, schluckte, um den Mund frei zu bekommen für die Worte, die sie dann doch nicht herausbrachte. Vor ihren Augen drehte sich alles. Sie wankte. Die Fragen, die ihr in diesem Augenblick zäh wie Watte durch den müden Schädel flossen, verstärkten den Schwindel.

      Der feste Griff seiner zweiten Hand, die sie jetzt auf ihrer Brust spüren konnte, ließ sie zusammenzucken. Sie riss den Mund auf und wollte schreien. Ein erstickter Laut löste sich aus ihrer Kehle. Sie glaubte, gar nicht weit entfernt Stimmen und das Schlagen einer Autotür zu vernehmen. Er zog sie an sich, presste sie gegen seine Brust. Sie versuchte, sich aus der Umklammerung herauszuwinden. Ohne Erfolg. Er riss an ihrer Bluse. Die Knöpfe sprangen fort und hüpften munter über den Schotter. Gleich darauf spürte sie seine rauen Handflächen auf ihrer Haut. Er zerrte den BH zur Seite und quetschte ihre Brust so sehr, dass sie vor unbändigem Schmerz endlich schreien konnte. Sie brüllte heiser. Das Geräusch wurde sogleich von seiner groben Hand erstickt, die sich fast über ihr gesamtes Gesicht legte. Sie versuchte Luft zu bekommen, während er sie auf den Boden drückte. Ihre schwarze Perücke fiel ihr vom Kopf. Sie schlug wild um sich und traf ihn, ohne dass ihn das davon abbrachte, sich auf sie zu setzen. Das Gras, in dem sie lag, war eisig und feucht.

      Als er die Hand von ihrem Gesicht nahm, rang sie gierig nach Luft. Doch bevor sie erneut schreien konnte, hatte er ihren Hals mit beiden Händen umfasst. Schmerz durchfuhr sie. Sie versuchte mit letzter Kraft, sich aufzubäumen. Sein Gewicht hielt sie unten. Gedämpfte Stimmen drangen an ihr Ohr. Gelächter. Aus den Augenwinkeln konnte sie ein Pferd erkennen, das sich vorsichtig näherte. Es starrte sie aus dunklen Augen an und bewegte neugierig den Kopf auf und nieder. Dann legte sich eine große, dumpfe Schwärze über alles. Sie seufzte und fiel immer tiefer hinab in die endlose Dunkelheit.

      1

      Er hatte ihn mehr als einmal darauf angesprochen. Zwecklos! Zuerst hatte er ihm gar nicht zuhören wollen, beim nächsten Mal hatte er gelacht und sich lustig über ihn gemacht. Das feindselige Blitzen in seinen Augen hätte ihn damals schon stutzig machen sollen, das Bild flimmerte sofort wieder vor ihm auf. Doch seit ihrem dritten Zusammentreffen wusste er, dass er richtig lag. Es war keine bloße Vermutung mehr, kein Verdacht, den die verblasste Erinnerung nährte. Bruchstücke von Gesprächen, die er nicht verstanden hatte. Dahingeworfene Halbsätze und Bemerkungen, die in seinem Gedächtnis erst lange Zeit später wieder aufgeblitzt waren und sich nun mit dem neuen Wissen verbanden, das er, von unbändigem Eifer getrieben, Schicht für Schicht freigelegt hatte. Wie ein rastloser Schatzsucher spürte er einem verborgenen Ziel nach.

      Beim dritten Mal war es ganz anders gewesen. Es war Monate her, doch er konnte sich noch genau daran erinnern. Selbst der Geruch dieses brennend heißen Sommertages im August hatte sich ihm eingeprägt. Draußen im Weinberg waren sie beide in der gleichen Sache unterwegs gewesen. Die Arbeiten an den Reben waren längst getan, doch in den Tagen zuvor war die Hitze unerträglich gewesen. Die Temperaturen hatten neue Rekordwerte erreicht, und die Weinbauschule verschickte Warnhinweise, dass vor allem bei den empfindlichen Sorten wie dem Riesling und dem Weißen Burgunder mit spürbaren Schäden durch Sonnenbrand zu rechnen sei: Die massive Sonneneinstrahlung ließ die Schalen der Beeren verbrennen, wie bei der menschlichen Haut bildeten sich Blasen. Die betroffenen Trauben waren nicht zu retten. Sie trockneten ein und fielen ab. Folgten der Hitze ein paar feuchte Tage, stellten die zerstörten Früchte den Nährboden für schnell um sich greifende Fäulnis dar.

      Im Unterschied zu den anderen Kollegen hatte er seine wenigen Parzellen bisher nicht entblättert. Er war einfach noch nicht dazu gekommen, weil er alles allein machen musste, während die anderen ihre Rumänen im Einsatz hatten. Seine Trauben hingen dadurch beschattet und waren weniger gefährdet. Manchmal war es eben gar nicht so schlecht, etwas hinterherzuhinken, auch wenn er sich deswegen oft dumme Bemerkungen der lieben Winzerkollegen anhören musste. Aber das war


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