Die alte Wassermühle. Diana Menschig

Die alte Wassermühle - Diana Menschig


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schließlich auf den Vater von Hänsel und Gretel, wobei Lotte mir am nächsten Abend anvertraute, dass er mit den buschigen Augenbrauen und der kleinen Narbe auf der linken Wange auch ein Wikingerkönig sein könnte. Mir wurde sehr schnell klar, dass sie sehr wohl mitbedacht hatte, dass es sie zu einer Prinzessin machen würde, wäre ihr Vater ein König. Was mich wunderte. Unsere Tochter war eher ein weiblicher Robin Hood oder die Rote Zora; rosa Tüll oder Puppenkaffeekränzchen konnte sie wenig abgewinnen, erst recht nicht, seitdem wir in der Mühle mitten im Wald lebten. Aber für Wikingerprinzessinnen galten sicherlich wieder andere Regeln, und Lotte ging es vielleicht auch um Segelschiffe und Ponys.

      »Was ist nun?« Gregor nahm meine Hände in seine Riesenpranken und rieb sie sanft. Erdbröckchen und Holzfasern krümelten auf das aufgeschlagene Gästebuch, und der Geruch von Wald und Harz stieg mir in die Nase. Ich erinnerte mich wieder. Dafür hatten wir das getan. Diese Mühle gekauft. Über Monate renoviert. Um zu diesen ursprünglichen, einfachen Dingen zurückzukehren: die Natur, der Bach und das Wasser, Holz und Erde. Für uns, unsere Tochter und unsere Gäste. Nur die Sache mit den Gästen wurde allmählich zum Problem.

      »Das Paar vorhin wollte eigentlich zwei weitere Nächte bleiben und ist stattdessen heute schon aufgebrochen. Sie haben letzte Nacht kein Auge zugemacht.« Ich schluckte beklommen. »Außerdem kamen per Mail vier Stornierungen für die kommenden Wochenenden. Zwei begründen ihre Absage sogar mit den schlechten Bewertungen im Internet.« Ich zeigte auf den Bildschirm neben mir. »Wir haben 2,4 von 5 Sternen, und das nur, weil Cafébesucher gute Wertungen hinterlassen. Wir können nur hoffen, dass sich das nicht auch auf den Cafébetrieb auswirkt, ansonsten sind wir schneller pleite, als wir Mühlrad sagen können.«

      Gregor brummte zustimmend. »Es ist das Mühlrad, ja? Das Quietschen.«

      »Es ist verrückt, oder? Weißt du noch, die ersten Tage hat es uns fast wahnsinnig gemacht. Aber inzwischen höre ich es gar nicht mehr, vor allem wenn der Bach viel Wasser führt und rauscht.«

      »Tja.« Er zupfte sich am Ohrläppchen, eine typische Geste, wenn er unsicher war. »Geht mir genauso, aber du sagst ja auch immer, dass unter meinen Vorfahren Bären gewesen sein müssen.«

      Ich lächelte. Gregor hatte kaum Schwierigkeiten gehabt, sich einzugewöhnen. Wenn er schlief, dann schlief er, da könnte um ihn herum die gesamte Mühle zusammenbrechen.

      »Wie viele Gäste haben sich denn bisher beschwert?«, fragte er.

      Ich schloss kurz die Augen und fegte mit der Hand den Dreck vom Gästebuch. Dann schlug ich es zu und holte tief Luft. »Alle.«

      »Ist das dein Ernst?«

      »Ja.« Ich wandte mich dem Monitor zu und öffnete die Buchungsübersicht. »Na ja, ich frage beim Check-out, und niemand war richtig glücklich und zufrieden. Ungefähr die Hälfte hat von sich aus etwas gesagt, davon wiederum habe ich einem Drittel den Preis zumindest teilweise erstattet. So wie diesem Paar eben gerade. Bei denen besteht zumindest die Hoffnung, dass sie uns nicht bewerten werden. Die sind zu alt fürs Internet.«

      »Darauf würde ich mich nicht verlassen.« Gregor seufzte leise. »Dann sollten wir das Mühlrad vielleicht doch blockieren.«

      Ich strich mir eine blonde Strähne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. »Willst du das wirklich wagen?«

      »Hast du eine bessere Idee? Erst mal nur für die Nacht. Morgen früh können wir es ja wieder quietschen lassen.«

      Ich nickte unsicher. Ich hatte keine bessere Idee, natürlich nicht. Aber der städtische Verwalter, der uns vor dem Kauf der Mühle mit allen relevanten Informationen versorgt hatte, hatte uns eindringlich davor gewarnt, das Mühlrad anzuhalten. Wir hatten beharrlich nachgefragt, doch keine seiner Antworten befriedigte uns. Er hatte etwas von Statik erzählt, von den Schwingungen, die das Gebäude benötigte, um im Gleichgewicht zu bleiben. In meinen Ohren klang das ziemlich esoterisch. Eine Mühle, die ihr Mühlrad braucht, um im Takt zu schwingen? Ich hatte eine Freundin zurate gezogen, die Architektin war. Rebekka hatte nur mit den Schultern gezuckt und sich herausgeredet. An Schwingungen und dergleichen glaubte sie nicht, hatte sie gesagt, doch die Mühle war über sechshundert Jahre alt und stand zweifellos auf weichem Untergrund. Das Waldgebiet um uns herum war vor Urzeiten ein Moor gewesen, jahrhundertelang überall systematisch be- und entwässert worden, um Torf abzubauen. Alte Gebäude und Statik, das wäre ohnehin eine heikle Sache, hatte Rebekka ergänzt, und das Risiko, dass sich irgendein Gebälk verschiebe, wenn das Mühlrad stillstünde, würde sie nicht eingehen wollen. Mit anderen Worten: Gregor und ich könnten machen, was wir wollten, eine Garantie, dass nichts passiere, bekämen wir von ihr nicht.

      Wir beließen es zunächst dabei und stürzten uns in die Sanierung. Ein Mühlrad, das sich drehte, war ohnehin besser fürs Geschäft, dachte ich damals, und wer konnte schon sagen, ob uns nicht sogar dieser Stappen von der Denkmalschutzbehörde einen Strich durch die Rechnung machen würde, weil ein stillstehendes Rad weniger authentisch wäre? Die ganzen Auflagen der Behörden machten uns das Leben ohnehin schwer genug.

      Gregor war schon an der Tür, als mich wieder dieses Gefühl beschlich, dass mir jemand über die Schulter schaute. Jemand mit ziemlich schlechter Laune. Es fühlte sich an, als würde mir jemand vor lauter Empörung kalten Atem in den Nacken pusten. Mir lief ein Schauder über den Rücken. Hektisch drehte ich mich um, ein Reflex, ich konnte mich gar nicht dagegen wehren. Natürlich war da nichts. Ich stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Frust und Erleichterung lag.

      Gregor war stehen geblieben, die Eingangstür stand halb offen. »Bianca, ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst nervös.«

      Ich fuhr wieder herum und blinzelte in den warmen Streifen Sonnenlicht, der durch die Tür schien. »Ja, ich bin nervös. Aber wir kriegen das schon hin.«

      »Na klar!«

      »Willst du es nicht noch einmal mit Kriechöl versuchen?« Meine Stimme überschlug sich ein wenig, und das machte mich wütend. Ich war sonst wirklich nicht empfindlich. Aber vor meinem Mann musste ich auch nicht die starke Frau markieren. Er wusste schließlich so gut wie ich, um was es hier ging. Die Mühle war unser gemeinsamer Traum, und den wollten wir beide unter keinen Umständen aufgeben.

      »Mach ich.« An seinem Tonfall hörte ich, dass er es nur tun würde, um mich zu beruhigen. »Ich glaube aber nicht, dass es dieses Mal helfen wird. Ich habe schon mindestens ein Dutzend Dosen reingesprüht.«

      »Ich weiß.«

      Ich wollte nicht weiter darüber reden, die Entscheidung war gefallen. Während ich ins Café ging, um unsere Aushilfe Martina abzulösen, trug Gregor das restliche Brennholz herein. Der Anblick des großen Kamins und des Holzstapels daneben ließ mich wieder zu mir kommen. Noch war es zu warm, doch ich freute mich schon auf ein prasselndes Feuer. Die Mauern der Mühle waren alt und dick, die Temperatur in den unteren Räumen das gesamte Jahr über konstant kühl. Darauf schob ich mein inneres Frösteln und die Gänsehaut. Mir ging es im Moment einfach nicht so gut. Das war doch ganz normal, wenn nicht nur ein Lebenstraum, sondern gleich die gesamte wirtschaftliche Existenz der Familie auf dem Spiel stand, oder?

      *

      Grimmig stemmte ich die Fäuste in die Hüften und schaute mich um. Es war kurz nach zehn, die letzten Frühstücksgäste saßen zufrieden vor ihren vollgekrümelten Tellern und würden gleich zahlen. Jetzt würde es eine gute Stunde ruhig werden, bevor zum Mittag der nächste Schwung kam. Wir hatten nur eine kleine Lunchkarte mit einigen Suppen, warmen Baguettes und natürlich unsere Kuchen.

      Martina legte sich ihre Strickjacke über den Arm und hängte sich die Handtasche über die Schulter. »Bist du sicher, dass ich erst um zwei Uhr zurückkommen soll?«

      Ich nickte. »Bis dahin schaffe ich es allein. Es sieht nach Regen aus, da werden die Radfahrer ausbleiben.«

      »Falls ich doch früher kommen soll, ruf einfach an.«

      Ich winkte ihr nach, während sie das Café verließ. Martina Küppers war eine Perle. Eine ehemalige Bauersfrau Ende fünfzig, die sich langweilte, seit ihre Kinder aus dem Haus waren. Den eigenen Betrieb hatten sie und ihr Mann schon vor einigen Jahren


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