Aufregend war es immer. Hugo Portisch
dort Bäume, also brauchten wir Sägen. Zum Glück ist es dann nicht dazu gekommen, obwohl wir bereits alle Details geplant hatten. So hatte sich eine andere Gruppe damit beschäftigt, wo die Güter, die ja in großen Mengen eingeflogen werden sollten, gelagert werden könnten. Da boten sich die Fußballplätze auf der Hohen Warte an.«
Wir fanden dann einen weiteren Zeugen, der allerdings nicht genannt werden wollte. Er stellte eine kühne Behauptung auf: »Mit den Landepisten wäre es ja nicht getan gewesen, die Flugzeuge mussten auch abgestellt und entladen werden. Ein Dutzend gleichzeitig. Nein, das wussten wir schon: Wenn wir Wien aus der Luft zu versorgen gehabt hätten, dann hätten wir auch den Karl-Marx-Hof schleifen müssen.« Eine Behauptung. Wir fanden kein Dokument, das einen Plan dieser Art bestätigt hätte. Unsere Schlussfolgerung: Als sich die Amerikaner über den raschen Bau eines Flugplatzes in Wien den Kopf zerbrachen und dabei auf die Heiligenstädter Straße kamen, wurde wahrscheinlich auch die Möglichkeit einer Schleifung des Karl-Marx-Hofes diskutiert.
Da waren die Briten schon konkreter. In London fanden wir die fix und fertig vorbereiteten Pläne zum Bau eines britischen Flugfelds auf der Simmeringer Haide, die zum britischen Sektor gehörte.
Aber die Amerikaner sorgten auch schon vor für den Fall, dass man mit dem Bau der Flugplätze nicht schnell genug fertig werden würde. Das bestätigte mir Eleanor L. Dulles, die Schwester des US-Außenministers John Foster Dulles und des CIA-Chefs Allen W. Dulles. Sie war damals als Finanz- und Wirtschaftsexpertin bei der amerikanischen Gesandtschaft in Wien eingesetzt. Ich traf sie in ihrem Washingtoner Heim. Sie berichtete mir: »Nach der versuchten Blockade an der Ennsbrücke beschlossen wir, in Wien große Vorräte an Lebensmitteln und Brennstoffen anzulegen, um einer Blockade wenigstens einige Wochen lang trotzen zu können. Es war eine geheime Operation, die unter dem Decknamen ›Squirrel Cage‹ (Eichhörnchen-Käfig) durchgeführt wurde. Die österreichische Regierung wusste davon, war eingeweiht. Die Sowjets fanden es auch bald heraus, es konnte nicht schaden, wenn sie wussten, dass wir vorbereitet waren.«
Die Sowjetblockade in Berlin dauerte fast ein Jahr, vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949. Zweck dieser Blockade konnte es nur sein, die Westmächte zum Verlassen Berlins zu bringen, um aus der Ostzone einen funktionsfähigen kommunistischen Staat zu machen, wie er dann auch als DDR gegründet wurde. So fürchteten die Westalliierten in Österreich durchaus, dass es nicht nur bei einer Blockade der Westsektoren in Wien bleiben würde, sondern dass das ein Vorspiel zur Teilung Österreichs sein könnte. Damit wurde allen Ernstes gerechnet.
Oliver Rathkolb fand das Dokument, das dies bestätigt, datiert mit 8. Januar 1948, abgesendet von der amerikanischen Legation in Wien an das State Department in Washington. »Geheim – betrifft die Teilung Österreichs«, gerichtet an den »Secretary of State«, also an den Außenminister persönlich. In dem Dokument werden die Vor- und Nachteile aufgezählt, die eine Teilung Österreichs für die Sowjetunion haben könnte. Dieser Bericht kommt zwar zu dem Schluss, dass vermutlich die Nachteile für die Sowjetunion größer wären, aber nach dem kommunistischen Putsch in Prag schließt man einen solchen Putschversuch in Wien nicht mehr aus.
Wie ein Damoklesschwert hing die Möglichkeit einer kommunistischen Machtergreifung damals über der Regierung. Bis wohin würde die Sowjetunion mit ihrer Expansion gehen? Was war Stalin bei der Konferenz in Jalta vom amerikanischen Präsidenten Roosevelt zugesichert worden? Jalta, das Stichwort für die Teilung Europas. Jalta, so hatte ich das Gefühl, wurde uns nie wirklich erklärt. Natürlich fand diese Konferenz Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Also habe ich die damaligen Berichte über diese Konferenz nicht zu Gesicht bekommen. Das musste ich nachrecherchieren. Über das Resultat dieser Recherche schrieb ich eine Serie in der »Tageszeitung«.
Check, re-check, double-check Journalismus, wie er sein sollte
1949 wurde Hans Kronhuber als Chefredakteur der »Tageszeitung« von Hermann Mailer abgelöst. Kronhuber wurde in den Bundespressedienst berufen, und nun stand mein Chefredakteur Hermann Mailer vor mir und sagte: »Sie fahren nach Amerika.« Amerika – das war damals, im Jahre 1950, ein weit entfernter Kontinent. Dorthin zu kommen, war für uns junge Journalisten kaum vorstellbar. Aber Mailer hatte soeben eine Anfrage des Bundespressedienstes – die damals wichtige Pressestelle der Regierung – erhalten, ob er auf mich in der Redaktion etwa ein halbes Jahr lang verzichten könnte. Es läge eine Einladung der »School of Journalism« der Universität Missouri vor, zehn junge österreichische Journalisten zur Weiterbildung an diese Journalistenschule zu entsenden.
Um es vorwegzunehmen: Das war und ist bis heute eine der besten Ausbildungsstätten für Journalisten in Amerika. Das Geld für diese Weiterbildung, so teilte der Bundespressedienst mit, komme aus der solche Ausbildungen fördernden »Rockefeller-Foundation«, die Patronanz und Durchführung des Projekts aber liege allein bei der Universität. Das State Department, das amerikanische Außenministerium, sei von der Universität um Unterstützung beim Transport der österreichischen Journalisten ersucht worden und habe dieses Ersuchen an die amerikanischen Militärbehörden in Österreich weitergeleitet. Es war der Bundespressedienst, der diese zehn Journalisten aussuchen und empfehlen sollte.
Ich war also offenbar einer der Ausgesuchten, aber alles Weitere hing nun von meinem Chef ab. Zu diesem Zeitpunkt leitete ich die außenpolitische Redaktion der »Tageszeitung«, war aber gleichzeitig auch der einzige außenpolitische Redakteur. Karl Polly war inzwischen Chefredakteur beim Hörfunk, Hans Dichand Chefredakteur bei der »Kleinen Zeitung« in Graz. Nur die Innenpolitik war mit zwei erfahrenen Journalisten an der Spitze gut besetzt, mit Gottfried Heindl, dem stellvertretenden Chefredakteur, und Richard Barta. Woher Mailer den Ersatz für mich nehmen wollte, war auch ihm noch unklar. Doch er erkannte die einzigartige Chance, die sich mir da bot, und wollte ihr nicht im Wege stehen. Wir saßen dann eine Zeit lang beisammen, um dieses Problem zu lösen. Ich schlug vor, einen der sehr vifen Lokaljournalisten in einem Blitzkurs als Außenpolitiker auszubilden.
Einen Monat später sollte es losgehen, per Eisenbahn nach Bremerhaven und von dort per Schiff nach New York. Doch da gab es einen kleinen Haken und von dem muss ich berichten: Ich leitete in der Zeitung nicht nur die Außenpolitik, sondern war auch zuständig für einen Teil der Besatzungspolitik, die ja fast zur Außenpolitik gehörte. In dieser Funktion hatte ich immer wieder zu berichten und auch zu kommentieren, was da in den von den Sowjetrussen in Besitz genommenen Industriebetrieben und besonders in den Erdölfeldern vor sich ging. Die Informationen darüber erhielt ich aus der Wirtschaftssektion im Ministerium für Wiederaufbau und Vermögenssicherung, in der – bis zu ihrer Verschleppung in die Sowjetunion – Margarethe Ottillinger zuständig war. Dort war man bemüht, stets herauszufinden, was gerade von den Sowjets aus den Betrieben und den Erdölfeldern entnommen und nach Osten abtransportiert wurde. Auch wichtig für die spätere Bewertung dieser Betriebe, für die Österreich vermutlich eine Ablöse zu zahlen haben würde.
Die »Tageszeitung« stand der Wirtschaft nahe und so war sie und damit ich ausersehen, Teile dieser Berichte zu veröffentlichen und gegebenenfalls heftig zu kommentieren. Ab und zu wurden wir dafür vom »sowjetischen Element« im Alliierten Rat abgemahnt. Dann wurde Margarethe Ottillinger an der Zonengrenze an der Enns vom sowjetischen Kontrollposten aus dem Auto geholt, in dem sie zusammen mit ihrem Minister von Linz nach Wien fahren wollte. Herausgeholt, verschleppt, in Moskau zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Das war für uns alle ein Alarmzeichen. Unter alle meine ich all jene Journalisten, die sich in den österreichischen Zeitungen mit der Berichterstattung über die Vorfälle in der Sowjetzone und in den beschlagnahmten Betrieben beschäftigten. Führend in dieser Berichterstattung war die »Arbeiter-Zeitung« unter der Chefredaktion von Oscar Pollak. In der Sowjetzone selbst recherchierte unter riskantem Einsatz sein Reporter Franz Kreuzer. Das lief dann unter der Rubrik »Die Unbekannten« – damit waren die Angehörigen der Sowjetarmee und ihre Taten gemeint.
Soweit die Vorgeschichte. Jetzt sollte ich nach Amerika reisen. Und mit dem Zug die Zonengrenze an der Enns überqueren, wo die Ausweise der Reisenden von den Sowjets genau kontrolliert wurden. Vorgesehen war die Reise mit dem normal von Wien nach Frankfurt am Main verkehrenden Zug. Zuständig für den Transport der zehn Journalisten von Wien bis New York war aber die amerikanische Militärbehörde, waren die United States Forces in Austria, kurz USFA.