Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
abweichende Gebräuche, wie dass die Ehelosigkeit der Geistlichen bei ihnen kein Gebot war, hauptsächlich aber waren sie, wenn sie auch mit dem römischen Papst in Beziehung standen, doch unabhängig von ihm, indem der Begriff der Fortpflanzung der göttlichen Priesterweihe durch den römischen Bischof bei ihnen nicht galt. Die Geringschätzung, mit welcher die Angelsachsen auf die Mönchskirche herabsahen, hatte vermutlich ihren Grund mehr darin, dass sie überhaupt die unterworfene Rasse verachteten, als in den Eigenheiten ihrer Verfassung. Mangel an Bildung konnte man den Iroschotten kaum vorwerfen, die sogar Griechisch verstanden und lehrten; es war wohl mehr etwas Regelloses, Schweifendes, Fantastisches in ihrem Wesen, was die Angelsachsen abstieß. Der sächsische Stolz war bei den Angelsachsen noch gesteigert; Winfried war von vornehmer Abkunft, dazu persönlich durch das Machtgefühl eines überragenden Geistes und unbeugsamen Charakters gehoben. Die Bekehrung der Friesen war eine Aufgabe der Zeit, zuerst vom Erzbischof von York versucht, der bei einer Romreise an die friesische Küste verschlagen war, während der Frankenherrscher Pipin von Heristall und dessen Sohn Karl sie mit dem Schwert zu unterwerfen trachteten. Der kriegerische Angriff verdoppelte die Widerspenstigkeit der Friesen gegen die Glaubensboten; denn der neue Gott stellte sich offensichtlich dar als der Gott von Feinden, die ihrer Freiheit nachstellten. Ein Sieg Pipins hatte zunächst Erfolg: der Friesenhäuptling musste einen Teil seines Landes abtreten und eine Tochter einem Sohne Pipins, Grimsald, zur Frau geben. Der angelsächsische Missionar Willibrord war Pipin als Gehilfe willkommen, er gründete das Kloster Echternach, stellte sich dem römischen Papst vor und wurde von diesem zum Erzbischof von Utrecht geweiht, demselben Ort, wo Radbod, der Friesenhäuptling, seinen Sitz hatte. Dieser rasche Erfolg war nicht von Dauer: Grimsald wurde auf der Reise zu seinem erkrankten Vater in der Kirche von Lüttich von einem Friesen ermordet, der, wie man glaubte, ein Beauftragter Radbods war. Als bald darauf Pipin starb, fiel das eroberte Gebiet ab. So war die Lage, als Winfried, etwa fünfunddreißig Jahre alt, sich dem verschütteten Werk zu weihen beschloss. Er fuhr nach Friesland hinüber und hatte eine Unterredung mit Radbod; dabei muss er den Eindruck unüberwindlichen Widerstandes empfangen haben, denn er kehrte bald in sein Kloster zurück, nicht um seinen Plan aufzugeben, sondern um ihn anders anzupacken. Winfried war nicht ein Glaubensbote, wie Columban, Gallus, Pirmin gewesen waren, die das Feuer ihres Glaubens auf die Heiden zu übertragen wussten, die Mensch und Tier durch die fremde Rede bezauberten, auch mit der Faust dreinschlugen, wenn das Wort nicht verfing; Winfried war ein Aristokrat, dem es mehr auf Kultur als Religion ankam, den das Ungeordnete mehr beleidigte als das Unchristliche. Als ein rechter Engländer sah er die Religion als Teil der staatlichen Ordnung an und beschloss, sein Bekehrungswerk nicht als ein Abenteurer gleichsam von unten aus im Herzen des Volkes, sondern von oben und außen her, als Organisation an die Hand zu nehmen, ausgehend von der Spitze der Kirche, dem römischen Papst. Nachdem er die eben erhaltene Abtswürde niedergelegt hatte, ging er nach Rom, um sich vom Papst die Vollmacht zur Missionspredigt zu holen. Auch die Romreise war etwas Zeitgemäßes, sie wurde von den britischen Inseln aus mit Vorliebe unternommen. Geistliche und weltliche Personen, männliche und weibliche folgten dem Zuge nach der Hauptstadt der Welt, nach dem heiligen Sonnenlande. Dort war, wie in unseren Tagen, eine Kolonie von Fremden, dort machte man interessante Bekanntschaften, dort trank man, gelöst vom Alltag, aus einem Lebensstrome, der über fabelhaften Ruinen voller als anderswo rauschte. Die vier Päpste, die Bonifatius erlebte, Gregor II., Gregor III., Zacharias und Stephan III., waren ihm gegenüber die Lässigeren, wenn sie auch auf seinen Plan, die fränkische Kirchenhierarchie aufzubauen, willig eingingen. Als Haupt der Christenheit sich fühlend, mochten sie denken, die Barbarenreiche würden ihnen ohnehin einmal als zeitige Frucht in den Schoß fallen, zum Teil waren sie mittelmäßige Leute, die nicht den immertätigen Geist des großen Angelsachsen hatten. Die Eigenschaften und Zustände des Nordens waren ihnen wenig bekannt, die Schärfe der Abneigung Winfrieds gegen die irischen Mönche und ihre Mission, gegen die verweltlichten fränkischen Bischöfe fühlten sie nicht mit. Andererseits waren sie gewöhnt, von den germanischen Christen als Schiedsrichter und Wissende in unzähligen Fragen des Staates, der Kirche, der Sitte angerufen zu werden. Sie waren die Inhaber der Tradition, von ihnen glaubte man erfahren zu können, was gültig war. Nachdem Winfried dem Papst Gregor II. förmlich gehuldigt und von ihm einen Kodex des kanonischen Rechtes empfangen hatte, unterwarf sich der stolze Sachse dem Urteil des römischen Bischofs mit erstaunlicher Selbstüberwindung. In den meisten Fällen waren die Entscheidungen der Päpste so verständig, dass sie ohne weiteres einleuchteten; aber in dem kanonischen Gesetz zum Beispiel, wonach geistliche Verwandtschaft, nämlich die Patenschaft bei demselben Kinde, ein Ehehindernis bildet, konnte er, obwohl er sich Mühe gab, begreiflicherweise keinen Sinn finden. Wie sollte er denen, die unter dieser Bestimmung zu leiden hatten, den Grund ihres Leidens begreiflich machen? Da der Papst darauf bestand, schluckte er den Bissen ohne Sinn hinunter. Wenn es seinen Begriff von Religion anging, wenn er sah, wie in Rom heidnischer Aberglaube ungerügt sein Wesen trieb, konnte er aber auch die Unterwürfigkeit abwerfen und den Papst wegen seiner unzeitigen Duldsamkeit abkanzeln, wie wenn er der Herr wäre. Ausgestattet mit der Vollmacht des Papstes hat der Apostel in Thüringen und Hessen das heidnische Volk bekehrt, Klöster gegründet und mächtig die heiligen Eichen vor den entsetzten Augen ihrer Verehrer gefällt; aber die Organisation und die Belehrung der Gebildeten lagen ihm mehr. Für diese hatte seine Erscheinung etwas Blendendes, namentlich für die gebildete oder nach Bildung strebende Jugend. Als er auf seinen Reisen im Nonnenkloster Pfalzel bei Trier einkehrte, dessen Äbtissin eine Enkelin des Merowingerkönigs Dagobert II. war, bestand ihr fünfzehnjähriger Enkel Gregor darauf, dem Fremden zu folgen; ebenso schloss sich ihm der junge Bayer Sturm an. Die Jugend wusste sich nichts Schöneres, als diesem Manne, der unentwegt ein hohes Ziel verfolgte, der alles Niedrige verabscheute, und der durch Niedriges unberührbar zu sein schien, zu dienen. Am liebsten waren ihm als Mitarbeiter seine Landsleute, die auf seinen Wink begeistert aus den angelsächsischen Klöstern herbeiströmten. Unter ihnen war eine Verwandte, Lioba, deren Mutter, während sie schwanger war, geträumt hatte, sie trage eine Glocke unter dem Herzen, die zu läuten beginne. Da sie klug und begabt war, sich lieber mit Lesen, Schreiben und Dichten als mit Handarbeit beschäftigte, übergab man sie einem Kloster; Bonifatius machte sie zur Äbtissin