Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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Ar­bei­ter, tap­fer zu sei­ner Über­zeu­gung ste­hend, ein Zög­ling der Na­tur, bis ins höchs­te Al­ter ju­gend­lich stre­bend, of­fen al­lem Le­ben­di­gen, ist der Doc­tor uni­ver­sa­lis zwar nicht das, was der Deut­sche im All­ge­mei­nen ist, aber das, was er sein möch­te, was er als deutsch liebt und ver­ehrt.

      Al­bert von Boll­städt ist in dem jetzt bay­ri­schen Städt­chen Lauin­gen, das sei­nen Ur­sprung in graue Ver­gan­gen­heit zu­rück­führt, als Sohn ei­nes dem nie­de­ren Adel an­ge­hö­ri­gen Ge­schlechts ge­bo­ren. Er wuchs in der Art der jun­gen Män­ner sei­nes Stan­des auf, lieb­te die Jagd und war in al­len rit­ter­li­chen Küns­ten ge­übt; was ihn be­wog zu stu­die­ren, war ne­ben dem Drang nach Er­kennt­nis si­cher­lich auch die Hoff­nung, auf der Uni­ver­si­tät mit al­len Fa­sern Le­ben und Le­bens­lust in sich auf­neh­men zu kön­nen. Im al­ten ghi­bel­li­ni­schen Pa­dua, das sich un­ter den Ho­hen­stau­fen das Recht un­be­schränk­ter Selbst­re­gie­rung er­wor­ben hat­te, tat sich im Jah­re 1222 durch Über­sie­de­lung von Pro­fes­so­ren und Schü­lern aus Bo­lo­gna eine neue Uni­ver­si­tät auf, wo be­son­ders das Stu­di­um der frei­en Küns­te be­trie­ben wur­de. Dort ge­wann der da­ma­li­ge Ge­ne­ral des Do­mi­ni­ka­ner­or­dens, Jor­dan, ein Deut­scher aus der Ge­gend von Pa­der­born, der ein Schü­ler des hei­li­gen Do­mi­ni­kus ge­we­sen war und einen star­ken Ein­fluss auf die Ju­gend aus­üb­te, Al­bert von Boll­städt für das Stu­di­um der Theo­lo­gie und für den Or­den. Nach­dem er in Bo­lo­gna Theo­lo­gie stu­diert hat­te, wur­de er als Leh­rer nach Köln be­ru­fen, lehr­te vor­über­ge­hend an den Schu­len von Hil­des­heim, Straß­burg, Frei­burg, Re­gens­burg und in den Jah­ren 1245 bis 1248 in Pa­ris. Als dann eine Schu­le in Köln ge­grün­det wur­de, schick­te der Or­den ihn dort­hin.

      Die Pre­dig­ten und Er­bau­ungs­bü­cher Al­berts be­we­gen sich in dem zu sei­ner Zeit üb­li­chen Sti­le, der uns un­ver­ständ­lich ge­wor­den ist. Wa­rum hat Chris­tus Wei­zen­brot zur Ver­wand­lung ge­nom­men? Sie­ben Grün­de wer­den da­für an­ge­führt, z. B. die Ähn­lich­keit von Chris­ti Leib mit dem Wei­zen­brot. Es folgt eine drei­fa­che Be­trach­tung des Wei­zen­bro­tes: wie es in ei­nem Hau­fen liegt, wie es in der Erde liegt, wie es zu Brot ge­ba­cken ist. In der ers­ten Hin­sicht be­denkt er, wie Chris­tus von der Jung­frau emp­fan­gen ist, in der zwei­ten wie er für uns ge­lit­ten hat, in der drit­ten wie er im Him­mel ver­herr­licht ist. In der ers­ten wird die Mut­ter Chris­ti ge­ehrt, in der zwei­ten wird der Sün­der be­freit, in der drit­ten wird der Se­li­ge be­glückt. Die Ver­kün­di­gung wird in fol­gen­der Wei­se be­trach­tet: War es not­wen­dig, dass der Erz­en­gel Ga­bri­el zu Ma­ria ge­schickt wur­de? Durch wel­chen Bo­ten ge­sch­ah die Ver­kün­di­gung am pas­sends­ten? Muss­te der Bote ein En­gel sein? Oder ein Erz­en­gel? Oder ein Che­rub? Oder ein Se­raph? Soll­ten alle Klas­sen der En­gel zu­gleich die Sen­dung aus­füh­ren? Oder alle En­gel zu­gleich? Oder der Va­ter? Oder der Sohn? Oder der Hei­li­ge Geist? Oder die gan­ze Hei­li­ge Drei­fal­tig­keit? In wel­cher Ge­stalt ist der Erz­en­gel er­schie­nen? Als Schlan­ge oder als Tau­be? In wel­chem Al­ter? In wel­chem Kleid? – Eine alp­drücken­de Erin­ne­rung an Schulauf­sät­ze über­kommt uns.

      Aus der reichs­ten, blü­hends­ten Of­fen­ba­rung ist der Geist her­aus­ge­presst, und der üb­rig­ge­blie­be­ne Teig wird mit Fäus­ten be­ar­bei­tet und als Spei­se vor­ge­setzt. Man pfleg­te die in der Bi­bel er­zähl­ten Vor­gän­ge nicht so zu be­han­deln, dass man den in ih­nen lie­gen­den Sinn ent­fal­te­te, dass man sie als vor­bild­li­che Le­bens­er­schei­nung be­trach­te­te, zu der das Le­ben al­ler in Be­zie­hung steht, dass man sie durch sich selbst, durch die in ih­nen lie­gen­de Poe­sie wir­ken ließ, son­dern man mach­te eine Al­le­go­rie dar­aus, eine be­lie­bi­ge, an das Äu­ßer­li­che an­knüp­fen­de Ver­glei­chung, bei der die Ein­tei­lung die Haupt­sa­che war, die aber mit dem Geist des Bi­bel­wor­tes nichts zu tun hat­te. Al­bert hat sich die­se Mode an­ge­eig­net, ohne je den Drang nach ei­ner tiefe­ren, licht­vol­le­ren Be­hand­lung zu spü­ren. Man muss an­neh­men, dass dem from­men Man­ne die Form, in wel­cher die Fröm­mig­keit aus­ge­übt wur­de, ge­nüg­te, dass die Art, wie die Kir­che die Be­zie­hung des ein­zel­nen zur Kir­che ver­mit­tel­te, für ihn die gute und rich­ti­ge, durch die Über­lie­fe­rung ge­hei­lig­te war. Das schloss nicht die un­mit­tel­ba­re Be­zie­hung zu Gott durch Ge­bet, in Glau­be, Lie­be und Er­kennt­nis aus. Wie die Kir­chen­leh­rer schrieb er der na­tür­li­chen Ver­nunft eine hohe Kraft im Er­ken­nen der Wahr­heit zu, schätz­te er die Grie­chen als das Volk, das durch Beo­b­ach­tung der Ge­set­ze und die höchs­te Welt­weis­heit blüh­te. Das größ­te Ver­dienst auf dem Ge­bie­te der Phi­lo­so­phie er­warb er sich da­durch, dass er die Schrif­ten des Ari­sto­te­les, ge­rei­nigt von den Irr­tü­mern, die durch Aver­roës ent­stan­den wa­ren, über­setz­te und be­ar­bei­te­te und den Zeit­ge­nos­sen Zu­gang zu dem heid­nischen Hei­li­gen des Mit­tel­al­ters ver­schaff­te. In sei­ner An­sicht über den Staat ist Al­bert wohl von Ari­sto­te­les be­ein­flusst, wie er denn über­haupt in al­len sei­nen An­schau­un­gen gern das Über­lie­fer­te über­nahm und zu be­stimm­ten ei­ge­nen, etwa auch von den über­lie­fer­ten ab­wei­chen­den nur dann kam, wenn er sie durch Er­fah­rung oder Er­leb­nis ge­wann. Da­mit hängt es zu­sam­men, dass er kein Sys­te­ma­ti­ker war und dass nicht sei­ne Sum­ma, son­dern die des Tho­mas von Aqui­no, die end­gül­ti­ge, noch heu­te von der Kir­che an­er­kann­te, al­les in Sein und Den­ken Exis­tie­ren­de in ei­nem ge­schlos­se­nen Kos­mos zu­sam­men­fas­sen­de All-Form ge­wor­den ist. Der mäch­ti­ge Geist des großen Al­bert bau­te sich einen Kos­mos und durch­brach ihn im­mer wie­der, um jen­seits in das Unend­li­che zu grei­fen. Der Na­tur ge­gen­über band ihn kei­ne Fes­sel, such­te er den Grund der Er­schei­nun­gen in der Na­tur selbst. »Wir ha­ben in der Na­tur nicht zu er­for­schen, wie Gott der Schöp­fer nach sei­nem frei­en Wil­len die Ge­schöp­fe ge­braucht zu Wun­dern, wo­durch er sei­ne All­macht zeigt, son­dern viel­mehr was in den Na­tur­din­gen nach den na­tür­li­chen Ur­sa­chen auf na­tür­li­che Wei­se ge­sche­hen kann.« S­cien­tiae na­tu­ra­lis non est sim­pli­ci­ter nar­ra­ta ac­ci­pe­re sed in re­bus na­tu­ra­li­bus in­qui­re­re cau­sas. Von frü­her Ju­gend an be­seel­te ihn der Hang, den Zu­sam­men­hang der na­tür­li­chen Er­schei­nun­gen auf­zu­fin­den. Auf der Jagd stell­te er Beo­b­ach­tun­gen mit den Fal­ken und den Hun­den an. In Pa­dua be­ob­ach­te­te er, wie bei der Öff­nung ei­nes ver­schlos­se­nen Brun­nens die bei­den Män­ner, die zu­erst hin­un­ter­stie­gen, star­ben, der drit­te in Ohn­macht fiel, und dass das Was­ser gut und brauch­bar wur­de, nach­dem ein au­gen­schein­lich fau­li­ger Dunst dar­aus ver­flo­gen war. Auf sei­nen zahl­rei­chen Rei­sen, die er zu Fuß mach­te, sah er im­mer ge­spann­ten und schar­fen Blickes um sich und be­gab sich auch ei­gens da­hin, wo et­was Merk­wür­di­ges ken­nen­zu­ler­nen war. Beim Aus­ter­nes­sen in­ter­es­sier­te er sich für die Per­len, die er fand, von 96 Edel­stei­nen zähl­te er die Fund­orte und Ei­gen­schaf­ten auf. In Ost­fran­ken sah er Ma­gnet­stei­ne von be­son­de­rer Kraft und no­tier­te sich, dass ein wiss­be­gie­ri­ger Ge­fähr­te beim Kai­ser Fried­rich Ma­gnet­stei­ne ge­se­hen ha­ben woll­te, die nicht das Ei­sen an­zo­gen, son­dern vom Ei­sen an­ge­zo­gen wur­den. Er be­ob­ach­te­te den Kampf ei­nes Ad­lers mit ei­nem Schwan, und dass der Schwan nicht nur beim Tode ei­nes Ge­nos­sen, son­dern bei je­dem Schmerz sin­ge.

      Eben­so wie Pflan­zen und Tie­re such­te er den Men­schen zu er­for­schen. Er dach­te nach über den


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