Gemeinsame Sprache. Jürg Halter

Gemeinsame Sprache - Jürg Halter


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Innerste gibt es nicht,

      aber es macht uns aus.

      Was willst du mal werden,

      wenn du groß bist? –

      Ein Staubkorn in der Ewigkeit.

      Vor einer Bankfiliale eine Frau,

      die ihr Transparent sinken lässt:

      »Was kann ich schon ausrichten?«

      Anderenorts zieht ein Argument,

      längst widerlegt,

      randalierend durch die Straßen.

      Ein Manager fragt auf einmal,

      wo er sich befindet:

      »Wo befinde ich mich?«

      Umzingelt von Asphalt: gestutzte Bäume.

      Vögel, die auf ihnen landen sollten,

      einzig auf großen Monitoren zu sehen.

      Einer Leserin geht ein »Ist vergriffen«

      aus der Buchhandlung nach:

      »Diese Geschichte darf nicht verschwinden.«

      In alle Richtungen wird endlos kommuniziert,

      manchmal kommt’s gar zu richtigen Gesprächen.

      Konkurrierende Einsame in weltoffenen Städten.

      Man bewegt sich zwischen Begegnungszonen

      auf der Suche nach dem Besonderen,

      doch auch dieses betreibt überall Filialen.

      Überall wird das, was andere erreicht haben,

      mit dem verglichen,

      was man selbst erreicht hat oder nicht.

      Überall könnte man erleichtert davon sein,

      zu was man es nicht gebracht hat,

      aber das zählt nicht.

      Und du? Hältst du es für selbstverständlich,

      dass dir dein Schatten folgt?

      Erinnerungen huschen durch den Raum.

      Die Touristengruppe, von der ich mich entferne, gleitet

      wie ein Riesenmanta über den verregneten Platz.

      »Komm nach Hause, weiß nicht, wer du bist«,

      hör ich mich beinahe stimmlos sagen.

      Hinter dem Kirchturm taucht ein roter Ballon auf,

      möge er mich aus der Traurigkeit lotsen.

      Glocken sind zu vernehmen, tiefer als das Meer,

      Mantas umkreisen mich – in mir fliegend.

      »Ich bin die Droge, die dich dirigiert«,

      orakelt es da fern in mir.

      Sie denkt in Zusammenhängen,

      doch sie möchte nur träumen –

      sie träumt von der Realität

      und vom Traum, in dem sie lebt.

      Den Kopf im Nacken saß ich vor einem Schulhaus,

      hin und wieder fuhr ein Auto vorüber, nichts Besonderes,

      aber mir war, als sähe ich den Mond zum ersten Mal,

      bis mir einfiel, dass ich ihn, so wie heute, zum ersten Mal sah!

      In dieser Nacht, die so nie wiederkehren würde,

      schon immer da war, zwickte mich Ewigkeit ins Ohrläppchen!

      Nach einer unbestimmten Zeit erhob ich mich,

      den Nacken vom Zummondhochschauen starr,

      doch erleichtert und in Auflösung begriffen wie jedes Wort,

      das mir auf dem Nachhauseweg durch den Kopf ging,

      bis ich träumend im Bett lag – träumend wovon?

      Selbstredend vom Mond, der stoisch jedem Gedicht widersteht.

      Ich näherte mich einem weiß rauschenden Loch – schreckte hoch,

      ob der alte Trabant nicht müde vom Betrachten der Erde ist?

      Vielleicht ist er bereits vor tausenden von Jahren darüber eingeschlafen

      und hat seitdem all unser Verlangen nach ihm verpasst.

      Oder ist der Mond bloß ein Zustand, in dem sich

      unsere maßlose Selbstüberschätzung manifestiert?

      Ach was! Gewiss schwamm in jenem Schäfchenwolkenfeld

      grad mein Kopf dahin – ich sank,

      Tempo ungewiss, zurück ins harte Kissen.

      Vorerst widersteht der Mond jedem Gedicht,

      so wie du meiner umnachteten Liebe, o fernes, fremdes Herz!

      Das Weltall ist eine Diva, die sich niemand ausdenken kann.

      Schwer und dunkel hängen

      Wolken überm Platz,

      auf dem wir nahe beieinanderstehen –

      in deinen Augen plötzlich

      ein Wetterleuchten.

      »Das Verhängnis ist dunkel und tiefer als jegliche Meerschlucht.« W.H. Auden

      Der Raum, den ich in der Welt besetze:

      ein kleiner Sieg, eine namenlose Niederlage.

      Wohne im Versuch, kann nicht bleiben,

      empfehle mich.

      Der Raum krümmt sich und wir uns

      in ihm – ich woge in Gedanken.

      Unsere Körper folgen unseren Schatten,

      wir verformen uns, werden zu Ellipsen.

      Kullern benommen die Milchstraße runter,

      die in den Mikrokosmos unserer Köpfe führt.

      Die Nichtexistenz von Räumen liegt außerhalb

      unseres unendlich beschränkten Verstandes.

      Sehen wir in die Weite, blicken wir als zerstäubende

      Wechselwirkungen in die Materie – wir sind Weich-

      körper mit festen und sich ändernden Überzeugungen.

      Vielleicht gibt es uns nur, wenn wir grad gedankenlos sind.

      Das unvermeidbar an die Sprache Gebundensein:

      ein Zeigefinger, der leicht gebeugt auf den Himmel zeigt.

      Beständig sein können, was man fühlt, ohne Differenz?

      Ein zeitloses Lächeln durchzuckt das Universum.

      Das kosmische Gedicht, das jemand vor Zeiten zu rezitieren begann

      und dessen letzte Strophe voraussichtlich seine erste ist.

       II

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