Gestillt. Daniel Zindel

Gestillt - Daniel Zindel


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zu Hause gibt«, sagte ich und meine Kinder lachten, anfangs verlegen, dann immer lauter. Auf der Nachhausefahrt erzählte ich meinen Kindern, dass wir mit dem Iglu eine Woche lang in Italien zelten würden, und erwähnte: »Mama will nicht mitkommen, sie reist lieber mit ihren Lesezirkelfreundinnen nach Prag.« Ich betonte, dass ich es schade fände, dass sie die wenige Zeit, die wir zusammen hätten, lieber mit ihren Freundinnen verbringe als mit uns. Als wir nach Hause kamen, stand ein Müsli auf dem Tisch. Die Kinder hatten keinen Hunger mehr und der Älteste sagte, solches »Körnerzeugs« schmecke nach Kaninchenfutter und »beim Campieren wollen wir dann jeden Abend grillen, gell Papi!« Als meine Frau fragte, was denn da abgehe, sagte der Jüngste, dass wir nach Italien zelten gehen müssten, weil sie mit ihren Freundinnen im schönen Hotel in Prag lieber viel Geld ausgebe, als Ferien mit der Familie zu machen. Der Abend war futsch, in gedämpfter Stimmung stellten wir das Zelt auf unserem Rasen auf.

      Zum ersten Mal merkte ich, dass unsere Lage vielleicht doch ernster sei, als ich gedacht hatte. Vor dem Schlafengehen sagte mir meine Frau, sie komme jetzt nicht mehr weiter. Sie suche sich Hilfe. Sie wird wieder einmal zu einer »Seelsorgetante« rennen oder sich bei jenem »Psychoonkel« Rat holen, bei dem sie schon mal mein gutes Geld hat liegen lassen. Ich muss zwar zugeben, dass es gut investiert war; seitdem lebt sie in Frieden mit ihrer Mutter, mit der ich mich natürlich von Anbeginn an blendend verstanden habe.

      Noch etwas zum »Vorlesungs- und Studierstubengott«. Ich verstehe Dich jetzt besser und merke, dass Du es im Grunde gut meinst. Du bist auf meinen Vorwurf mit dem Fehler in der zweiten, verbesserten Auflage überhaupt nicht eingegangen. Kann man im Himmel nicht mehr »einschnappen«? Dir geht es darum, dass aus dem Glauben nicht auch noch ein Stress – auch kein intellektueller – gemacht wird. Die Sache ist für mich erledigt.

      Deine persönliche Krise ist übrigens bei uns bekannt. Du schliefst mit der Frau Deines Nachbarn. Als sie schwanger wurde, versuchtest Du das Ganze zu vertuschen, indem Du das werdende Kind als Kuckuckskind dem Nachbarn unterschieben wolltest. Als das nicht funktionierte, hast Du den Nachbarn in einer von Dir provozierten gefährlichen Kriegsaktion umkommen lassen. Dann hast Du die Frau zu Dir an den Königshof geholt. Wir beobachten solche Abstürze – vielleicht nicht gerade mit den tödlichen Konsequenzen – fast täglich bei Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft. Selbst Verantwortliche christlicher Gemeinden »trifft es«. Das hat mit dem Stress und mit ihrem exponierten Lebensstil zu tun.

      Sei herzlich gegrüßt

      Reinhold

      Lieber Reinhold,

      Du hast in trockenen, knappen Worten meine Lebenstragödie zusammengefasst. Einiges fehlt jedoch. Ich musste die Konsequenzen meines Ehebruchs tragen. Kannst Du Dir das vorstellen? Es kostete das Leben meines Kindes. Ich habe noch jahrelang den toten Säugling vor mir gesehen, der in meiner Königskammer aufgebahrt lag. Mein Kind. Wie schön es aussah. Tot. Wegen mir. Und immer, wenn ich nach meiner Siesta auf unserer Dachterrasse umherging, schaute ich in den Hof unseres Nachbarhauses hinunter. Hier hätte mein Nachbar Feigen pflücken oder seinen Kindern beim Spiel zuschauen können. Wegen mir musste er sein Leben lassen. Das ist etwas vom Härtesten, wenn man etwas nie wieder gutmachen kann. Dabei war ich mir am Anfang gar nicht bewusst, was ich angerichtet hatte. Ich nahm es zuerst ziemlich leicht.

      Ich muss mich heute kurz fassen, Asmus hat mir gesagt, heute käme eine Frau zu unserem Stammtisch ins Café Paradiso. Das kommt selten vor. Ich möchte mich nicht verspäten.

      Nur noch etwas: Ich bin froh, dass Du im Satz über die Abstürze selbst von Verantwortlichen in christlichen Gemeinden »trifft es« in Anführungszeichen gesetzt hast. Natürlicherweise »trifft« einen ein Blitz oder ein Hirnschlag. Abstürze wie die von Dir genannten haben eine Vorgeschichte, sie bauen sich auf wie ein Gewitter. Wir müssen uns mal über Eigenverantwortlichkeit unterhalten! Wir sollten auch über Deine Zustände des Ausgelaugt-irgendwie-leer-und untröstlich-Seins sprechen. Genau in diesen Seelenlagen beginnen unsere verhängnisvollen Abwärtsspiralen.

       A Dieu David

      Lieber David,

      es herrscht zwischen mir und meiner Frau so etwas wie Funkstille. Wir reden wenig und das Wenige ist sachbezogen. Wir geben uns sichtlich Mühe, anständig zu sein. Wir wollen die Ehe, die wir doch beide bewusst vor Gott geschlossen haben, gut führen. Wir sind beide vorsichtig geworden, in unseren spärlichen Gesprächen nicht auf eine Mine zu treten. Aber diese scheinen sich täglich zu vermehren. Gesprächsthemen wie meine Arbeit, die nächsten Sommerferien oder mein Geld (meine Frau würde natürlich von unserem Geld sprechen) sind heikel geworden. Die Erziehung unserer Kinder ist zum Schlachtfeld geworden, was diese geschickt auszunützen wissen, ohne dabei glücklich zu sein. Im Gegenteil, sie wirken ziemlich verunsichert. Nur weil meine Frau so uneinsichtig ist, kämpfen wir jetzt auf dem Buckel unserer Kinder, das haben sie nicht verdient. Nur unser Sexualleben ist kein Kampfplatz mehr, sondern ein stiller Friedhof. An das Bett im Gästezimmer habe ich mich zwar gewöhnt, aber das Ganze kann so auf die Dauer nicht weitergehen.

      Wenn ich nur ein bisschen mehr zu Hause wäre, ein bisschen entspannter und weniger umgetrieben, dann würde sich alles lösen. Dabei wäre die Sache doch so einfach, meine Frau müsste mich nur ein bisschen mehr unterstützen und die Dinge so sehen, wie ich sie sehe.

      Aber nun zurück zu Deiner Geschichte: Anfangs sei Dir die Tragweite Deines Vergehens nicht bewusst gewesen. Ich weiß, dass Dir ein wacher Seelsorger die Maske vom Gesicht reißen musste, damit Du erkanntest, wie schuldig Du warst. Nathan hieß er, wenn ich mich nicht irre. Es ist gut, wenn wir in unserem Leben schonungslos mit unseren Schwachstellen konfrontiert werden, dann können wir uns verbessern. Ich fasse mich auch kurz. Hab morgen mit dem Verwaltungsrat einen Strategietag zum Thema, wie wir als Unternehmen wachsen und unsere Marktposition ausbauen können. Zum Glück ist die Stimmung im Gremium gut. Ich danke Gott, dass ich nicht so viele Auseinandersetzungen durchstehen und Kriege führen muss wie Du damals. Von kleineren Intrigen abgesehen, läuft es im Geschäft rund.

      Sei herzlich gegrüßt

      Dein Reinhold

      Lieber Reinhold,

       und wie geht es Deinem Herzen? Wie willst Du nach außen Siege erringen, wenn Du zu Hause Niederlagen erlebst? Könnte es sein, dass der Schlüssel zu einer Veränderung in Dir liegt?

       Dein David

      Lieber David,

      ich habe mich in den letzten Wochen wirklich angestrengt und mir außerordentlich Mühe gegeben, korrekt zu sein. Ich selber bin in letzter Zeit völlig erschöpft, von einer kaum fassbaren Traurigkeit erfüllt. Ich decke mich dann mit Arbeit ein, das hat eine betäubende Wirkung und so kann ich vergessen. Ich vergesse die Misere zu Hause und mich selbst spüre ich auch nicht mehr. Dann ist mein mieses Gefühl wie weggeblasen, ich komme auf Touren und fühle mich stark, und als angenehmes Nebenprodukt bekommst du Anerkennung für die Leistung, in meinem Fall sogar happige Lohnzulagen. Ich hatte gerade gestern mein Qualifikationsgespräch. Mein Vorgesetzter fand meine Leistung im letzten Jahr exzellent, für die Leistungskomponente meines Lohnes könnte meine Frau neben Prag auch noch Paris und Peking besuchen. Du hast Recht, ich erringe nach außen Siege, zu Hause scheitere ich. Ich führe im Geschäft engagiert und inspiriert mein Team, zu Hause bin ich ein Versager.

      Reinhold

      Lieber Reinhold,

       zu versagen, ist für uns Männer eine Urangst. Dies wurde mir bei meinem Absturz ganz klar. Ich habe Dir ja gesagt, dass mir meine Schuld anfangs nicht bewusst war. In schlaflosen Nächten meldete sie sich kurz, es gelang mir jedoch immer, sie wieder zum Schweigen zu bringen: »Mein Nachbar hat seiner Frau doch so wenig Zuwendung zukommen lassen, selbst seine Feigenbäume hat er liebevoller behandelt als sie«, rechtfertigte ich mich. Unglaublich, wie erfinderisch ich in meiner Selbstüberlistung war. »Er starb doch eines ehrenhaften Soldatentodes, er wollte es so haben, ich hatte ihm ja Urlaub angeboten.«


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