Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst
jeden Tag, seit er da ist. Er fährt in vier Tagen, wenn ich ihn nicht überreden kann zu bleiben. Bis dahin wird er es nicht schaffen, mir zu zeigen, wie man einen Computer bedient, das glaube ich jedenfalls. Er hat zu tun, muss seinen dänischen Kollegen beibringen, wie man einen Penis verlängert. Vielleicht könnte er ja mit dem seines Bruders anfangen, haha. Friede sei mit ihm, dem Schwulenarsch, er hat sein Päckchen zu tragen wie wir alle. Uns allen bleibt nichts anderes übrig, als uns selbst zu retten.
So ist das Leben, denke ich und öffne die Küchentür zu dem nebligen Nachthimmel. Eine verspätete Rakete schießt in die Luft, verschwindet in den Wolken, verpufft und wird zu nichts – wie ich. Zum Teufel mit den Neujahrsvorsätzen und den parfümierten Wünschen für die Zukunft. Was soll ich damit? Nächstes Silvester bin ich ohnehin nicht mehr da. Futsch, verschwunden, wie all die Jahre und die Raketen und alles. Ich brauche jemanden zum Reden. Wünschte, ich könnte jemanden anrufen. Irgendjemanden, der mich davon überzeugen kann, dass es sich lohnt weiterzumachen. Ich gehe zurück in die Küche, schließe die Gartentür. Sie klemmt und muss auf eine ganz besondere Weise angehoben werden, damit man sie schließen kann. Schlendere langsam zum Wandtelefon und drücke die Nummer, die ich mir unbewusst gemerkt habe. 70 20 12 01. Bereue es schon und will auflegen, als der Anrufbeantworter anspringt und mitteilt, dass die Telefonseelsorge von 16 bis 23 Uhr geöffnet hat. Für akute Fälle außerhalb der Öffnungszeiten wird auf die 112 verwiesen. Ich bin kein akuter Fall. Eher ein komischer, denke ich, und lege resigniert auf. Um meinen Mann suchen zu lassen, ist es noch zu früh. Obwohl er das Haus deprimiert verlassen hat. Er hätte uns beide umbringen können in dem Auto. Begegnen sich da unsere Seelen? Treffen sie sich heimlich in der gleichen Sehnsucht, dass alles zu Ende zu sein soll?
Es ist fast ein Jahr her, seit er das letzte Mal hier war. Er weiß nicht einmal, ob es das Etablissement noch gibt. Ob geöffnet ist und ob sie Zeit für ihn haben. Vielleicht ist Silvester einer der geschäftigen Abende. Er weiß auch nicht, ob die Schwestern noch da sind. Doch zu seiner Erleichterung existiert alles noch. Sie lassen ihn herein, erkennen ihn zwitschernd: »Where have you been?« Und natürlich haben sie Zeit, er muss nur einen Augenblick warten. Fünf Minuten. Sie machen gerade noch den Jacuzzi klar. In der Zwischenzeit kann er an dem Champagner nippen. Schon nach viereinhalb Minuten holen sie ihn und führen ihn in die Suite. Wie sie sich an ein solches Detail erinnern können, ist ihm unklar. Doch unmittelbar, bevor ihm die Tränen in die Augen steigen, beginnen sie, ohne ein Wort zu wechseln, seine Schnürsenkel zu lösen und ihm die Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Jede zieht einen Schuh aus. Claire den rechten, Jessica den linken. Schon jetzt, wo ihre schönen mokkafarbenen Hände liebevoll seine Füße massieren, spürt er, wie Wohlbehagen ihn durchströmt. Er schließt die Augen und lehnt sich in dem Himmelbett mit seinem Überfluss an Seidenkissen zurück. Oh Gott, wie sehr er Entspannung braucht. Sich sanften Frauenhänden zu überlassen, schwarzen, heißen Mösen.
Ich schrubbe die Badewanne so verbissen, dass ich außer Atem komme. Das Email wird langsam alt, es ist schwer, die Ränder ganz wegzubekommen. Für die Fugen zwischen den Fliesen brauche ich eine alte Zahnbürste, die ich in Chlorid und Universalreiniger tauche. Trotzdem lässt sich der schwarzgrüne Schimmel, der sich dort sammelt, nur schwer entfernen. Sonst bin ich ziemlich geschickt im Saubermachen. Wenn es eine dänische Meisterschaft im Saubermachen gäbe, wäre ich unter den Favoriten. Dänische Meisterin im Hausputz. Das ist doch auch etwas. Eine Künstlerin hat einmal Abwasch ausgestellt. Männer finden so etwas provozierend. Genau wie die gebrauchten Damenbinden und die BHs und die verwaschenen Unterhosen, die die Emanzen in den Siebzigern ausgestellt haben. Was habe ich damals gedacht? Vermutlich das Gleiche wie Gert. Dass das ein paar verkrampfte Lesben sind, die einmal von einem Hafenarbeiter durchgefickt werden müssten. In diesem Punkt waren sie sich rührend einig, mein Vater und Gert. Der alte Max hat auch nicht verstanden, warum die Weiber sich so angestellt haben. Sie hatten es doch gut. Nur als sowohl meine Mutter als auch ich mit den anderen Carlsberg-Frauen an der großen Demonstration für gleichen Lohn auf dem Rathausplatz teilnahmen, wurden ihm in seinem Blaumann die Knie weich. Das war das einzige Mal, dass ich mich ihr verbunden gefühlt habe. Als wir da in der riesigen Menge gewöhnlicher Arbeiterfrauen nebeneinander standen und riefen: »Wir wollen den gleichen Lohn! Wir wollen den gleichen Lohn!«, bis wir heiser waren und der Vorsitzenden der Brauereiarbeiterinnen Beifall klatschten, die mit der Faust auf das Rednerpult schlug und erklärte, dass sie kein Abkommen unterschreiben werde, solange die Forderung nach gleichem Lohn nicht erfüllt sei. Ich kann mich noch an die Glut erinnern, die plötzlich in ihren Augen, den Augen meiner Mutter, aufflammte, und ich erinnere mich an ihre Stimme dicht neben mir, erst dünn und zögernd, dann laut und volltönend. An diesem Wintertag, 1971 war das, oder war es 1970?, haben sowohl sie als auch ich und die anderen fünfhundert Frauen zum ersten Mal ein Gespür für die gemeinsame Stärke bekommen, glaube ich. Dass auch wir das Boot steuern können, wenn wir zusammenhalten. Und dranbleiben.
Aber genau das haben wir nicht getan. Die meisten sind wie sie nach Hause zu ihren Männern gegangen und haben Frikadellen gemacht. Vielleicht hat sie an diesem Tag den Kartoffelbrei etwas lauter auf den Tisch geknallt, vielleicht ist sie sogar so weit gegangen, ihn zu bitten, die Senfgurken selbst zu holen. Doch ansonsten hat man die Politik der Gewerkschaft und den Aufruhr den lautstarken Emanzen überlassen, zu denen ich zur Freude meines Vaters nicht gehörte. Sie haben im Südhafen und bei Carlsberg auch nicht für ihre Sache geworben, soweit ich mich erinnere. Einige von ihnen haben eine Aktion gegen die Miss-Danmark-Wahlen gestartet, die sie als frauenfeindlich bezeichnet haben. Irgendwo gibt es einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von mir und einer Emanze, die ein indisches Tuch als Stirnband und eine große, runde Brille trägt. Ich habe falsche Wimpern, langes, blondes, in der Mitte gescheiteltes Haar und sehe aus wie eine Barbie-Puppe, und obwohl ich eine ordentliche, hochgeschlossene Bluse trage, erinnere ich mich daran, als hätte ich nur einen Bikini angehabt. Sie hat mich verunsichert, obwohl es das erklärte Ziel der Aktion war, »mit den Kandidatinnen der Miss-Danmark-Wahlen ins Gespräch zu kommen«. Hätte ich mich damals nicht so heruntergemacht gefühlt, wäre ich ihnen gegenüber vielleicht offener gewesen. Wäre ihnen vielleicht gefolgt und hätte den Sommer im Frauencamp auf Femø verbracht, statt in den Diskotheken der Westküste Go-go zu tanzen und den Hintern für geile Böcke zu schwingen, die so die Emanzipation der Pornografie feierten. Und vielleicht läge ich dann auch nicht hier auf meinen Knien in dem verbissenen Versuch, die abgestoßenen und lanolingefetteten Hautzellen eines Mannes aus einer Badewanne zu entfernen, die er nie auch nur ein einziges Mal selbst sauber gemacht hat. Vielleicht hätte ich dann keinen Mann geheiratet, für den das Gegenteil undenkbar wäre – dass er hinter mir sauber macht.
Womit ich nicht behaupten will, dass er neurotisch ist, was das Saubermachen angeht. Ich bin es, die sauber macht, um sich abzureagieren. Wenn ich nervös bin. Ängstlich. Und das bin ich jetzt, während ich warte, dass er vom Flughafen zurückkommt. Ole-Stig sitzt jetzt im Flieger, wenn sie on time sind. Seine Sprache hat auf meine abgefärbt, was Gert spitz kommentiert hat. »Es ist verständlich, dass Ole-Stig nach dreißig Jahren in den Staaten ein amerikanisiertes Dänisch spricht. Aber dass du auch diese Gewohnheit angenommen hast, kommt mir, ehrlich gesagt, ziemlich affektiert vor«, hat er gestern gesagt. Diese Gewohnheit muss ich mir also schnellstens wieder abgewöhnen. Bevor er nach Hause kommt. Falls er kommt, denn jetzt sind nur noch ich und die Skelette hier, die in den Schränken verstaut waren, während Ole-Stig hier war.
Dass jetzt Schluss ist mit – Entschuldigung – make believe, hat er mir bereits dadurch zu verstehen gegeben, dass ich nicht mit zum Flughafen kommen durfte. Er hat es mir selbstverständlich nicht direkt verboten, aber das ist auch vollkommen unnötig. Ich bin wie ein Hund, der auf das kleinste Fingerschnipsen reagiert. Ich bin so gut dressiert, dass ich selbst nach der Schaufel greife, um mir mein Grab zu schaufeln. Folglich habe ich auch mein Bedauern ausgedrückt, dass ich meinen Schwager leider nicht zum Flughafen begleiten kann. Ich habe nämlich so »furchtbar viel zu tun«, und uhh, macht sich da nicht wieder eine »Migräne« bemerkbar? Rücksichtsvoll, wie er ist, hat Ole-Stig nicht die Beine unter der dünnen Lüge weggetreten, mich nur auf die Wange geküsst und daran erinnert, den Geschenkgutschein einzulösen. Neben den vielen Weihnachtsgeschenken, die er mir gemacht hat, hat er mir auch eine »Neujahrsgabe« verehrt, mir einen Geschenkgutschein für eine Körpermassage gegeben. »Es dürfte dir guttun, dich ein bisschen verwöhnen zu lassen!«, hat er gesagt, doch sein