Sophienlust Bestseller Box 2 – Familienroman. Marisa Frank
von sich und rannte eilig zum Aufzug. Aber es war schon zu spät.
Mit brennenden Augen hatte eine bildhübsche junge Frau in Schwesterntracht diesen Vorfall beobachtet. Schwester Amanda! Ihr war zu Ohren gekommen, was in diesen dicken, sterilen Mauern über den gutaussehenden Assistenzarzt Gerd Schönau gemunkelt wurde, aber sie hatte es nicht glauben wollen. Jetzt aber hatte sie es mit eigenen Augen gesehen.
Plötzlich wurden ihre Knie weich. Haltsuchend lehnte sie sich an die weiße Wand und schloß die Augen. Sie kam sich in diesem Moment so dumm und hilflos vor, daß ihr regelrecht schlecht wurde.
»Was soll ich nur machen?« murmelte die junge, dunkelhaarige Frau verhalten. Sie hatte eine zierliche Gestalt, die durch den weißen Kittel noch betont wurde. Schon lange hatte sie es insgeheim geahnt und trotzdem immer den Gerüchten energisch entgegengewirkt. Schließlich war sie ja mit ihm verlobt.
Mit schleppenden Schritten ging sie zurück zum Schwesternzimmer. Inständig hoffte sie, jetzt keine ihrer Kolleginnen dort vorzufinden. Nur ein paar Minuten wollte sie allein sein und sich wieder sammeln. Daß irgend etwas geschehen mußte, das wußte Amada jetzt. So konnte es jedenfalls nicht mehr weitergehen.
Die junge Frau hatte Glück.
Das Zimmer war leer. Matt ließ sie sich auf einen der harten Holzstühle fallen und schlug die Hände vors Gesicht.
Damals, als ihre Mutter ganz plötzlich gestorben war, da hatte ihr Gerd mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Er hatte die richtigen Worte des Trostes für sie gefunden, und dann, Wochen später, hatte er ihr seine Liebe gestanden.
Wie glücklich war sie damals gewesen. Und nun war alles kaputt, zerstört durch sein leichtsinniges und unverantwortliches Benehmen.
»Was habe ich nur falsch gemacht?« murmelte Amanda schwach. Sie war sich keiner Schuld bewußt, und trotzdem suchte sie sie bei sich selbst.
Traurig starrte sie zum Fenster hinaus. Der alte Kastanienbaum reckte seine Äste schon fast bis zum zweiten Stock hinauf. Große, grüne Blätter bewegten sich im Frühsommerwind und brachten der jungen Frau das Gefühl für die Wirklichkeit wieder zurück. Was half es, wenn sie trauerte und Verlorenem nachweinte. Gerd war ein Mann für viele Frauen und nicht bloß für eine, mit dem mußte sie sich eben abfinden, wenn sie ihn nicht ganz verlieren wollte.
Aber konnte sie mit dieser Belastung leben? War ihr der smarte, charakterlich jedoch ungefestigte Mann wirklich so viel wert, daß sie diese Demütigungen auf sich nehmen wollte?
Diese Frage stellte sich Amanda schon seit geraumer Zeit, aber eine Antwort darauf hatte sie noch nicht gefunden.
»Hier steckst du, Süße. Ich habe bereits das ganze Krankenhaus nach dir abgesucht.« Ein siegessicheres Lächeln umspielte die beinahe unnatürlichen roten Lippen von Gerd Schönau. Er war der geborene Schönling, der sogar den passenden Namen mitbekommen hatte.
Erschrocken schaute Amanda zur Tür. Sie kam sich irgendwie ertappt vor. »Ich wüßte nicht, was es so Dringendes geben könnte«, antwortete sie kühl und tat so, als hätte sie etwas auf dem Schreibtisch gesucht. Nie und nimmer wollte sie ihm eingestehen, daß sie seinetwegen fast geweint hätte.
»Oh, doch, Süße, es gibt etwas dringendes, einen gräßlichen Unfall nämlich. Aber Tatsache ist, daß ich schon den ganzen Tag lang furchtbare Sehnsucht nach dir habe.«
»Ach, du Armer«, antwortete Amanda spöttisch. Schnell schaute sie zur Seite, weil ihre Lippen verräterisch zuckten.
»Was hast du denn? Liebst du mich etwa nicht mehr?« Gerd Schönau trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre schmalen Schultern. »Oder hat dich jemand verärgert? Sag es mir nur, ich werde mir den Betreffenden dann sofort vorknöpfen.« Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals, und Amanda fühlte mit wohligem Erschauern seinen heißen Atem.
Noch immer hatte Gerd Macht über sie, diese Erkenntnis erschreckte Amanda. »Laß das, Gerd. Dafür ist jetzt nicht der richtige Augenblick und nicht die passende Umgebung. Außerdem habe ich eine Menge Arbeit.«
»Lenk doch nicht ab, Süße. Die nächste halbe Stunde wird in dieses Zimmer hier bestimmt niemand kommen. Aber wenn du Angst hast, dann können wir auch ins Ärztezimmer gehen. Da kannst du hundertprozentig beruhigt sein.« Wieder wollte er sie an sich ziehen.
Aber dieses Mal war die junge Frau schneller. Gewandt entzog sie sich ihm. »Was ist mit dem Unfall?« fragte sie mit dienstlicher Miene. »Hat es Überlebende gegeben?«
»Ja, einen Mann. Bruch des zweiten Lendenwirbels und starke Gehirnerschütterung«, antwortete Gerd Schönau verärgert. Er konnte es nicht fassen, daß jemand auf seine Annäherungsversuche nicht einging. Meist hatte er nämlich Erfolg damit beim weiblichen Geschlecht.
»Irgendwie kommst du mir heute verändert vor«, setzte er noch einmal an, aber als er das abweisende Gesicht seiner Verlobten sah, zog er es vor zu schweigen.
»Dann eben nicht«, brummelte er und verließ mit raschen, beinahe stampfenden Schritten das Schwesternzimmer.
Amanda blieb, am ganzen Körper zitternd, zurück. Noch immer hing sie an Gerd Schönau, aber jetzt, nachdem sie ihre Gefühle noch einmal genauestens geprüft hatte, war sie sich nicht mehr sicher, ob das die wirkliche Liebe war.
Sie hatte sich gesonnt in seinen Komplimenten, und dankbar seinen Trost angenommen. Er war der einzige Mensch, zu dem sie eine intensive Beziehung hatte. Aber hieß das, daß sie ihn auch liebte? Plötzlich war sich die Krankenschwester dessen gar nicht mehr so sicher.
Aber sie nahm sich vor, eine Entscheidung über ihr Verhältnis mit dem jungen Assistenzarzt noch in den nächsten Tagen zu treffen. Daß es so jedenfalls nicht mehr weitergehen konnte, das wußte sie.
Am späten Nachmittag war Amanda Veils Dienst für diesen Tag zu Ende. Rasch zog sie ihre Schwesterntracht aus und hängte sie ordentlich in den Schrank.
Sie wußte, daß sie sich beeilen mußte, wenn sie nicht ausgerechnet ihrem Verlobten in die Arme laufen wollte. Amanda hatte sich absichtlich nicht mit ihm verabredet, sondern einen dringenden Besuch bei einer Freundin vorgeschoben.
Rasch warf sie noch einen Blick in den großen Spiegel, als sie ihr weißes Häubchen abnahm. Sie zog die Nadeln aus ihrem Haarknoten, und die dunkle Pracht fiel wie eine glänzende Flut über ihre Schultern.
Mit ein paar Bürstenstrichen ordnete sie ihre Locken, bis sie sich weich und geschmeidig ineinanderfügten. Dann zog sie mit einem dezenten Lippenstift noch ihre schön geschwungenen Lippen nach.
Als die junge Frau mit ihrem Äußeren zufrieden war, warf sie sich noch einen leicht ironischen Blick zu, den der Spiegel natürlich unverändert zurückgab. »Eitler Pfau«, tadelte sich Amanda, aber sie wußte, daß diese kleine Verschönerung ihrem angeschlagenen Selbstbewußtsein guttat.
Forschend schaute sie dann noch an ihrem bunten Sommerrock hinab, auf dem sich kein Fältchen zeigte. Er war weit und glockig geschnitten, was ihre schlanke Figur noch mehr betonte. Dazu passend trug sie eine rotweiße Folklorebluse, was ihr ein etwas leidenschaftliches Aussehen verlieh.
Aber der Schein trügte. Mandy war eine durch und durch solide Frau, die sich nach nichts mehr sehnte, als nach einer eigenen kleinen Familie, die mit der Zeit noch durch Kinder gefestigt wurde,
Dafür aber war Gerd Schönau nicht der passende Mann, das hatte sie heute klar erkannt. Er, der an keinem hübschen Mädchen vorbeigehen konnte, ohne daß er es nicht mindestens kurz anfaßte, taugte nicht zum Vater ihrer Kinder.
Aber noch war Mandy nicht bereit, ihn so einfach aufzugeben. Irgend etwas verband sie noch mit ihm. War es die Furcht vor der Einsamkeit?
Aber darüber wollte die junge Frau jetzt nicht nachdenken. Immerhin war Sonntag, und sie hatte ihren freien Nachmittag, auch wenn es schon ziemlich spät war.
Beinahe beschwingt lief sie die Treppe hinunter, wobei sie sich aber immer vorsichtig umschaute, ob sich nicht von irgendeiner Seite Gerd Schönau näherte. Sie hatte Glück. Gerd war von einer jungen Lernschwester aufgehalten worden, die seine