Sophienlust Bestseller Box 2 – Familienroman. Marisa Frank
habe mich schon gewundert, wie du es so lange mit diesem eingebildeten Pinsel ausgehalten hast«, war ihre Reaktion.
Mandy lachte verhalten.»Ich weiß, du hast ein Auge auf ihn.« Ihr Blick fiel auf einen jungen Mann, der offensichtlich noch unter Narkoseeinwirkung stand. Leise stöhnte er, obwohl seine Augen geschlossen waren.
Spontanes Mitleid ergriff die junge Frau, die sich an der Tür zur Intensivstation einen grünen sterilen Kittel übergezogen und eine grüne Haube aufgesetzt hatte. So unterschied sie sich nicht von den anderen Schwestern, die geschäftig zwischen den Kranken herumliefen.
Schwester Gabriele folgte dem Blick der Freundin. »Armer Teufel«, flüsterte sie.?»Der wurde vorhin eingeliefert. Ein Unfall auf der Autobahn.?Ein Geisterfahrer, der übrigens stockblau war, ist frontal auf ihn reingedonnert. Seine Frau war schwanger im siebten Monat. Sie starb noch an der Unfallstelle. Er selbst ist mit einigen Brüchen und einer Gehirnerschütterung davongekommen.«
Impulsiv trat Mandy zu seinem Bett und strich ihm das wirre dunkle Haar aus der Stirn, während sie ihn beinahe zärtlich betrachtete. Seine Wangen waren eingefallen, und unter den Augen lagen tiefe Schatten.
Was stand diesem armen Menschen noch bevor. Seine ganze Familie war mit einem Schlag ausgelöscht worden.
»Wenn es ihm etwas besser geht, kommt er auf eure Station. Da wird er deine zartfühlende Hand sicher nötig haben«, murmelte Gabriele, als hätte sie Mandys heimliche Gedanken erraten. »Übrigens hat er noch einen kleinen Sohn, den Frau von Schoenecker nach Sophienlust mitgenommen hat.«
»Und dem Kind ist gar nichts passiert?« fragte Mandy ungläubig.
»Nein, Kinder scheinen manchmal einen Schutzengel zu haben«, sagte Gabriele nachdenklich, »aber nur manchmal.«
Das war Amanda Veils erste Begegnung mt Klaus Meinradt.
*
»Ulli, komm und fang mich! Na, komm schon!« rief Heidi Holsten, das jüngste der Dauerkinder von Sophienlust. Das hübsche blonde Mädchen mit den wippenden Rattenschwänzchen klatschte vor Begeisterung in die Hände.
»Ich bin nicht so schnell«, gestand der kleine Junge mit dem dichten, dunklen Haar und bemühte sich, auf seinen Beinchen so schnell, wie nur möglich Heidi hinterherzulaufen.
»Warte doch auf mich, Heidi.«
»Halt, junger Mann.« Geschickt fing Denise von Schoenecker Ulli auf. »Einen schönen Gruß soll ich dir ausrichten von deinem Timo. Wenn wir Glück haben, dann kann ihm der Onkel Doktor schon nächste Woche die Schiene wieder abnehmen, dann ist sein Beinchen wieder heil.«
»Au, fein, Tante Isi, dann kann Timo bei mir im Zimmer schlafen.« Glücklich strahlte der Kleine über das ganze Gesicht. »Hast du von Papa auch einen Gruß?«
Einen Augenblick zögerte Denise. Was sollte sie dem Kind antworten? Etwa, daß es dem Vater noch so schlecht ging, daß er nicht an seinen Sohn denken konnte, so schlecht, daß man ihm den Tod seiner Frau bis jetzt noch verschwieg?
»Ja, von deinem Papa auch«, griff Denise zu einer Notlüge, obwohl ihr nicht ganz wohl war dabei. Sie strich dem Kind über das weiche Haar.
»Ich bin auch noch da, Tante Isi«, meldete sich nun Heidi, die rasch zurückgelaufen war, als sie Denise erblickt hatte. »Hast du mich nicht mehr so lieb wie früher?« Ein schräger, etwas neidischer Blick traf Ulli, der sich glücklich an die schöne Frau kuschelte.
»Natürlich habe ich dich noch lieb, du kleine Schmusekatze«, sagte Denise zärtlich und lächelte. Mit der freien Hand strich sie Heidi über das von der Sonne erwärmte Haar. In so einem Augenblick fühlte sich Denise von Schoenecker am wohlsten, wenn sie von den Kindern geliebt und gebraucht wurde, denen sie eine Heimat geben konnte.
»Hier sind sie, Frau von Schoenecker.« Eilig kam Schwester Regine angelaufen. Sie war ganz außer Atem. »Ich habe Sie schon im ganzen Haus gesucht. Der Anruf aus dem Krankenhaus, auf den Sie schon gewartet haben, ist jetzt endlich da. Ich habe das Gespräch auf Ihren Apparat gelegt.«
Die Kinder- und Krankenschwester nahm Denise den kleinen Ulli ab und trug ihn zu einer Bank. Heidi folgte willig. Mit Schwester Regine konnte man wunderbar spielen, das wußte das kleine Mädchen.
»Danke«, rief Denise noch und lief dann eilig auf das Haus zu.
Sie mußte noch heftig atmen, als sie den Hörer an ihr Ohr preßte und ihren Namen sagte.
Es war der Stationsarzt vom Maibacher Krankenhaus. Er behandelte Ullis Vater. Zum Glück konnte Denise sein Gesicht nicht sehen, das sehr ernst war.
Sie telefonierte eine gute Viertelstunde mit dem Arzt, der ihr einen genauen Bericht über den Gesundheitszustand von Klaus Meinradt gab. Er kannte die Verwalterin ziemlich gut, und auch mit ihrem Mann Alexander verband ihn eine intensive Bekanntschaft. Für ihn trug er ihr am Schluß ihres Gespräches noch Grüße auf, die Denise versprach, auszurichten.
Nachdem sie den Hörer auf die Gabel zurückgelegt hatte, blieb sie noch eine Weile nachdenklich sitzen. So wie es den Anschein hatte, würde Ulli noch ziemlich lange in Sophienlust bleiben müssen. Zum Glück schien es dem kleinen Mann sehr gut in dem Kinderheim zu gefallen.
Unbändige Sehnsucht nach ihrem Mann ergriff Denise plötzlich. Viel zu wenig Zeit hatte sie in den letzten Wochen für ihn erübrigen können.
Entschlossen packte sie ihre Unterlagen in die Schubladen und legte auf den Schreibtisch eine kurze Notiz, wo sie zu finden sei. Dann schlich sie leise die Treppen hinunter. Dabei mußte sie über sich selbst lächeln, weil ihr das sogar noch Spaß machte, wie ein kleines Mädchen aus dem Haus zu verschwinden, als ob sie etwas Verbotenes im Schilde führen würde.
Nur eine Stunde Freizeit wollte sie sich heute nachmittag gönnen, um mit Alexander die Geschichte des kleinen Ulli und seine Vaters zu besprechen. Irgendwie sah Denise da einen Berg, einen Haufen Probleme auf sich zukommen, für die ihr keine Lösung einfiel, die alle Seiten befriedigen würde.
Ullis Mutter war tot, daran gab es nichts zu rütteln. Und genau das war es, was Denise sogar noch bis in den Schlaf verfolgte. Wie würde der schwerkranke Mann darauf reagieren, wenn man ihm die schreckliche Wahrheit nicht vorenthalten konnte?
Ulli hatte zwar auch schon einige Male nach seiner Mutti gefragt, sich aber über die schonende Antwort, daß sie im Himmel sei und ihn von oben beschützen würde, sogar gefreut. Zwar war er traurig darüber gewesen, daß sie ihn nicht mehr wie früher in den Arm nehmen konnte, aber er hatte sich schnell mit dem Gedanken getröstet, daß sie dort oben im Himmel viel besser auf ihn aufpassen konnte als herunten auf der Erde.
Denise genoß den kurzen Weg bis nach Schoeneich hinüber. Jetzt war sie froh, daß sie heute früh das Auto in der Garage gelassen hatte.
Schon von weitem konnte sie das Wohnhaus sehen, ein schloßähnlicher Bau mit einem Turm, der inmitten eines großen Parks stand. An den dunklen Mauern rankte sich wilder Wein empor, dessen unzählige Blätter jetzt im Sommer von einem kräftigen Grün waren.
Langsam schlenderte Denise die breite Auffahrt hinauf und genoß den Anblick ihres Heimes, das schon vielen Generationen Platz geboten hatte. So richtig glücklich war ihr Leben erst geworden, als sie Alexander von Schoeneckers Frau geworden war.
Die Gutsbesitzerin seufzte tief auf und strich sich ihre Haare zurück, die sie in letzter Zeit gern offen trug. Alexander gefiel es so besser.
Denise fand ihren Mann in seinem Arbeitszimmer vor. Tief hatte er sich über die Bücher gebeugt, die ihm seit gestern Kopfzerbrechen bereiteten. Irgendein Fehler hatte sich da eingeschlichen, den er bis jetzt noch nicht gefunden hatte.
Alexander von Schoenecker war ein gewissenhafter Mann mittleren Alters. Sein sportlich durchtrainierter Körper ließ ihn aber wesentlich jünger erscheinen, als er es in Wirklichkeit war.
Denise war stolz auf ihren Mann, und sie zeigte es ihm auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Nach kurzem Anklopfen war sie einfach eingetreten, ohne seine »Herein« abzuwarten.