Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis. Dietrich Schulze-Marmeling
finden sich auch die Gebrüder Manning. Gus als Vertreter des Verbandes Süddeutscher Fußball-Vereine, Fred als Vertreter des VfB Pankow. Der FC Freiburg hat Ernst Schottelius nach Leipzig geschickt. Und natürlich ist auch Walther Bensemann nach Leipzig gekommen, als Beauftragter des Mannheimer Fußballbundes sowie der Karlsruher Vereine Phönix und Südstadt.
Der Fußballtag debattiert über die Gründung eines nationalen Dachverbands und die Vereinheitlichung der Spielregeln. Die Teilnehmer sind sich uneins darüber, ob man vor einer Verbandsgründung einheitliche Regeln schaffen soll (wozu die Einrichtung einer Kommission genügt hätte) oder ob man sofort einen Verband gründet, der sich dann mit dem Regelwerk befasst. Gus Manning und seine Süddeutschen plädieren für den Verband, Walther Bensemann, die Leipziger und Berliner für die Kommission.
Schließlich stellen Fred Manning und drei weitere Delegierte einen Antrag zur Abstimmung, der »die Gründung eines allgemeinen deutschen Fußballverbands durch die heutige Versammlung« fordert. Dies ist der Durchbruch, denn der Antrag wird mit 64 zu 22 Stimmen angenommen, und 60 Vereine erklären ihren sofortigen Beitritt zum neuen Verband. Dessen Name übrigens geht auf einen Vorschlag Bensemanns zurück, über den gleichfalls abgestimmt wird: Deutscher Fußball-Bund.
Die Leipziger Versammlung wählt zudem einen elfköpfigen Ausschuss, dessen Vorsitz der Senior unter den Anwesenden übernimmt, der 48-jährige Prager Hygiene-Professor Dr. Ferdinand Hueppe. Auch Fred Manning gehört dem Gremium – trotz seines britischen Passes – als Schriftführer an und wird mit der Ausarbeitung eines Verbandsstatuts nach dem Vorbild der bereits 1863 gegründeten englischen Football Association (FA) betraut. Allerdings legt Manning sein Amt bereits im Oktober 1900 nieder. Sein Bruder Gustav Randolph sitzt in einem Komitee, das einheitliche Regeln für Fußball und Rugby ausarbeitet.
Zwei Juden und ein Preuße
Dass mit München die größte süddeutsche Stadt nicht in den Fußballverbänden vertreten ist, mag Pionier Gus Manning nicht hinnehmen. Noch vor der Gründung des DFB bahnt sich allerdings eine Lösung an. Mit Franz John ist Mannings Mitstreiter aus Pankower Tagen in die bayerische Metropole gezogen. Dort lebt er in der Amalienstraße 62 in der Maxvorstadt; zuvor hatte er sich in Jena zum Fotografen ausbilden lassen. Außerdem residiert seit Anfang 1899 Mannings ehemaliger Freiburger Sturmkamerad Josef Pollack in München. Der jüdische Kaufmannssohn kickt für die Fußballer des MTV von 1879.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Manning-Vertrauten zusammenfinden. Ein Vierteljahrhundert später, zum 25-jährigen Bestehen des FC Bayern, erinnert sich John daran, wie er in die Münchner Fuß-ballszene eingestiegen ist: »Als ich vor mehr als 25 Jahren nach München kam, war es für mich als alten Fußballer und Rasensportler natürlich eine selbstverständliche Sache, sofort Umschau zu halten, wo kannst du für deinen geliebten Sport tätig sein. Da fand wenige Tage nach meiner Ankunft in München anlässlich einer Sportausstellung auf der Kohleninsel ein Fußballwettspiel zwischen einer kombinierten Mannschaft des bekannten Bensemann gegen den MTV statt.« Die Kohleninsel, auf der sich heute das Deutsche Museum befindet, war damals ein Ausstellungsgelände mit Ausflugslokal.
Das Spiel bietet John »die Gelegenheit, um mit Münchner Fußballern in Fühlung zu treten. Ich machte mich dort bekannt und lernte verschiedene Herren vom MTV kennen. Vor allem war es Josef Pollack (…), der sich meiner in kameradschaftlicher Weise annahm und beim MTV einführte.«
Als Gus Manning von Johns Ankunft erfährt, sieht er seine Chance gekommen. John: »In jener Zeit war mein Freund und Vereinskamerad Dr. Manning bereits Schriftführer des Verbandes Süddeutscher Fußball-Vereine. Diesem schrieb ich nun, dass ich in München gelandet sei und Mitglied des MTV geworden sei. Fast postwendend bekam ich von Manning einen Brief mit dem ungefähren Inhalt: ›Gott sei Dank, dass du in München bist; denn Bayern, der größte Bundesstaat Süddeutschlands, fehlt uns noch immer in unserem Verbande. Alle unsere Bemühungen, Bayern in den Verband zu bekommen, sind stets fehlgeschlagen. Du musst nun auf jeden Fall alles dransetzen, um den MTV zu veranlassen, dem Verbande beizutreten, dann kommen die anderen von selbst nach und der Süddeutsche Verband ist dann das, was wir anstreben, ein großes, ganzes Süddeutschland.‹ (…) Mit diesem Auftrag hatte denn mein sportliches Münchner Leben von allem Anfang an seinen Inhalt bekommen.«
Franz John und Josef Pollack werben fortan im MTV für einen Beitritt der Fußballer zum Verband der Fußballer. Die MTVler sind zu dieser Zeit bereits die stärkste Kraft im Münchner Fußball und somit geradezu prädestiniert für eine Vorreiterrolle. Aber ein Antrag auf Anschluss an den Fußballverband wird vom Hauptverein abgelehnt. Franz John: »Man wendete ein, dass es absolut nicht gehe, denn die Deutsche Turnerschaft erlaube es nicht. Im Übrigen ist die Deutsche Turnerschaft sowieso nicht gut auf uns zu sprechen, denn Reißner, Keyl, Prage und andere sind um Ehrenpreise bei leichtathletischen Wettkämpfen mitgelaufen.« Bei den Genannten handelt es sich um MTV-Fußballer. Die Wettkampforientierung der »english sports« und die Aussetzung von Preisen widersprach dem Denken der deutschen Turnideologen.
Alleine sind wir stärker
John und Pollack entscheiden sich bald dafür, die Trennung von den Turnern und die vollständige Unabhängigkeit anzustreben. Franz John: »Mir war von vorneherein klar, dass eine sportliche Entwicklung nur möglich war, wenn München, Bayerns Hauptstadt, dem Süddeutschen Verband nähergebracht wurde. Münchens Sportbetrieb stand damals weit hinter dem anderer Städte zurück und ein Aufschwung war meines Erachtens nur zu erwarten, wenn durch die Austragung von Verbandsspielen das allgemeine Interesse geweckt wurde. Ist der MTV auf Grund seiner Bin-dung mit der Turnerschaft nicht dazu in der Lage, bahnbrechend voranzugehen, so gab es für mich nur eine Lösung: die Gründung eines Fuß-ballklubs, der, dem Süddeutschen Verband angehörend, die sportliche Führung in München übernimmt und auf diese Weise befruchtend auf das Ganze wirkt.«
Als die Leitung des Hauptvereins von Johns und Pollacks Separationsbestrebungen hört, lädt sie zum 27. Februar 1900 ins Altmünchner Gasthaus Bäckerhöfl an der Schäfflerstraße ein. Auf einer großen Sitzung der Spielabteilung kommt es zum MTV-internen Showdown. Die MTV-Führung signalisiert Entgegenkommen, »der MTV würde das alles bieten, was man bräuchte, ja dass man auf einen Beitritt zum Süddeutschen Verband ohnehin nochmals zurückkommen werde und dass wohl für diesen Beitritt jetzt Stimmung vorhanden wäre« (John). Aber die Rebellen wollen sich nicht mehr länger hinhalten lassen. Franz John: »Ich stellte dem entgegen, dass ich eine sportliche Entwicklung innerhalb des Turnvereins nicht für aussichtsreich halte, da uns die Hände gebunden seien und wir stets eine Reihe von Rücksichten zu nehmen hätten, die bei einem reinen Sportverein niemals vorkommen könnten.« Schließlich trennt man sich friedlich.
Hinter John und Pollack stehen bei Weitem nicht alle MTV-Fußballer. Nur elf von ihnen verlassen den Tagungsort und ziehen ins Weinhaus Gisela in der Fürstenstraße in der Maxvorstadt um, einem Treffpunkt der in der Maxvorstadt und Schwabing residierenden und schaffenden Künstler. Elf Tage nach der Gründung des FC Bayern, am 9. März 1900, wird hier mit dem »Goethebund zum Schutz der freien Kunst und Wissenschaft« ein weiterer Verein aus der Taufe gehoben. (Der Abschnitt der Straße, an dem das »Gisela« lag, heißt heute Kardinal-Döpfner-Straße und liegt in der Nähe vom Odeonplatz.)
Möglicherweise wäre es zum Auszug von John, Pollack und Co. gar nicht gekommen, hätten John und Pollack nicht Garantien aus Freiburg vorgelegen. Als Gustav Randolph Manning von den Plänen der beiden erfährt, schreibt er John: »Wenn du einen Fußballklub dort gründest, so wirst du von uns (gemeint ist der FFC, d. A.) die weitgehendste Unterstützung erfahren.«
Die Gründung des FC Bayern
Noch am Abend des 27. Februars heben elf Rebellen den FC Bayern aus der Taufe. Die Gründungsversammlung besteht somit exakt aus einer Fußballmannschaft, aber auf der Gründungsurkunde stehen 17 Unterschriften. Diese wurden von Franz John bereits Tage vor der Gründung eingesammelt. Auf einem DIN-A5-Blatt erklärten die 17 ihre Bereitschaft, einem noch zu gründenden Fußballklub beizutreten, sollte es zum großen Knall auf der MTV-Sitzung kommen. John wollte sichergehen, im Falle eines Auszugs ausreichend Unterstützer zu haben. Zumal die Sitzung im »Bäckerhöfl« an einem Faschingsdienstag stattfand. Möglicherweise hatten seine Gegner diesen Termin bewusst gewählt: in der Hoffnung, viele der Fußballer würden lieber feiern,