Der Fall des Staatsministers. Bo Balderson

Der Fall des Staatsministers - Bo Balderson


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mußte lange vor uns allen zur Stelle gewesen sein.

      Er lag in Inneren des Schranks. Nein, vielleicht saß er mehr dort, zusammengekauert wie ein Embryo im Mutterleib. Der Kopf war auf die Seite gefallen, und die gebrochenen Augen schauten uns an.

      Wir hatten uns alle zum Schrank umgedreht und mußten ihn alle im selben Augenblick entdeckt haben.

      Ich entsinne mich der Stille, und ich entsinne mich der Schreie, der gellenden, hysterischen Schreie ...

      6

      Es war abermals Vormittag.

      Den ganzen Abend und die ganze Nacht hatte die Polizei in der Villa gearbeitet. Mit all ihren Männern und all ihren Apparaturen hatten sie Verhöre durchgeführt, Untersuchungen angestellt, Vermessungen vorgenommen, und erst im Morgengrauen waren sie fertig geworden.

      Wir hätten wohl im Arbeitszimmer sitzen bleiben können, aber aus irgendeinem Grunde war es nicht zur Sprache gebracht worden. Darum saßen wir in der Bibliothek, dem einzigen ruhigen Privatraum im Haus. Der Staatsminister blätterte zerstreut in dem vorläufigen Polizeibericht, das Ergebnis der Mühsal des Tages und der Nacht.

      »Es war doch etwas ärgerlich«, murmelte er. »Ich meine, er war doch immerhin mein engster Mitarbeiter. Und in meinem Schrank ... Erwürgt und das alles.«

      Ich dachte bei mir, man mußte hohe Ansprüche haben, um das Geschehene als »etwas ärgerlich« beschreiben zu können. »Skandalös und erschütternd« waren die Worte, die ich in der Situation passender fand. Doch seine Reaktion wunderte mich trotzdem nicht. Der Staatsminister hatte schließlich seinen Staatssekretär noch nie leiden können, er hatte ihn zusammen mit dem Amt geerbt, und er hatte zuletzt am Vortag seinen Willen kundgetan, daß er ihn loszuwerden gedachte, auf die eine oder andere Art und Weise. Und was Ereignisse und Situationen – die peinlichen oder die anderen – anbelangt, so hatte er nie sichere Urteilskraft besessen. Seine Naivität ist in solchen Fällen jener grandiosen Art, wie man sie sonst nur bei Kindern und anderen glücklich unterentwikkelten Individuen findet. Daran, daß der Todesfall ihn selbst in einem seltsamen Licht erscheinen lassen könnte, schien er folglich nicht auch nur einen zerstreuten Gedanken verschwendet zu haben. Recht häufig hat mich die dunkle Ahnung beschlichen, der Staatsminister sei als Staatsminister ungeeignet. Bisweilen frage ich mich, ob er als Mensch richtig geeignet ist.

      Und jetzt blätterte er im Polizeibericht. Der Leiter der Ermittlungen war sehr kooperativ gewesen und hatte ihm die Unterlagen anstandslos zur Verfügung gestellt. Inwieweit es sich darauf zurückzuführen ließ, daß der Staatsminister sein höchster Chef war oder auf dessen Meriten bei anderen Mordfällen oder einfach nur auf die Tatsache, daß er, der Leiter der Ermittlungen, sich auf den vakanten Posten des Polizeipräsidenten von Stockholm beworben hatte, wage ich nicht eindeutig zu beurteilen.

      Kurz und gut, der Staatsminister hatte den Bericht bekommen. Und jetzt schüttelte er schnell das Gefühl ab, es sei etwas Ärgerliches geschehen, und ging zu den Fakten über.

      »Die Polizei hat sich natürlich auf das Arbeitszimmer konzentriert«, berichtete er. »Oder genauer gesagt auf die Arbeitszimmer, sie bilden ja eine Abteilung mit eigener Haustür zum Garten und nur einer Tür zum Privatbereich des Hauses. Die Fenster sind geschlossen und ordentlich verriegelt gewesen und sind nicht beschädigt worden. Der Glasermeister hatte die neue Scheibe vorrätig und kurz nach dem Abendessen eingesetzt, und der Kitt war trocken, als ich nach Arlanda fuhr, so daß wir mit irgendeiner Art von Hokuspokus nicht rechnen können. Svanberg und sein Mörder müssen also durch die Tür zum Garten oder zum Wohnzimmer in mein Arbeitszimmer gekommen sein. Wann? Ja, wann stand das Arbeitzimmer leer? Zuerst sollte ich vielleicht sagen, der Gerichtsmediziner ist der Ansicht, er sei irgendwann zwischen halb elf und halb eins am Donnerstag abend gestorben, heute haben wir Samstag. In der Zeitspanne muß er auch in den Schrank verfrachtet worden sein, sagt der Doktor. Ich nehme an, er kann das anhand der Stellung der Gliedmaßen, der Leichenstarre und dergleichen feststellen. Nach dem Abendessen vorgestern hier – wir waren gegen halb sieben Uhr fertig – zog doch Svanberg seiner Wege, während Frau Johansson, Ministerialrat Dååbh und Konsul Karling noch mit uns im Wohnzimmer sitzen blieben und Kaffee tranken. Um sieben Uhr ging Karling, eine Viertelstunde später Frau Johansson und zur gleichen Zeit zogen Dååbh und ich uns zurück in mein Arbeitszimmer, wo wir bis kurz vor halb elf arbeiteten, als du hereinkamst und ich Dååbh zur Tankstelle schicken mußte, um den Wagen zu holen. Zwanzig Minuten später war er zurück, dann fuhren wir in die Staatskanzlei und von dort begab ich mich weiter nach Arlanda.«

      Der Staatsminister faßte sich vorsichtig ans Knie.

      »Ich kehrte kurz vor halb eins hierher zurück und ging ins Arbeitszimmer, lüftete und sammelte eine ganze Weile Unterlagen zusammen. Also: Das Zimmer war nur während meines Ausfluges nach Arlanda leer, zwischen zehn vor elf und zwanzig Minuten nach zwölf. In der Zeit mußte Svanberg ins Zimmer gekommen, ermordet und im Schrank versteckt worden sein. Das stimmt hervorragend mit den Angaben des Gerichtsmediziners überein, daß er irgendwann im Laufe der zweistündigen Zeitspanne zwischen halb elf und halb eins getötet und in den Schrank verfrachtet worden sein mußte.«

      »Er mußte also schon da drinnen gelegen haben, als du zwischen halb eins und eins gelüftet und deine Unterlagen zusammengesammelt hast?«

      »Natürlich«, antwortete der Staatsminister mit animalischer Unberührtheit.

      »Und die Arbeitszimmer waren abgeschlossen, solange du fort warst?«

      »Ja. Ich ließ hinter mir die Tür ins Schloß fallen, als ich mit Dååbh losfuhr, ich rüttelte sicherheitshalber noch mal dran, erinnere ich mich. Und du hast ja ausgesagt, du hättest es mit der Tür zum Privatbereich genauso gemacht, als du nach unserer Abfahrt dorthin zurückgingst, nachdem wir abgefahren waren. Als ich vom Flugplatz zurück war, waren beide Türen nach wie vor abgeschlossen. Und der Polizei zufolge hat niemand an den Schlössern herumgefummelt. Sie sind übrigens einbruchsicher, von der Sicherheitspolizei genehmigt und installiert. Wir haben schließlich eine Menge geheimer Unterlagen da drinnen. Folgerung?«

      »Wer hat einen Schlüssel? Der Mörder ist unter den Schlüsselbesitzern.«

      »Für die Tür zum Wohnzimmer haben nur Margareta und ich einen Schlüssel. Für die Außentür zum Arbeitszimmer, außer mir selbst und Margareta: Justizchef Rydlander, Frau Johansson und Ministerialrat Dååbh – er hatte seinen übrigens am selben Morgen bekommen, er war schließlich zum ersten Mal hier draußen.«

      »Du hast Staatssekretär Svanberg vergessen.«

      »Nein, er hatte keinen Schlüssel. Ja, das heißt, er hatte mal einen. Aber am Mittwoch hat er ihn in meinem Gartenteich verloren, und er kam nicht mehr dazu, sich gegen Quittung einen neuen bei der Sicherheitspolizei abzuholen. Ich stand selbst daneben und sah, wie der Schlüssel absoff, und gestern ließ die Polizei das Wasser ab und fischte ihn aus dem Sand.«

      Ich kam mir langsam wie in einem Agentenroman vor.

      »Aber wie konnte er dann am Mordabend hier hereinkommen?« wunderte ich mich, als ich mich von dem Schrekken erholt hatte.

      Der Staatsminister sah zustimmend aus, als erachte er die Frage als passend und intelligent.

      »Er muß mit einer Person hierher gekommen sein, die ihnen beiden aufschloß. Oder aber er kam als letzter und wurde von jemandem hereingelassen, der dort drinnen wartete. In dem Fall muß der Mörder unter den Besitzern eines Schlüssels zu dem Raum zu finden sein.«

      »Du, zum Beispiel.«

      »Ich?«

      Der Staatsminister klang empört.

      »Ja, du hast doch vorgestern gesagt, du willst deinen Staatssekretär loswerden, auf die eine oder andere Art und Weise. So oder so. Na, ich glaube an deine Unschuld. Es wäre raffinierter gewesen, ihn zum Regierungspräsidenten zu machen. Kein Blut – kein Märtyrer. Wie wurde nach Ansicht des Gerichtsmediziners eigentlich der Mord verübt?«

      »Er wurde mit bloßen Händen erwürgt.«

      »Dann muß es wohl ein Mann gewesen sein,


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