Helmut Kohl. Ein Prinzip. Alexander Gauland

Helmut Kohl. Ein Prinzip - Alexander Gauland


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Landtagswahlen kostete und die geschickt zu einem für Helmut Kohl abträglichen Vergleich mit Helmut Schmidt benutzt wurde. »Jetzt hätten wir endlich einmal einen Bundeskanzler gehabt und nun haben wir Aussicht auf keinen», formulierte Martin Walser für die Intellektuellen, und die Stimmung der »classe politique« der westlichen Demokratien brachte die Sunday Times auf die Formel: »Nach dem großen Bundeskanzler folgt jetzt ein langer.«16 Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 6. 3. 1983, bei der die Union 48,8 Prozent der Stimmen erhielt und die FDP erhalten blieb, demonstrierte, daß die Intellektuellen nicht das Volk sind und daß die Wähler den Grund für den Wechsel der FDP begriffen und gebilligt hatten.

      Die neue Legislaturperiode sah einen Bundeskanzler ohne Fortune. Ausgerechnet ein eher konservativer Politiker hatte Schwierigkeiten mit dem Apparat und den Institutionen. Unregelmäßige Kabinettssitzungen und die Unfähigkeit einiger Mitarbeiter des Kanzlers, seine Arbeit sinnvoll mit Hilfe des Apparates zu ordnen, belebten das Wort von der Führungsschwäche neu. Der neue Bundeskanzler war zudem kein Freund der Medien und diese ihm selten gewogen. Skandale und Affären begannen den Horizont zu verdüstern. Die Wörner-Kießling-Affäre war nicht nur ein Beispiel für die Unfähigkeit eines Ministers und die Ungeschicklichkeit des Kanzleramtes, sie offenbarte auch Defizite der »politischen Kultur« des Kanzlers. Daß diese Affäre nach Umfrageergebnissen und nicht nach moralischen Maßstäben entschieden wurde, entfremdete dem Kanzler auch Meinungsführer aus dem konservativen publizistischen Spektrum. Dies setzte sich mit dem Entwurf eines Amnestiegesetzes für unrechtmäßig vereinnahmte Parteispenden fort. Zwar handelte es sich bei der Flick-Affäre um ein Erbe aus sozialliberaler Zeit und eine Verfehlung aller politischen Kräfte gegenüber der Wirtschaft, der man die rechtswidrige Spendenpraxis nahegelegt hatte, die Art des Vorgehens jedoch wurde allein Kohl zur Last gelegt, während die FDP trotz Anklage und Verurteilung ihres Wirtschaftsministers den Eindruck moralischer Läuterung erwecken konnte. Helmut Kohl hatte zu Beginn seiner Kanzlerschaft eine »geistig-moralische Wende« versprochen, nun holte ihn das Echo dieser letztlich substanzlosen Ankündigung ein. Auch mußte er sich in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mit den Angriffen von Strauß auf seinen Außenminister Genscher herumschlagen, der Kontinuität verkörperte, wo Strauß die Wende einforderte. Reagans nicht ganz freiwilliger Besuch in Bitburg spaltete die öffentliche Meinung in Deutschland und rief erhebliche Irritationen im Ausland hervor. Daß die Bundestagswahlen 1987 keinen Wechsel brachten, hatte die Regierung neben dem anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg vor allem der SPD zu verdanken, die noch immer am Schmidt-Syndrom litt und ihren Kanzlerkandidaten Johannes Rau nicht geschlossen unterstützte. Bei dieser Ausgangslage waren 44,3 Prozent für die CDU/CSU mager und lösten sofort einen neuen Streit um Wahlkampfstrategie und Lagerdenken zwischen CDU und CSU aus. Allein die Nachrüstung, die Helmut Schmidt in einen unlösbaren Konflikt mit Fraktion und Partei gestürzt hatte, wurde von der Koalition geschlossen getragen und trotz der größten Massendemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik auch durchgesetzt. Das Verdienst hieran gebührt in erster Linie Helmut Kohl.

      In der zweiten Legislaturperiode verpatzte die Koalition ihre Steuerreform. Richtige Ansätze versanken im Morast einer kleinkarierten Auseinandersetzung um Spitzensteuersatz, Steuerbefreiung für Flugbenzin und die Besteuerung der Nachtzuschläge von Schichtarbeitern. Obwohl die Toren dieser Auseinandersetzung Blüm und Strauß waren, konnte Kohl das Steuertheater nicht beenden, was er mit dem als verhüllte Rücktrittsdrohung mißverstandenen Satz eingestand: »Ich habe es satt, mich zum Affen machen zu lassen, ich lasse mich nicht wie ein Tanzbär an der Leine herumführen.«17 Als er dann noch vor dem Mainzer Untersuchungsausschuß zur Parteispendenaffäre eine objektiv falsche Aussage machte, die von Geißler prompt als »Blackout« interpretiert wurde, und in einem Newsweek-Interview Gorbatschow mit Goebbels verglich, schienen seine Tage als Kanzler und Parteivorsitzender gezählt. Rüdiger Altmann begründete in der Zeit, »weshalb Kohl einem Nachfolger Platz machen sollte».18 Die Unzufriedenheit fand ihren Hebel in der Personalfrage des Generalsekretärs. Kohl und Geißler hatten sich innerlich entfremdet. Geißler verstand sich als geschäftsführender Parteivorsitzender und Hüter der Identität der Partei. Kohl sah seine Stellung als unumschränkter Chef der CDU bedroht. Als Geißler einen Wechsel ins Innenministerium ablehnte, trennte er sich von seinem Generalsekretär. Was sich dann abspielte, verdient die Bezeichnung »Putsch« nicht. Geißler hielt sich für unangreifbar, doch seine Verbündeten wollten Kohl zwar loswerden, aber niemand wollte den ersten Stein werfen. Am Ende kandidierten weder Ernst Albrecht noch Rita Süssmuth, noch Lothar Späth gegen Kohl. Neuer Generalsekretär wurde der Hamburger Volker Rühe. Das Ergebnis dieser mißglückten Schilderhebung war eine fast historisch zu nennende Verklammerung der Partei mit ihrem Vorsitzenden. »Ein Kanzler wie ein Eichenschrank», schrieb Rolf Zundel am 6. 1. 89 in der Zeit, »viele stoßen sich an ihm, doch keiner kann ihn verrücken.« Helmut Kohl war nun die CDU und die »moderne Volkspartei« wieder zum Kanzlerwahlverein mutiert. Im September 1989 glaubte niemand, daß Helmut Kohl noch einmal Wahlen gewinnen könnte, wenige Wochen später bot ihm der Zusammenbruch des Kommunismus die historische Chance, als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung in die Geschichte einzugehen, eine Chance, die Kohl klug nutzte, wodurch er erst die Volkskammerwahlen und anschließend die ersten gesamtdeutschen Wahlen für sich entschied.

      Helmut Kohl hatte an die deutsche Wiedervereinigung sowenig geglaubt wie alle westdeutschen Politiker, doch er begriff schneller als die meisten, mit der Ausnahme von Brandt, daß die Geschichte diese Richtung einschlug, und es gelang ihm im Dreischritt Währungsunion – Westbindung – Wiedervereinigung die gefährliche Falle eines Wahlzwangs zwischen NATO-Mitgliedschaft und Wiedervereinigung zu vermeiden und das neue Deutschland mehr oder minder im Einklang mit allen seinen Nachbarn zu etablieren, wenngleich die lange hinausgezögerte Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bei den Polen Irritationen hervorrief. Was außenpolitisch glückte, mißriet allerdings im Inneren. Falsche Analysen, Halbheiten und nicht eingelöste Versprechungen belasten den Einigungsprozeß bis zum heutigen Tage. Stille Freude ist längst lauter Depression gewichen, und die Bundesregierung hat noch immer kein Konzept zur Vollendung der inneren Einheit gefunden. Die Auswahl des falschen Kandidaten, Steffen Heitmann, für das Amt des Bundespräsidenten war auch einer der zahllosen Versuche, die trotz hoher Transferleistungen unzufriedenen Ostdeutschen mit dem Zustand der Dinge zu versöhnen.

      Zu Beginn des Jahres 1994 sieht es nicht so aus, als ob Helmut Kohl noch einmal eine regierungsfähige Mehrheit erringen kann, doch zeigt der kurze Abriß seiner Karriere, daß schon oft Nachrufe auf ihn geschrieben wurden, die verfrüht waren – auch diesmal ist ein Comeback nicht ausgeschlossen. Helmut Kohl ist durch eigenes Verdienst und glückliche Umstände zu einer historischen Figur geworden. Er ist wie kein anderer lebender Politiker ein Repräsentant der alten Bundesrepublik an der Schwelle zur neuen. Sein Abgang wäre ein Zeichen dafür, daß eine Epoche unwiderruflich zu Ende ist.

       Die alte Ordnung

      Es gehört zu den ironischen Kapriolen des Einigungsprozesses, daß so mancher Konservative, der die Bundesrepublik über Jahre gestützt und verteidigt hatte, ihr angesichts der Einigung die Treue brach, wohingegen nicht wenige Linke, die sie zu ihren Lebzeiten als unvollkommen und restaurativ von sich gewiesen hatten, sie im Untergang in ihr Herz schlossen. Den einen war sie eine historische Kümmerexistenz in einer Nische der Weltgeschichte, apolitisch, fremdbestimmt und im Sybaritismus versinkend19, den anderen wurde sie im Vergehen zum Modellfall aufgeklärter Staatlichkeit, eine »civil society« auf dem Weg zur herrschaftsfreien Kommunikation.20 Beide Positionen überzeichnen, und doch enthalten beide mehr als nur ein Körnchen Wahrheit.

      Die Bundesrepublik hatte bei ihrer Gründung im Jahre 1949 Startchancen, die uns erst heute, da sie bedroht scheinen, recht bewußt werden. Schon die räumliche Begrenzung erwies sich als Glücksfall. Das alte Reich mußte den Spannungsbogen zwischen rheinischem Katholizismus und ostpreußischem Pietismus aushalten. Köln verband fast nichts mit Königsberg, die Pfalz nichts mit der Uckermark. Wolf Jobst Siedler hat einmal davon gesprochen, daß man Deutschland in das Weinland im Westen, das Bierland in der Mitte und das Schnapsland im Osten teilen könne, das dann umstandslos in die slawische Wodkawelt übergehe.21 Historischer ausgedrückt kann man davon sprechen, daß die alte Bundesrepublik in ihrem Kern Limesland, also römisches Erbe


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