Herr Erlings Magd. Karl Friedrich Kurz
erklärt Marlene.
Dieses könne wohl möglich sein, meinten die Mädchen.
Aber Marlene richtet sich steil auf und rollt ihre grossen Augen. „Möglich sein? Habe ich denn nicht mit diesen meinen eigenen Augen gesehen, dass sie allerlei dürre Kräuter einstreut zwischen ihre elende Garderobe ...“
„Ja, da hast du es!“ rufen die Mädchen und stöhnen vor Ergriffenheit.
„Wartet nur — ich komme schon noch dahinter“, gelobte Marlene.
Leider kam sie nie dahinter. Selbst der scharfäugigen und hellhörigen Marlene gelang es nicht, herauszufinden, warum Herr Erling nicht mehr von der Pächterstochter lassen wollte.
Tatsache war, dass er einige Wochen umherging mit blassem Gesicht und sorgenvollen Augen. In jeder Menschenseele bleiben schliesslich ein paar dunkle Winkel.
Auch das muss ein dunkler Winkel sein, wie Marlene sich grämte und plagte und trotzdem auf Kongshaugen blieb. Wenn sie den Mädchen erzählte, sie habe in den paar Wochen schon so viel gelitten wie der Sünder am Kreuz, dann sagte sie wenigstens damit die zuverlässigste Wahrheit.
Sollte Bertina je Freude oder gar Stolz über ihren glänzenden Erfolg empfunden haben, so zeigte sie es jedenfalls nicht; sie trug den Kopf nicht höher als zuvor. Sie wollte nicht mehr sein als die Magd Marlene, nun, da sie auf Kongshaugen gesetzliche Herrin und alles miteinander hätte sein können.
Sollte wohl auch dieses nichts als Berechnung sein? Ein Schloss ward ihr angeboten; das war wahrlich viel. Sie schlug es aus — das war noch mehr. Bertina blieb für jedermann ein lebendes Rätsel.
Sie sagte zu Herrn Erling: „Ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten. Aber ich weiss nicht ... In der Küche steht Josefa und will nicht dulden, dass ich ihr helfe. Marlene braucht mich erst recht nicht. Wollen Sie mir sagen, was ich tun soll.“
Und er, verrückter als je: „Du sollst durch diese Zimmer gehn. Du sollst dich hier und dort auf einen Stuhl setzen ...“
„Ist das etwas?“ fragte Bertina.
„Das ist sehr viel. Das ist unbezahlbar viel, Bertina ... Ich habe dir feine Kleider bestellt, die werden morgen oder übermorgen hier eintreffen.“
„Sind denn meine Kleider nicht gut genug?“ fragte sie schnell. Aber sie fragte es freundlich und ganz ohne Hochmut.
„Ei gewiss bist du gut genug, so wie du bist. Aber könntest du mir wirklich nicht den Gefallen tun?“
Bertina besann sich und sagte dann leise: „Wollen Sie das Geld nicht lieber zu andern und wichtigeren Dingen verwenden?“
„Das Geld!“ rief er schmerzlich. Ja, er errötete und schämte sich ob seiner Schwäche und fragte traurig: „Warum, Bertina, willst du mich unbedingt arm und unglücklich haben?“
Darüber erschrak sie und besann sich noch einmal. „Nun denn, wenn Sie es wünschen ...“, sagte sie und fügte sich, zögernd zwar und widerstrebend.
Die schönen Kleider trafen richtig auf Kongshaugen ein, Bertina zog sie an und glich einem Märchen. Herr Erling bebte vor Freude. Er legte ihr ein feines Goldkettlein mit einem grossen Funkelstein aufs Haar. „Dieses sollst du tragen, denn es passt sowohl zu deinem Haar wie zum Kleid“, und seine Stimme zitterte vor Erregung. „Du ahnst ja gar nicht, wie wunderbar du in Wirklichkeit bist.“
Sehr sorgsam führte er sie vor den grossen Spiegel hin, so dass sie sich selber betrachten konnte, vom Scheitel bis zur Sohle. Als Bertina sich in ihrer neuen Pracht sah, kam ein feuchtes Schimmern in ihre Augen. Mit einem Male war etwas Neues und Weiches an ihr. „Dieses sind prächtige Kleider“, sagte sie. „Und es ist ein kostbarer Schmuck. Aber ich darf beides nicht besitzen. Ich will es nur leihen.“
Mit so sanften Mitteln beherrschte diese Magd ihren Herrn.
Kein Wunder, dass Marlene, die unermüdlich auf der Lauer lag, hin und wieder ein kalter Schauer über den Rücken jagte.
Bertina beherrschte in gewissem Sinne auch Marlene.
Herr Erling fragte einmal: „Wie kommt das nur, Bertina, du redest nicht die Sprache des Volkes, nicht die Bauernsprache unserer Gegend?“
„Finden Sie das wirklich? Es mag vielleicht daher kommen, dass ich so viele Bücher las. Ich war ja stets allein.“
„Bücher“, sagte Herr Erling. „Wahrlich, du sollst Bücher bekommen.“
Darüber war Bertina sichtlich erfreut.
„Du sollst eine ganze Kiste voll Bücher bekommen, Bertina!“ rief Herr Erling. „Ist es denn nicht eine ewige Schande, dass wir auf Kongshaugen nicht einmal eine Bibliothek haben? Aber siehst du, mein Vater und ich, wir hatten stets anderes zu tun, Geschäfte und so.“
Bücher wurden bestellt; ausserdem wurde der Schreiner Michelsen aufs Schloss befohlen. „Jetzt, liebe Bertina, wollen wir miteinander beraten, welches Zimmer sich am besten für unsere Bibliothek eignet.“
„Nein, nein, nein“, rief Bertina entsetzt.
„Warum denn nicht?“ fragte Herr Erling, betroffen von der Heftigkeit ihrer Abwehr.
Ein freundliches Licht
Soviel ist gewiss. Herr Erling rannte mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen dem Abgrunde zu. Immerhin lag Stil und eine gewisse Grösse in seiner Tollheit.
„Sparen“, sagte er zu seinem Kontoristen Autun. „Sparen, mein Lieber, ist stets ein Eingeständnis der Schwäche. Wir müssen stark sein und verdienen.“
Die Verhältnisse auf Kongshaugen veränderten sich schnell. Sie waren schon so prachtvoll herangereift, dass selbst der vorsichtige Autun einsah, dass hinfort auch die härteste Sparsamkeit nur noch einen lächerlichen Aufschub der Katastrophe bedeuten würde. Darin konnte er seinem jungen, stürmischen Herrn nicht widersprechen. Sollte Kongshaugen jetzt noch gerettet werden, dann musste etwas Grosses, etwas Kühnes und Umfassendes geschehen. Alle Dinge waren in wilden Fluss gekommen.
„Sind denn die Zeiten nicht ausgezeichnet?“ fragte Herr Erling. „Ich habe geheime Nachrichten von Island; dort gibt es, viel früher als gewöhnlich, gewaltige Heringsschwärme ... Zwei kleine Dampfer und eine Galeasse sind mir billig angeboten. Ich habe sie vorläufig für drei Monate gechartert. — Was sagst du dazu, lieber, alter Autun?“
Dem lieben, alten Autun sank die Feder aus der Hand, und er selber sank auf den Stuhl zurück. Das blaue Wunder, das ihm gelobt worden, das sollte er hiermit erleben. Das junge Pferd, das Autun hatte zügeln und zähmen wollen, brannte jetzt durch, mit ihm und Kongshaugen und allem. „Mein armer, sündiger Kopf“, stöhnte Autun, indem er seine mageren Fäuste gegen die Schläfen presste.
Aber war das, was Herr Erling getan, wirklich eine so grenzenlose Dummheit? War es vielmehr nicht das einzige und letzte Mittel zur Rettung? Das begriff Autun, nachdem der erste Schreck verflogen.
Herr Erling war verzaubert; doch stand er im Banne einer guten Fee. Herr Erling irrte in einem grossen, finsteren Wald; aber ein freundliches Licht schwebte vor ihm her und wies ihm wunderbar den Weg.
Auch für Autun gab es nun keine Wahl und kein Zögern mehr. Er selber fing Feuer, setzte sich hin und schrieb Briefe und sandte Telegramme in die Welt hinaus. Gewiss war das Ganze nichts als eine Tollheit und eine Verzweiflungstat. Aber in manchem glich es dem Jagen und Treiben aus des seligen Herrn Nikolajs Zeiten. Es war abermals das Abenteuer und das grosse Spiel, davon wurde der alte Autun ergriffen, und er vergass, dass er auf einem havarierten Schiffe segelte. Nur noch das Wagnis sah er und begann förmlich aufzuleben. Sein eingeschlafener Geist flammte noch einmal auf. Er rechnete und rechnete, trieb Gelder ein, lieh Gelder, verpfändete seine Wertschrift, seine grosse Forderung auf Kongshaugen, verpfändete seinen guten Namen und seine gute Seele. Sicherlich kamen dabei allerhand zweifelhafte Papiere zustande; aber zum Fischhandel braucht man flüssiges Betriebskapital.
Und so wurden denn in aller Heimlichkeit und Eile die beiden Dampfer