Herr Erlings Magd. Karl Friedrich Kurz
Bertina schaute ihn lächelnd an und schwieg.
Sie hatte wohl eine geheime Absicht mit Höjen — wer kann das wissen?
Die Tage kamen und gingen. Der Winter zog ins Land, mit Dunkelheit und endlosen Stürmen. Auf Kongshaugen gab es jetzt wieder grosse Dienerschaft und ein reiches Leben. In der Julzeit sollte im Saal ein Tannenbaum stehn. Früher gab es auf Kongshaugen keinen Christbaum. Es war Bertinas Wunsch. Sie selber holte den Baum; sie nahm den Knecht Magnus mit nach Höjen und wählte eine junge Tanne aus. Doch durfte die Tanne nicht gefällt werden, sondern sie musste sorgfältig mit der Wurzel ausgegraben und in einen grossen Kübel gepflanzt werden.
Wunderliche Einfälle hatte sie, Bertina. Sie wollte keinen toten Baum mit Lichtern schmücken, nein, ein lebender Baum sollte ihr zum Feste leuchten. „Und er soll wieder zurück nach Höjen“, sagte sie. „Neben der Haustür auf Höjen soll er weiterwachsen ...“
„Ich will dir“, sagte Herr Erling, „zehntausend junge Tannen auf Höjen anpflanzen lassen. Zum mindesten solltest du eine Allee haben vom Steinwall bis zum Haus ...“
Bertina lachte. „Immer müssen Sie unmässig sein ... Was soll ich mit zehntausend Bäumen?“ Und darauf schmückte sie den einen Baum.
Herr Erling gewöhnte sich mit der Zeit an Bertinas Einfälle. Er trug eine gesegnete Wärme in seinem Herzen. Als der Baum mit seinen kleinen, gelben Lichtern flackerte und strahlte und Bertina daneben stand, weiss gekleidet wie eine Winterfee, durchströmte ihn ein ungeahntes Glücksgefühl. Das war gleich einem urwaldtiefen Zurücksinken in eine vergessene Zeit. In seinem Blute wachte die Erinnerung auf an Julfeste, die einst seine Vorfahren feierten und Odin und Thor und Fröy opferten. Nicht der Christbaum mit seinen freundlichen Lichtern ergriff Herrn Erling, sondern das, was vordem gewesen. In seinen Adern floss echtes Wikingerblut — das mochte es wohl sein, was ihn von der weissen Fee trennte.
In jeder Beziehung hatte Herr Erling noch die wilde und unbändige Natur seiner Väter. Er liebte das Abenteuer, das hohe Spiel mit der Gefahr, das fröhliche Schaukeln auf gierigen Wellenkämmen.
Denk an das Kind
Hierauf wurde es abermals Sommer ... Herr Erling hatte während der langen, stillen Winterwochen an dieses und jenes gedacht, an Vergangenes und Zukünftiges. Am meisten dachte er an das Kind.
Erst im Frühling hatte er diese Botschaft vernommen, und er glaubte, nun müsse er noch einen allerletzten Versuch wagen. „Gleich machen wir es gesetzlich, denn nun kannst du dich nicht länger dagegen sträuben. Denk an das Kind ...“
„Das Kind?“ fragte Bertina.
„Wenn es im Herbst zur Welt kommt, muss es doch einen Namen haben.“
Bertina blickte in ihren Schoss und lächelte still vor sich nieder. „Ich denke, dass es ein Knabe sein wird. Er soll Einar heissen. Ja, er soll Einer Höjen heissen ...“
Die Selbstverständlichkeit, mit der Bertina in dieser Sache verfügte, überraschte und verwirrte ihn. „Warum, Liebe, soll er nicht Einar Kongshaugen heissen? Gönnst du mir kein Recht daran?“
„Ich will ihm von seinem Vater erzählen. Und wenn er Verstand genug hat, will ich ihm von Kongshaugen erzählen und von einem grossen Glück ...“
Als sie so sprach, verstand Herr Erling, dass er sie einmal verlieren musste, und er rief bang: „Bertina, jetzt versündigst du dich!“
Es waren ungewöhnliche Liebesleute von Anfang an. Grosse Menschen waren sie wohl alle beide. Aber Bertina liess sich doch gar zu sehr hinreissen in ihrem Stolz. Ihre Liebe und ihren Leib legte sie auf den ewigen Opferstein; doch irgend etwas blieb in ihr, das sie nicht hergeben konnte.
Sie sassen eine Weile und dachten nach, jedes für sich. Dann bat er: „Du solltest es wirklich tun, um des Kindes willen.“
„Ich? Nein, Sie wissen selber, dass es für allezeit unmöglich ist“, sagte sie ungewohnt heftig.
„Soso“, besänftigte er sie. „Reden wir nicht mehr davon.“
„Bedenken Sie doch nur: Wenn das Kind auf Kongshaugen leben muss, wird seine Mutter ihm ein Makel sein. Auf Höjen aber wird sein Vater ihm ein Stolz sein ...“
„Ich verstehe dich nicht in allen Teilen“, gab er nachgiebig zu. „Ich liebe dich, und darum wirst du für mich schliesslich immer das Rechte tun.“
Vor kurzem noch hatte Herr Erling das Leben leicht genommen, und er hatte es gemeistert. Da kam das Leben unerwartet zu ihm und gab ihm ein Rätsel auf. Herr Erling war ausserstande, das Rätsel zu lösen. Nein, dazu war er nicht der Mann.
Jedoch war er stets der Mann der kühnen Tat. Er überliess Bertina und die Zukunft und alle Undurchdringlichkeit den guten Geistern und wandte sich ungestüm den Geschäften zu. Eines wollte er erringen: Kongshaugen musste wieder mächtig und völlig frei von Schulden werden. War das Kind erst einmal auf der Welt, dann mochte sich manches von selber fügen.
In diesem Sommer sollte nicht bloss der Handel mit Islandshering betrieben werden; es sollten ausserdem Fische in den Lofoten gekauft werden. Der grosse Handel des seligen Herrn Nikolaj musste zu neuem Leben erwachen.
Wahrlich, eine frische Nordbrise wehte über Kongshaugen hin; Herr Erling verschwendete nicht länger seine Tage, sondern fuhr geladen mit grossen Plänen umher. Er war zu gleicher Zeit unten am Hafen, in den Lagerhäusern, auf den Trockenklippen, im Kontor und überall. Der alte Autun, der doch diese gewaltige Umwälzung verursachte, wurde sanft beiseitegeschoben; er tauchte wieder still im Schatten unter, und niemand beachtete ihn mehr. Nun sass er, wie früher, grau und schmal und gebückt hinter seinem Tisch und befasste sich mit kleinen Dingen.
Zwei Segelschiffe und drei Dampfer lagen schon fahrbereit im Hafen — diesmal sollte gekauft und verkauft werden, dass die Fischhändler dort unten nicht mehr zur Besinnung kamen. Eine Lawine von Briefen wälzte sich von Kongshaugen hernieder.
„Das Glück hat ihn toll gemacht“, murmelte Autun vor sich hin, während er seine letzten Kräfte hergab. Die ängstliche Seele Autun meinte wohl, im Kopfe seines Herrn müsse irgend etwas in Unordnung geraten sein, und griff verzweifelt nach seinem eigenen.
Das Unternehmen des vergangenen Sommers schrumpfte zusammen zu einem Kinderspiel. Dieses Mal wurde harte Männerarbeit verrichtet. Kein Zweifel, es war unverzeihlich, das, was nun auf Kongshaugen anhob, und Herr Erling hatte das Gleichgewicht verloren; vorwärts getrieben wurde er von fünf Engeln und zehn Teufeln. Er war hager und schmal geworden bei dieser unerhörten Anstrengung. Aus seinem Gesicht trat die Nase scharf wie ein Messer heraus. Und so stand er denn, ein rotes Flackern in den Augen, allein am Steuer und lenkte das schwere Schiff.
Herr Erling vertraute seinem Stern.
Wie im Jahre zuvor verkaufte er eine gewaltige Ladung zum voraus und zu festen Preisen nach Schweden; aber er verkaufte eine noch grössere Ladung nach Hamburg. Jetzt ging es nicht um Kleinigkeiten; jetzt ging es ums Ganze.
Auf Kongshaugen trafen die ersten Nachrichten ein; gute Nachrichten. Schiffer Vasting war wieder der Leiter der Expedition; er trug eine Lederweste mit sechs Taschen für alle die vielen Gelder. Die Weste zog er auch des Nachts nicht aus. Zu der Reise hatte er sich mit hohen Schaftstiefeln und blanker Schirmmütze prächtig ausstaffiert und glich einem Admiral. Auch er, der sonst im täglichen Leben ein vernünftiger Mann war, verlor bei dem allgemeinen Taumel ein wenig seine Fassung. Deshalb telegraphierte er wild drauflos. „Ich habe zehntausend Tonnen auf der Hand“, telegraphierte er, „sieben, acht, zehn.“
„Was bedeutet das?“ fragte der alte Autun.
„Nichts. Er ist ein bisschen verrückt“, sagte Herr Erling und telegraphierte seinerseits: „Ruhig Blut und abwarten.“
Doch Vasting war nun so fein im Zuge; er machte Revolution auf Island. „Zwanzigtausend zu vier“, meldete er.
Abwarten.
Am folgenden Tage: „Jetzt stehn sie auf fünf.“