Herr Erlings Magd. Karl Friedrich Kurz
das darf nicht geschehn ...“ Und er macht es wohl ohne Überlegung; die Gelegenheit drängte sich ihm doch förmlich auf und zeigte sich günstig. Musste er sie denn nicht zurückhalten von dieser Reise nach dem Süden? Also legte er den Arm um die Mitte ihres Leibes und hielt sie.
Eigentlich zog Bertina sich gar nicht zurück; nein, sie blieb ruhig stehn, wo sie stand und schaute freundlich auf ihn nieder. Sehr behutsam und bescheiden bat sie: „Darf ich jetzt wieder gehn? Ja, ich bitte Sie um ein wenig Barmherzigkeit ...“ Voller Güte sagte sie es, mit einer stillen Wehmut in der Stimme. Aber in ihren Augen stieg jäh ein verwunderliches Flimmern auf.
Nur ein wenig Barmherzigkeit — das war wirklich alles. Darauf liess Herr Erling den Arm sinken; und er senkte sogar noch den Kopf. Dann schritt Bertina langsam und lautlos über den indischen Teppich und schritt zur Tür hinaus.
Hinter seinem grossen Eichentisch blieb Herr Erling zurück, unfähig, das Wunder, das vor seinen Augen geschehn, zu erfassen. Die Verliebheit war mit einem Schlage da und meldete sich als ein gewaltiger Sturm. „Bertina“, murmelte er und begriff nicht, dass so etwas menschenmöglich sein konnte. „Bertina?“
Wie die leibhaftige Versuchung war sie vor ihn hingetreten — war über ihn niedergeprasselt gleich einer Lawine. Sie ist doch nur ein Bauernmädchen, dachte er wohl. Was ist denn das mit mir? Benahm ich mich nicht allzu idiotisch — zum Teufel ...
Nur die Tochter des schwerfälligen Pächters Asbjörn war sie — nur Bertina hiess sie ... Sie kam zur Tür herein und schaute ihn nur still an mit ihren dunklen Augen ... Haha, das war ja so verrückt und unausdenkbar, dass Herr Erling darüber sowohl lachen als fluchen musste. „Das habe ich nun von all der verdammten Stille und Leere“, sagte er zu sich selber.
Für ihn begann eine recht schlimme Zeit.
Fürs erste schrieb er einen Brief und sandte einen Boten nach Mykja; er berief Bertina nach Kongshaugen, einfach und selbstverständlich: der Herr befahl seiner Magd zu kommen. Die Magd kam nicht. „Nein“, sagte sie. Nichts weiter als dieses kleine, unglaubhafte Wort brachte der Bote zurück.
Bertina machte es Herrn Erling durchaus nicht leicht.
„Was zum Satan?“ fragte er und riss vor Überraschung tiefe Falten in seine Stirn. Herr Erling hatte bis dahin noch nie umsonst gerufen. Er wusste wohl selber noch nicht, dass er am Anfang einer schmerzlichen Prüfung stand. Ja, er nahm es noch leicht, nahm es mit unerschüttertem Selbstvertrauen und grossen Worten.
Herr Erling schrieb einen zweiten Brief. Den sandte er durch einen Eilboten nach Mykja. „Du musst ihn ihr sowohl persönlich als eigenhändig ausliefern“, sagte er.
„Das wird geschehn“, versicherte der Eilbote. „Soll ich auf Antwort warten?“
„Wie? Nein, sie hat selber zu erscheinen.“
„Jawohl“, versprach der Eilbote. „Ich werde sie mitbringen.“
Aber nein. Diese Pächterstochter bot dem mächtigen Herrn Erling und der guten alten Überlieferung die Stirn und erklärte dem Eilboten: „Ich wüsste wahrlich nicht, was ich jetzt noch auf Kongshaugen zu tun hätte. Habe ich ihm denn nicht alles gesagt und ausführlich erklärt? Damit muss es genug sein.“
Das war also das zweite Mirakel; und das zweite war noch unbegreiflicher als das erste. „Was schwätzest du da, Mädchen?“ fragte entsetzt der Eilbote. „Nein, das meinst du wohl nicht ...“
„Das verstehst du nicht, guter Magnus“, entgegnete Bertina lächelnd und wandte ihm den Rücken.
Jawohl, der Eilbote war Magnus, der letzte Diener von Kongshaugen, der sein Leben lang nichts anderes vernommen als Gehorsam und Ehrerbietung gegen seine Herrschaft. Verzweifelt schob er seine Mütze auf dem Kopfe hin und her. Gelbliche Haarsträhnen quollen unter dem Mützenrande hervor und fielen ihm bis tief in den Nacken. Magnus fuchtelte mit beiden Händen, als er die Steintreppe von Mykja herunterstieg.
Magnus war so niedergeschlagen, eine solche Botschaft überbringen zu müssen, dass er seinem Herrn gar nicht ins Gesicht schauen durfte. „Sie will nicht kommen“, begann er zögernd und verstummte, starrte zu Boden und schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Will sie nicht?“ fragte Herr Erling. „Was sagte sie denn?“
„Nein, sie war nicht gerade ungnädig; aber sie muss ihren Verstand vollständig verloren haben“, meinte Magnus, gleichsam entschuldigend und mit abgewandtem Gesicht. Er glaubte wohl, gleich werde Herr Erling seine Hand ausstrecken und den Gaard Mykja mit allem, was darauf lebte, völlig vernichten.
Nichts davon, Herr Erling beherrschte sich. Wohl erhob er sich und kam hinter seinem grossen Tisch hervor; aber er trat nur ans Fenster und schaute hinaus. „Es ist gut. Du kannst gehen“, sagte er. Und kein Strafgericht.
Herr Erling schaute hinaus, über den See, über die Wiesen und Äcker und Wälder, über sein weites, weites Land. Und dann schaute er in den tiefen blauen Himmel hinein, der nicht ihm gehörte und dem er nicht befehlen konnte. Weiss Gott, er dachte nicht an eine Paradiesvertreibung; aber er blieb lange am Fenster stehn und zuckte heftig mit den Mundwinkeln. Wahrscheinlich nahm er es auch jetzt noch nicht übermässig schwer. Im Grunde seiner Seele war er nicht einmal aufgebracht oder wütend über Bertinas Widerstand, höchstens verblüfft war er und über alle Massen neugierig. „Diese junge Dame ...“, murmelte er lächelnd und fasste einen mannhaften Entschluss. Mit langen, sicheren Schritten verliess er sein Privatkontor.
Er ging über den Hof, durch den Park, bis an das Seeufer, dort blieb er stehn, besann sich und kehrte um. Bei den Ställen traf er Magnus, und Magnus hatte offenkundig ein schlechtes Gewissen, weil er da stand und seinem Herrn nachschaute. „Sattle mir Jarl!“ befahl Herr Erling.
Wie er nun so den See entlang galoppierte und Jarl schnaubte und weisse Schaumflocken nach beiden Seiten blies und das Lederzeug knirschte und der Wind leise um seine Ohren sang, wähnte Herr Erling sich ungeheuer mächtig. Er wähnte sich unwiderstehlich, und er meinte wohl, es sei ein hervorragender Einfall, dieserart auf den Gaard von Mykja zu reiten.
Wenn er aber glaubte, der Pächter Asbjörn werde mit der Fellmütze in der Hand auf dem Tun stehn und die Tochter Bertina werde errötend und beschämt herbeieilen, so täuschte er sich gewaltig. Verlassen und tot lag der Hof da und glich mit seinen grauen Gebäuden einer düstern Burgruine. Kein Zuruf, kein Gruss, keine Ehrerbietung. „Ei der Teufel“, sagte Herr Erling, fluchte und versündigte sich. Er richtete sich noch steiler im Sattel auf und ritt, ohne mit der Wimper zu zucken am Wohnhaus vorbei. Nicht einen einzigen Blick warf er zum Fenster hinauf, ob sich vielleicht dort ein dunkler Mädchenkopf zeigte. Jetzt, dachte er wohl in seinem Sinn, soll hart auf hart treffen.
Herr Erling ritt quer durch den Föhrenwald nach Sandnes. Der Pächter Eilif war übrigens auch ein Mann, der junge Weiblichkeit im Hause hatte. Dieser Mann besass sogar vier Töchter. Alle vier hatten rührend blondes Haar und dazu blaue Augen; frisch und rotwangig und gut gewachsen waren sie, eine wie die andere. Ausserdem bezahlte Eilif seinen Pachtschilling sogleich, als er Autuns Brief erhalten hatte. Deshalb durfte er nun unerschrocken, aber ehrerbietig auf dem Tun stehen. Eilif nahm die Fellmütze ab, als Herr Erling angeritten kam.
„Ich komme nur so zufällig in deiner Gegend vorbei“, sagte Herr Erling.
Der Pächter Eilif aber wollte die Gelegenheit ausnutzen und ein wenig Neuigkeiten vernehmen. „Wie ich höre, wurde dort unten befohlen, dass sich mehrere Netzmannschaften zur Ausfahrt rüsten sollen. Aber das wird nur loses Gerede sein, da ich bis zur Stunde keine Aufforderung erhielt ...“
„Sollte Autun dich wirklich vergessen haben?“ fragt Herr Erling. „Ja, es geht ihm in diesen Tagen gar manches durch den Kopf. Er will übrigens nur zwei Boote ausschicken.“
Worauf Eilif sich betroffen und zurückgesetzt fühlt, da auch er, so gut wie irgendeiner, zur alten Garde gehört. „Der selige Herr Nikolaj hat mich nie übergangen“, sagt er.
„Ein kleines Versehn, du Eilif. Ich werde ihn daran erinnern.“ Herr Erling zieht ein winziges Büchlein aus der Tasche und einen goldenen Bleistift,