Das Schiff der Fremden. Peter Seeberg

Das Schiff der Fremden - Peter Seeberg


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den Speer ganz hoch und stieß ihn hinein. Er spürte deutlich, wie sich der Aal an dem Speer wand.

      Er holte die Beute heraus, ein dicker, gelbgrüner Kerl, genug für eine ganze Familie. Er löste den Fisch von der Spitze, trug ihn an Land und schnitt den Nacken durch. Der Aal war ihm sehr freundlich gesinnt.

      Er legte ihn in den kleinen Steinring, wanderte ziemlich weit den See entlang, und als es dunkel wurde und er sein Nachtlager aufsuchte, überprüfte er den Steinring nicht. Er schlief traumlos und voller Erwartungen.

      Noch vor Sonnenaufgang erwachte er, frierend vor Kälte, aber er nahm sogleich den Rauchgeruch wahr, nicht aus dem Aschehaufen, sondern lebendigen Rauch, wie er gehofft hatte. Er schlüpfte ins Freie, und da fand er den Aal in dem Steinring, gebraten und nach Fett duftend, so, als hätte die Mutter ihn zubereitet.

      Er tat einen Luftsprung vor Freude und sang ein Lied, noch ein Lied, das mit aj-aj-aja endete.

      Jetzt sollte ihn die Trauer nicht mehr in Versuchung bringen.

      Aber er wollte den Rest des Winters bleiben und fischen und jagen.

      3

      Kurz nach dem zweiten Mondwechsel seiner Wanderung kam lautlos der Winter.

      Der Schnee reichte ihm bis über die Knöchel, es war trockener Schnee, der nicht schmolz und nicht durch die zerschlissenen Lederlappen drang, die er an den Füßen trug. Auf der bläulich-weißen Schneedecke zeichneten sich überall Spuren ab. Zwischen verschneiten Grasbüscheln saßen Hasen und beobachteten ihn. Sie konnten warten, bei Gelegenheit würde er sie schon überlisten.

      Die Gänse waren fast alle aus der Bucht weggeflogen, nur die fettesten waren zurückgeblieben, er bekam Lust auf Gans.

      Er schlich sich hinter einen Weidenstrauch in der Nähe der Anlegestelle, wo das Quellwasser in den See mündete und wo noch einige Gänse im Eisloch tauchten und fischten. Er sprach zu ihnen und sang ihnen ein kleines Lied, dem sie nicht widerstehen konnten. Die Fetteste reckte sich aus dem Wasser und schlug mit den Flügeln. Er sang weiter, sie wandte sich in seine Richtung und versuchte vergeblich, ihn zu entdecken. Dann plusterte sie sich auf und schwamm ans Ufer, wo sie horchte und guckte. Jetzt sang er so leise er konnte, wie es ihm der Vater beigebracht hatte, er sah die Betörung in den Augen der Gans, die nun zwei Schritte auf einmal machte. Jetzt erblickte sie ihn, fürchtete sich aber nicht vor ihm. Sie watschelte näher, bis sie vor ihm stand und ihn verwundert anstarrte.

      Er packte sie am Hals, und sie sagte nichts. Sie war zu verwundert.

      Er konnte eine Gans nicht ohne Feuer essen, das hatte er gewußt, ehe er sie schlachtete. Er würde sich bei den Bauern verraten, wenn sie überhaupt auf den Gedanken kamen, den Himmel anzuschauen, denn riechen konnten sie den Rauch jedenfalls nicht.

      Er trug dürre Zweige und Äste zusammen, damit die Flamme möglichst klar wurde, und er ließ das Feuer so lange brennen, bis genügend Holzkohle und Asche entstanden waren, um die gehäutete Gans darin zu braten. Das Herz und die Leber legte er in den Steinring für den, der offenbar vorbeikam, ihn aber in Frieden ließ.

      Er ging zur Mulde, scharrte den Schnee weg, streifte Moosbeeren ab und nahm eine große Handvoll mit, damit er sich daran laben konnte, wenn die Gans gar war.

      Er hängte den Balg der Gans zum Trocknen auf, und auch den Schnabel hängte er auf, genau wie es seine Mutter getan hätte. Die Eingeweide legte er ans Seeufer, die Därme aber reinigte er, wendete sie, wusch sie im Seewasser aus und hängte sie unter einem Weidenbaum auf. Wenn sie trocken waren, konnte er daraus vielleicht eine Sehne für den Bogen winden, den er sich bauen wollte, sobald er einen Namen hatte. Mit Fett mußten sie eingerieben werden, damit sie sich hielten, eingerieben und geknetet mußten sie werden, damit sie weich und schmiegsam wurden. Er benötigte eine Schale, um das Fett aufzufangen, falls er nochmals eine Gans in seinen Bann ziehen konnte.

      Er aß die ganze Gans, so daß er nach Luft schnappen mußte. Er lachte über seinen überfüllten Magen. Dann rieb er den Kopf mit dem Fett ein, wusch sich danach mit Schnee, und die Haut wurde weich und warm. Jetzt fühlte er sich wie im Gildenhaus der Baummarder: vollgegessen und quicklebendig, aber niemand war da, mit dem er hätte teilen können.

      Etwa um die Zeit, als die Nacht am längsten war und die Sonne nur einen kurzen Augenblick über dem Wald erschien, entdeckte er eine große Spur und neben der Spur kurze Haare. Es bestand kein Zweifel, ein Hirsch hatte die Ebene beim See durchquert, vielleicht auf der Flucht vor den Bauern.

      Er lauschte auf ihr Johlen und Schreien, er wartete, sie lärmend aus dem Wald brechen zu sehen, aber alles blieb still. Dann machte er sich auf über die bläulich-weiße Schneedecke und folgte der Spur in den Wald.

      Gleich nach dem Waldrand hatte das Tier angehalten, die Spuren bildeten ein Muster kreuz und quer im Schnee, es hatte nach Gras und Pilzen gescharrt, gefressen und einen großen Kothaufen hinterlassen.

      Der Hirsch war langsam durch den Schnee gelaufen, vielleicht, um eine Wasserstelle zu finden und von den Kräutern und dem Gras zu fressen, die dort wuchsen und vom Schnee nicht bedeckt waren. Er folgte der Spur, ohne hineinzutreten, wie er es von seinem Vater gelernt hatte, es gab sogar Gelegenheiten, da mußte man rückwärts gehen, das verwirrte das Tier und machte es neugierig.

      Der Hirsch mußte erst vor kurzem hier gewesen sein, mußte im Bogen gegangen sein, gegen den Wind. Er roch ihn schon, ein eigenartiger Geruch, der ihm nicht vertraut war. Von den Spuren dagegen hatte der Vater oft geredet, immer dann, wenn er erzählte, wie er einmal einen Hirsch gejagt und erlegt hatte.

      Da widerhallte der Wald von Lärm und lauten Rufen, der Junge hörte das Platschen von Wasser, und durch das Unterholz sah er Gestalten, die wild durcheinanderliefen. So hatten die Bauern aus dem Dorf den Hirsch doch bemerkt und vorausgesehen, daß er wahrscheinlich zur Wasserstelle kommen und seinen Durst löschen würde.

      Er schlich von Baum zu Baum. Sie waren mit Bogen bewaffnet, der Hirsch lag, von ihnen umringt, mitten in der Quelle, und war von fünf Pfeilen getroffen. Von jedem Mann einer. Jetzt standen sie da und redeten laut, als wären sie allein auf der Welt. Einer von ihnen deutete auf den Hirsch, der den Kopf etwas gehoben und einen Hinterlauf bewegt hatte. Sie redeten darüber, wer von ihnen dem Tier den Todesstoß geben sollte. Einer, der nichts sagte, erhielt die Aufgabe. Er hatte ein langes Eisenmesser. Er führte seine Aufgabe in der Quelle stehend aus, ihm war offensichtlich nicht recht wohl zumute dabei.

      Dann zogen sie das Tier an den Hinterläufen heraus, banden Hinter- und Vorderläufe zusammen, und einer, der eine Axt hatte, fällte einen kleinen Ahornbaum und schnitt die Äste ab. Der Stamm wurde zwischen den verschnürten Läufen durchgeschoben, zwei der Männer schulterten die Last und machten sich auf den Weg ins Dorf. Die Atemluft stand in kleinen Wolken um die Männer. Sie redeten laut und brachen manchmal in ein Gelächter aus, das seine Mutter immer als das böse Lachen bezeichnet hatte.

      »Eines Tages«, sagte der Vater, »eines Tages wirst du einen Hirsch erlegen, aber nicht mit deinem kleinen Messer. Wenn du Pfeil und Bogen hast, wird es für dich auch einmal soweit sein.«

      Der Junge ging in der Dämmerung heimwärts.

      »Hirschfleisch ist so kräftig, daß einem davon schwindlig wird«, hatte sein Vater gesagt, »man bekommt Kraft und großen Mut davon, mehr als vom Wildschwein.«

      »Wildschweinfleisch macht schwermütig«, hatte die Mutter gesagt, »Hirschfleisch dagegen fröhlich. Von Hirschfleisch wird die Welt rot wie die Sonne.«

      »Es ist das Fleisch unserer Vorfahren«, sagte der Vater. »Das Fleisch der Bauern ist die Grütze. Unsere Vorfahren haben einmal jeden Tag Hirschfleisch gegessen.«

      Er ging zu seinem Bach und holte sich drei Forellen heraus. Die Kraft, die er hatte, stammte vor allem von Fischen, Vögeln, Beeren und Pilzen. Er war bereits anders als seine Vorfahren.

      Nach dem Tag, an dem sich die Sonne am kürzesten zeigte und die Nacht so lang war, wie der Tag im Sommer, nahm die Kälte zu, und er begann nachts zu frieren, so daß er in der Dunkelheit herumlaufen mußte, um sich mindestens ein bißchen zu erwärmen. Er brauchte dringend ein Fell.


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