Vom Tellerwäscher zum Visionär. Wolfgang Gran
Kollege aus dem Labor, der mit ihm einst bei Benckiser gearbeitet und dort die Entwicklungsabteilung geleitet hatte, noch eine Spur geknickter wirkte als er selbst: »So konnte ich ihn ein wenig aufrichten, ihm Hoffnung machen und Mut zusprechen – und das hat wiederum auch mir geholfen, nach diesem Niederschlag wieder aufzustehen.«
Denn natürlich kam auch beim Firmenchef dieser erste Reflex hoch, dass man Opfer einer großen Ungerechtigkeit geworden wäre und die Tester auch andere Möglichkeiten gehabt hätten, als eine Headline wie die scharfe Klinge einer Guillotine auf jemanden herabsausen zu lassen, der zu dieser Zeit gerade einmal 0,4 Prozent Marktanteil in Deutschland hatte: »Das wurde ja auch im Internet veröffentlicht, und da war es dann noch sehr, sehr lange so, dass du ›claro‹ eingegeben hast und sofort auf ›Nichts ist Claro‹ gestoßen bist. Hilfreich war das nicht«, erinnert sich Dygruber.
Aber es reichte auch nicht für einen finalen K. o., denn noch mit dem niederschmetternden Testergebnis vor Augen gab der claro-Chef seinem Chemiker Fabianitsch ein Versprechen: »Ich weiß, was du kannst, ich glaube fest an uns und sage dir: So etwas wird uns nie wieder passieren. Und auch wenn es eine Weile dauern wird, sage ich dir schon heute: Eines Tages werden wir Testsieger sein.« Als ihn der väterliche Freund daraufhin einen Träumer nannte, kam das bei Josef Dygruber quasi als Arbeitsauftrag an. Denn wer, wenn nicht der Chef selbst, sollte kühne Träume entwickeln und deren Umsetzung vorantreiben.
Zugute kam ihm dabei eine Fähigkeit, die unter anderem den durchschnittlichen vom außergewöhnlichen Unternehmer unterscheidet: Niederlagen und Rückschläge nicht lange zu beklagen und die Schuld im Außen zu suchen, sondern unverzüglich und ohne Umwege in die schonungslose Selbstanalyse zu gehen. Dabei gingen dem Salzburger gleich mehrere Lichter auf. Das Test-Desaster mit der wasserlöslichen Folie hatte ihm zwar in der Bewertung das Genick gebrochen, Dygruber musste sich aber auch andere, zunächst schwer verdauliche Faktoren eingestehen: »Unser Produkt war zwar von der Reinigungsleistung her gut, aber in Bereichen wie Glanztrocknung oder Belagsbildung, also in vielem, das von einem Multi-Tab verlangt wurde, waren wir noch meilenweit von den großen Mitbewerbern entfernt. Das mussten wir uns damals, zähneknirschend, aber doch, eingestehen.«
Zwei entscheidende Erkenntnisse nahm der Selfmade- Unternehmer aus diesen stockfinsteren Stunden mit: dass die Performance seines Produktes noch lange nicht dort war, wo sie zu sein hatte, um mehr als eine Sternschnuppe zu werden. Und dass er sich schleunigst mit den Regeln des Spiels vertraut machen musste, nach denen die Großen der Branche spielten, denn das Blauäugige hatte er nun im übertragenen wie wörtlichen Sinn hinter sich gebracht. Selbstverständlich saßen nämlich zum Beispiel Vertreter der großen Konkurrenten in jenem Fachbeirat von Stiftung Warentest, der unter anderem bei der Auswahl von Testkriterien beratend tätig ist. Und der Unterschied, ob man aus der Ferne ein Liedlein nachpfeifen konnte, oder selbst in irgendeiner Form dort präsent war, wo die Musik spielte, war Josef Dygruber nun überaus schmerzlich bewusst geworden: »Dabei ging es überhaupt nicht um Beeinflussung, sondern darum, besser und schneller informiert zu sein und auf manche Dinge reagieren zu können, bevor man eine böse Überraschung erlebt.«
Ihm wurde nun auch nachträglich klar, dass die zunächst schmeichelhafte Einladung zum Essen ins noble Salzburger Schloss Aigen, die der damalige Boss eines Mitbewerbers ausgesprochen hatte, nicht der unbestreitbaren Tatsache geschuldet war, dass Dygruber ein interessanter und sympathischer Gesprächspartner war. Sondern dass es hier in erster Linie um den Versuch gegangen war, in vermeintlich jovialer Atmosphäre mehr über das Innenleben und die Pläne einer kleinen Firma zu erfahren, die mit dem 7-in-1-Tab soeben dem 5-in-1-Modell eines Großkonzerns frech aufgefahren war.
Kurz: Der letzte Platz bei Stiftung Warentest animierte Josef Dygruber zu einer längst notwendigen Aufholjagd in Menschenkenntnis, Business-Regelkunde, vor allem aber zu einer deutlichen Schärfung der Zielperspektiven für seine eigene Marke. Mit diesem Fünfer im Zeugnis büffelte er von dieser Stunde an wie ein Besessener, um claro vom Sitzenbleiber zum Musterschüler zu machen. Denn da verstand Josef Dygruber überhaupt keinen Spaß. Diese Marke war für ihn im wirtschaftlichen Sinn wie ein Kind, für dessen Wohlergehen er sich verantwortlich fühlte. Und dieses Kind war mit 13 Jahren, wenn man so will, mitten in der Pubertät, von außen als »Totalversager« abgestempelt worden. Das konnte Josef Dygruber so auf keinen Fall stehen lassen.
Zeitensprung: Am 24. Oktober 2019 bestieg der claro-Chef in Salzburg ein Flugzeug, um mit seinen Chemikern am Kongress der SEPAWA in Berlin teilzunehmen, der 1954 in Ludwigshafen am Rhein gegründeten Vereinigung der Seifensieder, Parfümeure und Waschmittelfachleute. Hier trifft sich jedes Jahr alles, was in diesem Metier Rang und Namen hat. Aber leicht nervös war Dygruber aus einem anderen Grund. Wieder einmal stand nämlich das Jahreszeugnis der Warentester an, und nach der Landung steuerte er deshalb unverzüglich noch am Flughafen den nächsten Zeitungskiosk an, um das neue Magazin von Stiftung Warentest zu erwerben. Erwartungsvoll blätterte er sich bis zu Seite 63 durch, und da stand es dann in fetten Lettern:
»Alles Claro.«
Was Josef Dygruber seinem inzwischen bereits in Rente gegangenen Chemiker Erich Fabianitsch im Februar 2008 mehr aus Verzweiflung und Mitgefühl, denn aus Überzeugung versprochen hatte, war nun tatsächlich wahr geworden. claro war Testsieger bei Stiftung Warentest, und wo noch elf Jahre zuvor »Flop« und »Totalversager« gestanden war, konnte man nun lesen: »Sauber spülen und zugleich die Umwelt schonen – das ermöglicht nur eins der 19 getesteten Pulver und Tabs. Sein Name: Claro Classic.« Eine riesige Schmach war nicht nur getilgt, sondern in einen Triumph umgewandelt. Der Verspottete aus der Eselsbank war zum gefeierten Klassenprimus mutiert.
Der Kiosk-Betreiber staunte nicht schlecht, als ihm der Kunde aus Österreich gleich noch zwei Magazine abkaufte und ihn dann auch noch bat, ein Handyfoto zu schießen. Diesen Moment wollte der claro-Gründer einfach für alle Zeiten festhalten, und zwar diesmal nicht als Vermarktungsgenie in eigener Sache. Das war jetzt eine echte Herzensangelegenheit. Das »Kind« war nicht nur auf ganzer Linie rehabilitiert, es hatte all jene hinter sich gelassen, die es ein paar Jahre davor noch gehänselt und geringschätzig belächelt hatten. Den Auftrag für den später im deutschen Fernsehen gesendeten Werbespot mit der Botschaft, dass Deutschlands beste Geschirrspültabs aus Österreich kommen, hatte er in diesem Moment noch nicht im Kopf. Später aber bereitete ihm dieser umso größeres Vergnügen.
Und noch bevor der glückstrahlende Dygruber an diesem 24. Oktober 2019 in der Messehalle die nicht enden wollenden Gratulationen von Kollegen und Rohstofflieferanten entgegennahm, tippte er rasch eine Nachricht an seinen Mann der ersten Stunde, Chemiker Fabianitsch, ins Telefon, der kurz davor seinen 70. Geburtstag gefeiert hatte: »Lieber Erich, fast hätte ich dein Geburtstagsgeschenk vergessen. Wir haben gewonnen!«, schrieb er dem Weggefährten, mit dem er diesen beglückenden Augenblick teilen wollte. Denn Menschen, die treu und loyal an seiner Seite stehen und so hart für seine Träume zu arbeiten bereit sind wie er selbst, vergisst der claro-Gründer nie: »Erich hat für mich immer einen fixen Platz, auch wenn er inzwischen nicht mehr dabei ist. Aber er hat mit mir diese Firma aufgebaut, und wir haben gemeinsam die Basis für Erfolge gelegt.«
Was war aber nun in diesen elf Jahren geschehen, die zwischen der bittersten Niederlage und dem größten Triumph der Marke claro und ihres Begründers lagen?
Technische Entwicklung? Natürlich, denn Geschirrspültabs waren im Unterschied zur Gründungszeit der kleinen Firma mittlerweile längst Standard geworden, und wer da mit der Performance in allen dafür wichtigen Segmenten nicht mithalten konnte, stand von vornherein auf verlorenem Posten. Und eine deutlichere Aufforderung, sich auch im Labor um die noch vorhandenen Schwachstellen zu kümmern, als den letzten Platz im Test von Stiftung Warentest hätte es auch nicht geben können. Dieses Nachsitzen absolvierte man bei claro aber mit maximaler Ernsthaftigkeit, und die Schwächen waren bald ausgemerzt.
Unternehmerische Entwicklung? Gewiss, denn Josef Dygruber machte bei den Fehleranalysen nicht nur nicht halt bei sich selbst, sondern er widmete sich diesem Punkt stets mit der allergrößten Aufmerksamkeit. Er lernte in einem mühsamen Prozess, nicht mehr alles in die eigenen Hände zu nehmen, sondern auch zu delegieren. Er ging dazu über, nicht jeden anstehenden Entwicklungsprozess im stillen Kämmerlein in nur einem, nämlich