Flusenflug. Peter Maria Löw
so konnten Umsätze, Ergebnisse und Mitarbeiterzahlen signifikant erhöht werden. Auch heute noch produziert die Wilhelm Berg im Carbone Lorraine-Konzern die berühmten Schalter. Aus unserer Sicht war dies wieder einmal ein sehr schöner Erfolg.
41Zugelassene Überziehung auf dem laufenden Konto.
42Gewöhnlicher Geschäftsbetrieb.
43Die Wertschöpfung umschreibt in einer Produktions- und Distributionskette die Zunahme des Wertes eines Wirtschaftsguts.
44Eine steuerliche Besonderheit, die die steuerfreie Ausschüttung ermöglichte, wie bei brw in Kassel.
Das 10. Abenteuer Stiwos Abenteuer
Mitte des Jahres 1997 bat Stiwo Wirstle, unser treuer Helfer bei Due Diligence und allen steuerlichen Dingen, um ein Gespräch. Er teilte mir mit, dass er sich entschlossen habe, aus der Certina auszuscheiden, da er sein Leben verändern müsse. So weit, so gut. Was er mir dann aber als seinen neuen Lebensplan vorstellte, verschlug mir doch etwas die Sprache.
Er erklärte mir, zunächst werde er auf einem Glücksspielschiff in Miami als Croupier anheuern, um dann mit dem Ersparten nach etwa einem halben Jahr nach Guatemala auszuwandern. Dort werde er dann in Antigua eine Fabrikation von Jadeschmuck aufbauen und die Produkte zunächst vor Ort an Touristen verkaufen. Ich kannte Stiwo immer als sehr loyalen und sympathischen Mitarbeiter, der in seinem Auftreten eher etwas konservativ, jedenfalls nicht draufgängerisch wirkte. Aber jetzt war offenbar ein Punkt erreicht, wo der wahre Stiwo rauswollte. Ich ließ ihn also ziehen.
Nach drei, vier Jahren wollte ich doch ein wenig besorgt sehen, was aus ihm geworden war. Ich flog also nach Guatemala City und von dort ging es mit dem Bus nach Antigua. Da traf ich ihn in einem großen Ladengeschäft unweit der »Plaza«. Gerade war ein Bus mit Touristen angekommen, die zielstrebig nur in Stiwos Laden strömten. Die Geschäfte liefen gut, teilte er mir mit. Er beschäftige inzwischen 40 Mitarbeiter und plane die Eröffnung von Zweigstellen in Guatemala City und in Mexiko. Dies ist ihm dann auch noch geglückt. Respekt! Ich jedenfalls lernte, dass man außerhalb der Unternehmenssanierung auch glücklich werden konnte.
2006 stellte sich übrigens bei mir in München ein junger Wiener vor, Franz Maurer. Er habe auf einer Guatemalaexpedition einen Stiwo Wirstle kennengelernt. Beide hätten sich zufällig bei »Fred dem Bankräuber«45, einem Pferdeverleih, getroffen und waren dann wohl zu Pferde zu irgendeinem Vulkan unterwegs gewesen. Stiwo habe ihm dann von unseren Firmen und unserem Firmenkonzept erzählt, und da habe er sich entschlossen, sich mit dem Empfehlungsschreiben von Stiwo in der Tasche, initiativ bei uns zu bewerben. Heute ist Franz Maurer einer meiner Partner und leitet die Akquisitionsabteilung. So kann es gehen.
45Fred war übrigens wirklich Bankräuber, aber offensichtlich ein erfolgloser. Nachdem ein Banküberfall in Manchester gescheitert war, hatte er sich nach Guatemala abgesetzt und vermietete jetzt für »kleines Geld« Pferde.
Das 11. Abenteuer Flusenflug
Ein weiteres, diesmal größeres Industrieunternehmen mit hoher Wertschöpfung sollte uns im Herbst 1997 Thomas Güntzer antragen, der unser Wirken als Geschäftspartner des East German Investment Trusts (EGIT) bereits bei der TEK Dach und Wand GmbH und dem erfolgreichen Ausgang unseres dortigen Engagements erlebt hatte. Er war es, der den Kontakt zur börsennotierten Kolb & Schüle AG herstellte, einer der ältesten Aktiengesellschaften Deutschlands mit Gründungsdatum 1780. Die beiden Vorstände Herr Mahler46 und Herr Holt47 schienen bei dem ersten Treffen wie aus der Zeit gefallen. Herr Mahler, eine lange, dürre Erscheinung, stets mit Anzug und Weste bekleidet, und Herr Mahler, augenscheinlich ein Gentleman der alten Schule mit Goldknöpfen, verwalteten ein kleines Imperium im Niedergang. Der Konzern hatte sich auf die Textilindustrie fokussiert, eine Branche, deren Betriebe die Bundesrepublik bekanntlich bereits scharenweise verlassen hatten oder ihren Betrieb ganz einstellen mussten.
Im Portfolio der Kolb & Schüle befand sich auch die über einhundertsechzig Jahre alte GG Langheinrich GmbH & Co. KG in Schlitz, die, von DM 60 Mio. Umsatz kommend, inzwischen bei rund DM 28 Mio. angelangt war. Die Gesellschaft war 1832 von Ernst Langheinrich als Leinenweberei geründet worden. 1997 war sie im Grunde ein vollstufiger Textilhersteller für Tisch- und Flachwäsche, ausgestattet mit über einhundert Webstühlen, die im Jacquard-Verfahren weiße Tuche produzierte. Die Firma war zu diesem Zeitpunkt bereits defizitär, jedoch musste der Vorstand von Kolb & Schüle damit rechnen, dass sich die Ertragssituation nochmals verschlechtern und im schlimmsten Falle den ganzen Konzern mit in den Abgrund reißen konnte. Wir trauten uns eine Sanierung der Geschäfte zu, ohne einen wirklichen Sanierungsplan in der Tasche zu haben. Wir einigten uns mit den Herren Holt und Mahler auf einen Kaufpreis von DM 700 000 und schon gehörten uns fünf Produktionsstätten mit ca. 200 Mitarbeitern verteilt auf über 10 000 m2 Betriebsfläche.
Als wir uns beim alten Geschäftsführer als neue Gesellschafter vorstellten, wurde uns als erste Amtshandlung eine Mohrrübe vorgelegt. Diese sei vom Betriebsgärtner in dem Betriebsgarten eigens für die Geschäftsführung vorgesehen. Jeden Morgen würde die Geschäftsführung eine solche Mohrrübe um halb elf auf einem silbernen Tablett mit einer weißen Serviette serviert bekommen. Der arme Gärtner war der Erste, den wir entlassen mussten, obwohl er ja eigentlich gar nichts dafür konnte.
Auch sonst strotzte die Gesellschaft vor personellen Überkapazitäten, was auf eine nicht sehr effiziente Geschäftsführung hinwies. Um die kritische Profitabilität der Gesellschaft und die anhaltend negativen Cashflows in kürzester Zeit zu stoppen, war eine umfassende Restrukturierung unausweichlich. Doch die Widerstände gegen jede Form der Modernisierung waren beträchtlich. Bereits am zweiten Tag ließ ich mir von dem Produktionsleiter die Abläufe in der Produktion erklären. Nachdem die Tuche auf den Jacquard-Webstühlen fertig gewebt waren, wurden sie, soweit sie gefärbt werden mussten, in die Lohnfärberei Winterthur in der Schweiz verbracht, ein der Tatsache geschuldeter Aufwand, dass unsere Textilfabrik, anders als alle unsere größeren Wettbewerber, keine eigene Färberei auf dem Betriebsgelände besaß. Das führte zu der misslichen Situation, dass fertig gewebtes Tuch in einem aufwändigen Transport nach Winterthur versandt werden musste, dort gefärbt wurde, um anschließend wieder per LKW zur Konfektion in die Fabrik zurückgebracht zu werden. Ein extrem zeitaufwändiges Verfahren, das nicht nur sechs Wochen lang zusätzlich Working Capital band, sondern auch bei Qualitätsmängeln in der Färberei zu einer Wiederholung des ganzen Prozesses führte, auch wenn die Lohnfärberei uns dann zumindest die Materialkosten ersetzen musste. Ich fragte also den Produktionsleiter, ob es denn nicht sinnvoller wäre, den Färbevorgang nach vorne zu verlagern, das heißt bereits vorgefärbte Garne in die Webstühle einzuspannen und dadurch den Transport zur Lohnfärberei vollends zu vermeiden.
Und hier setzte ein Lamento ein, das ich bei meinen zukünftigen Akquisitionstätigkeiten in ähnlicher Form immer wieder hören sollte. »Lieber Herr Dr. Löw. Man sieht schon an Ihrer Fragestellung, dass Sie von Textilwirtschaft überhaupt keine Ahnung haben. Wären Sie Textilit und hätten Sie das Lebensgefühl eines Textilarbeiters mit der Muttermilch eingesogen, dann würde sich Ihre Frage doch vollends erübrigen.« Was ich denn glauben würde, weswegen alle Wettbewerber in der Industrie das sogenannte Stückfärbeverfahren anwenden würden, also die Tuche erst nach dem Webvorgang färbten? Die angewendeten Verfahren würden auf jahrelanger, ja, jahrhundertelanger Erfahrung beruhen und da käme jetzt ich, der Dr. Löw, daher. Es gäbe nichts Besseres und dabei solle man es doch belassen, basta. Dass mich diese Antwort nicht im Entferntesten zufriedenstellte, kann man erahnen. Auf mein Nachbohren, was es denn nun im Einzelnen genau sei, das gegen ein Garnfärbeverfahren48 sprechen würde, gab mir der Betriebsleiter, inzwischen sichtlich genervt,