Flusenflug. Peter Maria Löw
die gesamte Hallenkonstruktion aus Stahl zu einem beweglichen Wirtschaftsgut, das, genau betrachtet, auf der Bodenplatte noch nicht so richtig befestigt sei. Sie ruhe ja mehr auf ihrem eigenen Gewicht, wie Waren in einem Lager. Er zeigte uns dazu noch ein paar Fotos unserer Stahlträger und einigen danebenliegenden Schrauben und stellte triumphierend fest: »Da seht ihr’s, nicht festgeschraubt!« Wenn wir also, fuhr er fort, diese Stahlkonstruktion, die der wesentliche Teil der bisher geleisteten Investitionskosten war, an eine neue Gesellschaft verkaufen und sie dann dort befestigen würden, dann könnten wir sämtliche Kosten dafür abrechnen. Denn das war dann ja eine neue Investition der neuen Gesellschaft. Dies war in der Tat eine etwas weite Auslegung der Förderrichtlinien, doch wenn dies nun einmal zum Wohle der Allgemeinheit so erfolgen sollte und dadurch für Mecklenburg-Vorpommern ein etwas repräsentativeres Entree geschaffen werden konnte, dann wollten wir dieser guten Sache nicht im Wege stehen.
So gründeten wir die Certina Modulproduktion GmbH mit dem Geschäftszweck einer irgendwie gearteten Modulfabrikation, da nach den Förderrichtlinien eine industrielle Verwendung angestrebt werden musste. Die Certina erwarb dann die »beweglichen« Hallenteile für die ursprünglichen Investitionskosten. Und so reichten wir die kompletten Errichtungskosten für den Fertigbau sowie den beweglichen Teil der bereits erbrachten Leistungen mit dem Förderantrag zur Förderung ein. Tatsächlich erhielten wir einen Förderbescheid, der alle diese Maßnahmen guthieß, die Kosten der bisher vorgenommenen Arbeiten zu 50 Prozent erstattete und für die zukünftigen Kosten eine weitere 50-prozentige Erstattung vorsah. Die Mittel wurden unverzüglich ausgezahlt und so konnten wir aus diesen Mitteln mit der Fertigstellung der Halle beginnen. Dass diese Förderungen doch irgendwie dem Gemeinschaftsrecht entsprachen, bestätigte ein Jahr später eine Prüfungskommission der EU, die uns in Selmsdorf unangemeldet aufsuchte. »Alles bestens dokumentiert und regelkonform ausgeführt«, lautete das Urteil nach intensiver Prüfung. Dann hatten wir ja alles richtig gemacht.
Nun waren wir also wirklich unter die Immobilienentwickler gegangen. Ich wurde Geschäftsführer der Certina Modulproduktion GmbH und baute als erste Maßnahme im Bürotrakt der Halle ein großzügiges Apartment für mich ein, damit ich dort während der Bauarbeiten nächtigen konnte und nicht jedes Mal ein Hotel anmieten musste. Alle Ausschreibungen und bauaufsichtlichen Tätigkeiten wurden von mir persönlich durchgeführt. Doch wer sollte unsere Halle später kaufen? Ich hatte dazu ein Konzept entwickelt. Angedacht war, dass das Gebäude als Schwerlasthalle für sämtliche denkbaren Anwendungen fertiggestellt werden sollte, der Bürotrakt jedoch entgegen dem für Produktionshallen üblichen Standard einen hochrepräsentativen Charakter erhalten sollte. Die Idee dahinter war, den Manager eines Konzerns durch Schnickschnack dazu zu bewegen, diese Halle unter mehreren anderen Optionen auszuwählen. Er sollte die Halle also kaufen, weil sein zukünftiges Büro besonders schön war. Dazu wurde im Eingangsbereich des Bürohauses eine über zwei Stockwerke reichende Freitreppe errichtet, der gesamte Empfang mit schwarzem Marmor verkleidet, alle Türen mit schwarzem Klavierlack gestrichen und, aus dem ersten Stock kommend, ein fast sechs Meter hoher Wasserfall installiert. Jeder, der diese Empfangshalle betrat, sollte zuerst einmal überrascht und dann schwer beeindruckt sein. Das war das Ziel.
Die Bauarbeiten gingen zügig voran, da tauchten auch schon die nächsten Probleme auf. Wir wurden gleich mit mehreren Restitutionsklagen konfrontiert. Zunächst erhoben jüdische Erben Ansprüche auf das Firmengelände. Bereits unter den Nazis war es in dieser Gegend zu diversen Enteignungen gekommen. In unserem Fall war es jedoch so, dass eine jüdische Eigentümerin Deutschland 1935 aus Furcht vor den Nazis verlassen hatte und das Land faktisch, ohne formale Enteignung, anderweitig genutzt wurde. Nach Gründung der DDR wurde sie dann auch formell enteignet. Es sollten unter dem Motto »Junkerland in Bauernhand« sogenannte Neubauern angesiedelt werden. Diese Enteignungen betrafen sogenannte Großgrundbesitzer33 und unter diese Kategorie fiel sie offenbar. Herr Arndt, der Zombie, hatte dann das Ganze auf Grundlage des Investitionsvorranggesetzes nach dem Mauerfall erworben. Und aufgrund dieses letzten Umstands wurde die Klage gegen uns durch Gerichtsentscheid, Gott sei Dank, abgewiesen. Die Begründung war: Investitionen aufgrund des Investitionsvoranggesetzes führten nicht zur Restitution, sondern nur zur Entschädigung durch den Staat.
Doch das war noch nicht alles. Denn jetzt ereilte uns eine weitere Klage der Familie der Neubauern. Denn diese war ihrerseits auch wieder enteignet worden, nämlich als die Mauer gebaut wurde. Das Land wurde nun zur Errichtung der Grenzbefestigungen benötigt. Die Geschichte des gesamten Anwesens wurde also immer verwickelter. Die Familie bzw. deren Erben verlangten von uns ebenfalls die Restitution. Auch hier wurde jedoch letztlich gerichtlich entschieden, dass derartige Enteignungen wegen des Investitionsvorranggesetzes gleichermaßen nicht restitutionsfähig waren. Damit war unser Anspruch auf das Land nun endgültig juristisch bestätigt.
Eine weitere Skurrilität ergab sich aus der wirren Grundbuchsituation im Bereich des ehemaligen Grenzstreifens. Die MITROPA AG, die nach der Privatisierung aus der ehemaligen DDR-MITROPA (»MITteleuROPäische Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft«) hervorgegangen war, nahm Kontakt zu uns auf. Die verantwortlichen Herren teilten uns mit, dass sich die strategisch wichtige MITROPA-Tankstelle in Selmsdorf auf einem Grundstück befinde, das unserer Hallengesellschaft gehöre. Dies habe ihre Recherche ergeben. Das war uns zwar neu, aber als Schnelldenker teilten wir der MITROPA ein wenig empört mit, dass uns das auch schon aufgefallen sei und wir uns nur gewundert hätten, warum immer noch keine Nutzungsentgelte gezahlt worden seien. Aus unseren Unterlagen ergab sich eigentlich kein einziger Hinweis auf einen derartigen Anspruch, aber das mussten wir denen ja nicht zu erkennen geben. So traten wir mit breiter Brust in Verhandlungen mit der MITROPA ein. Für ein paar Hunderttausend DM kaufte uns die MITROPA schließlich den uns bis dahin unbekannten Anspruch ab. Auch kein schlechtes Geschäft!
Nach circa einem Jahr Bauzeit konnten wir endlich den gesamten Bau abschließen. Der Wasserfall plätscherte, der Marmor glänzte und zur Steigerung der allgemeinen Attraktivität des Anwesens hatte ich mich für ein Wochenende in die Büroräume zurückgezogen und mich mit ausreichend Acrylfarbe, Leinwand und Rotweinflaschen versorgt. In 48 Stunden fabrizierte ich ungefähr 20 moderne Kunstwerke, wobei ich peinlich darauf achtete, dass die Gemälde unterschiedlichen Stilrichtungen angehörten, sodass es nicht so aussah, als ob ein einziger Maler die gesamten Bilder gemalt hätte. Mit diesem Gesamtpaket gingen wir in die Verkaufsverhandlungen. Wir hatten in die Fertigstellung der Halle wirtschaftlich ca. DM 4 Mio. investiert, von denen wir über die Investitionsförderung DM 3 Mio. wieder zurückerhalten hatten. Weitere DM 300 000 waren als Kaufpreis geflossen, noch einmal DM 500 000 als Gläubigerabfindung, DM 200 000 steuerte die MITROPA bei, sodass unser Einsatz bei circa DM 1,6 Mio. und einem Jahr Lebenszeit lag.
Der Verkauf gestaltete sich nicht so einfach wie zunächst angenommen. Erst nach Einschaltung eines Maklers der Firma Angermann gelang es uns schließlich, den gesamten Komplex im Wege eines Asset Deals34 an die Firma RGB, einen hochinnovativen Maschinenbauer mit Lasertechnologie, zu verkaufen. Die Strategie, einen repräsentativen Eingangsbereich mit zahlreichen Werken »hochwertiger« moderner Kunst zu verkaufen, ging dann doch noch auf. Der Manager des Käufers verliebte sich in die Halle und so konnten wir einen Kaufpreis von etwas über DM 4 Mio. aushandeln. Dies war nach den Erfahrungen der ersten Akquisitionen sicher nicht die Summe, die wir, die wir inzwischen ja etwas verwöhnt waren, uns versprochen hatten. Es war ein gutes Geschäft für den Käufer und ein nur halbwegs gutes für uns. Martin und ich waren dennoch um zahlreiche Erfahrungen aus dem Bereich der Bauabwicklung und um circa DM 2,4 Mio. an Finanzmitteln reicher35. Die Erfahrungen stellten sich in der Zukunft als das für uns Wertvollere heraus.
Dieser Fall war jedenfalls abgeschlossen. Alle waren glücklich, Frau Arndt II bzw. jetzt Opitz, dass sie die alte Halle und die Probleme mit ihrem inzwischen verstorbenen Ex-Mann los war, die Gemeinde, dass sie jetzt einen ertragsstarken Gewerbesteuerzahler bekam, das Land Mecklenburg-Vorpommern, da das Tor zu diesem Land in repräsentativem Aluminium und blau leuchtete und zuletzt natürlich wir, da wir das Projekt nunmehr in guten Händen wussten und dabei doch eine nicht unerhebliche Menge an Geld verdient hatten. Aber Bauentwickler, das beschloss ich für mich, wollte ich auf keinen Fall werden. Sich nur mit toten Steinen und ansonsten mit diversen Behörden herumzuschlagen, das war nicht meine Welt.
Noch heute grüßt die stolze Halle in zeppelinfarbenem Aluminium