Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
mehr selbst auf dem Rasen stand, sich nicht mehr nach einem Treffer von 80.000 Menschen umjubeln lassen konnte – als Manager war er ja immerhin am Spielfeldrand noch mit dabei und blieb im Zentrum des Interesses.
Und so ist Uli Hoeneß bis heute beim Fußball geblieben. Seit Freitag, den 27. November 2009, 22.04 Uhr, ist er allerdings nicht mehr in der Funktion des Managers tätig, sondern Präsident des Vereins FC Bayern München und Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG. Die Bayern waren zu diesem Zeitpunkt lediglich auf Rang sieben notiert. Man werde wieder besser werden, versprach er den Fans vor dem ohne Gegenkandidaten vollzogenen Wahlakt, und bald wieder zu Europas Spitze gehören. Es gab Applaus für den scheidenden Manager, dann ein Einspielfilmchen mit den wichtigsten Stationen seiner Karriere, die Schlusseinstellung zeigte ihn mit einem animierten, für die Bayern schlagenden Herz. Nach der Verkündung des Wahlergebnisses – er hatte 99,3 Prozent aller Stimmen der 4.490 anwesenden Bayern-Mitglieder erhalten – gab es stehende Ovationen.
EXKURS
Der Würstchen-Millionär
»Dank der Würste musste ich auch in schwierigen Zeiten beim FC Bayern nie meinen Charakter an der Garderobe abgeben«, brachte Uli Hoeneß einmal das Geheimnis seiner Interpretation des Managerjobs auf den Punkt. Denn eine Bratwurst-Fabrik hatte gegenüber dem Fußball den nicht unerheblichen Vorteil, dass sich die Geschäfte viel leichter kalkulieren ließen. So wurde er also Würstchen-Millionär, hatte finanziell ausgesorgt und konnte im Dienst des FC Bayern völlig frei und ohne alle finanziellen Hintergedanken agieren. Obwohl er natürlich nicht nur mit den Würstchen verdiente. Seriöse Schätzungen gehen für die letzten Jahre von einem Gesamt-Jahreseinkommen (aus Wurstfabrik-Gewinnen, FC-Bayern-Ämtern, Nebentätigkeiten und Anlagen) von mindestens 5 bis zu 11 Mio. Euro aus. Das entspräche dem Verdienstrahmen der großen Bayern-Stars (geschätzter Jahresverdienst von Hoeneß’ Lieblingsspieler Franck Ribéry: 12 Mio. Euro). Über die tatsächliche Höhe seines Einkommens und seines Vermögens, das das »Vermögensmagazin« im Januar 2014 auf 500 Mio. Euro bezifferte, bewahrte Hoeneß freilich stets Stillschweigen. Sehr häufig dagegen hat er davon gesprochen, dass er stets dankbar geblieben sei für das große Glück, das ihm die Würstchen beschert hatten: »Wenn ich zum Beispiel am Ende meiner Karriere nach Hamburg und nicht nach Nürnberg gegangen wäre – wer weiß, ob ich dann Manager geworden wäre. Die Wurstfabrik in Nürnberg hätte ich auf keinen Fall.«
»HoWe Wurstwaren KG« heißt die 1985 gegründete Firma heute, der Name ist ein Akronym der Partner Hoeneß und Weiß. Während seines kurzen Engagements beim 1. FC Nürnberg 1978/79 hatte sich Uli Hoeneß mit Werner Weiß angefreundet, dem damaligen Wirt des von den Club-Spielern gern besuchten »Kontiki« in der Nürnberger Altstadt. Der Kontakt riss nie ab, und einige Jahre später war aus Weiß, der als Metzger selbst Nürnberger Bratwürste herstellte, ein Geschäftspartner geworden. Die beiden begannen mit 15 Angestellten im Nürnberger Vorort Buchenbühl und steigerten die Produktion, bis der Betrieb schier aus allen Nähten platzte und dann auch aus hygienischen Gründen bedenklich zu werden drohte. 1991 zog die Firma in ein flaches, schmuckloses Gebäude am Nürnberger Hafen um und expandierte seitdem kontinuierlich. Die tägliche Produktion stieg Jahr für Jahr, schließlich war HoWe der größte Produzent der Nürnberger Spezialität. Im Jahr 2012 stellte das Unternehmen mit rund 350 Mitarbeitern auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern bis zu fünf Millionen Würste pro Tag her und erwirtschaftete dabei einen Jahresumsatz von 60 Mio. Euro. Beliefert werden die größten Discounter, der Lebensmitteleinzelhandel, aber auch die gehobene Gastronomie. Die HoWe-Produkte, zu denen neben den klassischen Rostbratwürstchen inzwischen Light-Nürnberger sowie Geflügel- und Würzbratwürste zählen, sind nicht nur in Deutschland ein Verkaufsschlager. Schon lange läuft der Vertrieb europaweit, auch in die USA wird geliefert, 2011 wurden erste Kontakte zu Kunden in Asien aufgenommen.
Mit der Gründung der Bratwurstfabrik hat der Metzgersohn Uli Hoeneß nicht zuletzt auch dem Vater etwas beweisen wollen. »Ich habe meinem Vater immer vorgeworfen, dass er kein richtiges Geschäft macht«, sagte er einmal. »Er wollte sich nicht vergrößern, was ich nie verstanden habe.« Der Vater starb im August 1998 – Hoeneß’ Mutter überlebte ihn nur um zwei Monate –, aber die hochmoderne Würstchenfabrik hatte er noch bestaunen dürfen: »Mein Vater hat Augen gemacht, als er zum ersten Mal die Fabrik sah«, erzählte Sohn Uli voller Stolz. Was er mit seiner Würstchen-Fabrikation an einem Tag umsetzte, sei für seinen Vater zu mancher Zeit der hart erwirtschaftete Jahresumsatz gewesen.
Als Chef verantwortlich ist inzwischen Hoeneß’ Sohn Florian, der im Juli 2001 als junger Bankkaufmann in die Geschäftsführung einstieg. Hoeneß junior orientierte sich bei der Leitung der Firma am familiär-bescheidenen Stil des Vaters, als Zentrale genügte ihm ein recht schlichtes Büro im Landhausstil. Der Senior versteht sich seitdem als »Supervisor«. Völlig loszulassen fiel ihm aber schwer. Persönlich sei er kaum noch präsent in der Fabrik, höchstens drei- oder viermal im Jahr, erklärte er dem »SZ-Magazin« Ende 2009, sein Sohn beschwere sich sogar manchmal, dass er sich zu wenig um die Firma kümmere. Florian Hoeneß berichtigte hingegen, dass der Vater immer noch jede Rechnung selbst abzeichne. »Außerdem ruft er ständig hier an und lässt sich die Bestellungen durchgeben, in der Hochphase im Sommer bestimmt zwanzig Mal am Tag.«
Drei Personen waren neben Uli Hoeneß für die Gründung der Firma HoWe entscheidend: Das waren neben dem Metzger Werner Weiß aus Nürnberg ein Einkäufer von Aldi, den Hoeneß 1974 über den Vertrieb seiner WM-Bücher kennengelernt hatte, sowie ein Mann aus dem Beirat des FC Bayern, der Wurstfabrikant Rudolf Houdek aus Starnberg. Der Großmetzger hatte mit seiner Spezialität, der »Original Houdek Kabanos«, den Geschmacksnerv der Bevölkerung getroffen und damit ein Vermögen gemacht. Nun wollte er gern seinen Leberkäse an Aldi verkaufen und bat daher seinen Freund Uli Hoeneß, den Kontakt zu dem Einkäufer herzustellen. »Beim dritten oder vierten Besuch fragte ihn dann der Einkäufer«, so Hoeneß, »ob er auch Original Nürnberger Rostbratwürstchen liefern könne. Das aber konnte er nicht, denn seine Fabrik war in Starnberg, und Original Nürnberger Rostbratwürstchen müssen in Nürnberg produziert werden.« Die Sache habe er im Hinterkopf behalten, bis er dann in Nürnberg den Metzger Weiß kennenlernte.
Die entscheidenden Wochen, die der Gründung der Wurstfabrik W. Weiß GmbH, der heutigen HoWe KG, im Jahr 1985 vorangingen, schilderte Hoeneß wiederholt mit spürbarem Stolz. »Machst du eigentlich auch Nürnberger?«, habe er eines Tages seinen Freund Weiß gefragt, und der habe geantwortet: »Klar, jeden Tag.« Die Menge allerdings war gering: nur 50 Kilo. »Du darfst nicht Kilo machen«, rief Hoeneß aus, »du musst Tonnen machen! Mach mir doch mal ein paar Muster.« Mit den Mustern der Weiß-Würstchen ging Hoeneß zu Aldi, und als die für gut befunden waren, folgte am 6. März 1985 in Mühlheim an der Ruhr das entscheidende Treffen mit dem Chefeinkäufer des Discount-Riesen. Nach Hoeneß’ Erinnerung begann der Dialog mit einer Frage des Aldi-Mannes: »Haben Sie eine Fabrik?« – »Nein.« – »Ja, was wollen Sie dann?« – »Wenn Sie uns eine Chance geben, in zwei Lagern für ein halbes Jahr einen Test zu machen, würde ich investieren.« Der Vorstoß war äußerst forsch, ein Aldi-Lager belieferte immerhin 60 Geschäfte. Dann folgte die entscheidende Frage: »Wann können Sie liefern?« Antwort: »Geben Sie uns sechs Wochen.« Die Hand drauf, und los ging’s. Hoeneß nahm sich bei Bayern Urlaub, orderte Fleisch, mietete geeignete Räume, leaste Maschinen, heuerte 15 Mitarbeiter an. Das Ergebnis: »Am 15. April haben wir geliefert.« Insgesamt waren es fünf Tonnen Wurst, in der Nacht vor dem Liefertermin hatte er mit seiner Frau eigenhändig die letzten Paletten fertig gemacht.
Nürnberger Rostbratwürstchen wiegen 25 Gramm, dürfen maximal neun Zentimeter lang sein und müssen im Schafsaitling abgefüllt sein. Zu ihrem Schutz wurde 1997 eine Vereinigung der Hersteller und des Hotel- und Gaststättenverbandes gegründet, im August 2003 gelang schließlich die Eintragung ins Register der »geschützten geographischen Angaben«. HoWe-Geschäftsführer Florian Hoeneß kommentierte: »Wir brauchten eine rechtliche Grundlage, um gegen in- und ausländische Nachahmer mit oft abenteuerlichen Rezepten vorgehen zu können und das Original ›Nürnberger Rostbratwurst‹ zu schützen.« Jeder Verbraucher wisse heute, fügte er hinzu, dass er kein fragwürdiges Billigprodukt, sondern Qualität aus der Region bekommt, wenn auf der Verpackung »Nürnberger Rostbratwurst« steht. Wobei,