Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein


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seinen Freund: »Ein Spieler wie der Uli, der in erster Linie von seiner körperlichen Verfassung abhängig ist, der braucht länger als ein Spieler, der vielleicht mehr von der Technik lebt.« Hoeneß selbst sollte Jahre später zugeben: »Ich habe damals drei Jahre lang nicht mehr ohne Schmerzen trainieren und spielen können. Das war eine furchtbare Zeit.«

      Im September 1978 hoffte er freilich noch auf eine Genesung und versuchte, sich bei anderen Vereinen ins Gespräch zu bringen. Tatsächlich zeigte sich der HSV-Manager Günter Netzer bereit, einen Blitztransfer des Münchner Edelreservisten für ein Jahresgehalt von 200.000 DM nach Hamburg zu arrangieren. Der wechselwillige Hoeneß absolvierte ein Probetraining – und war dann wie vor den Kopf gestoßen, als Netzer vor Unterzeichnung des Vertrages eine Arthroskopie des lädierten Knies forderte. In der Boulevardpresse war kolportiert worden, dass Hoeneß seine über eine Summe von 1,5 Mio. DM abgeschlossene Sportinvaliditäts-Versicherung nicht mehr hatte verlängern können, und das hatte den HSV wohl skeptisch werden lassen. Der HSV-Arzt Dr. Mann, ein Spezialist in Sachen Kniespiegelung, begründete, dass diese Untersuchung »die beste Aussagekraft in unklaren Fällen« habe und zudem nur eine Routinesache sei. Uli Hoeneß jedoch war empört, lehnte den Eingriff aus Angst vor einer weiteren Schädigung seines Knies ab und flog wieder zurück nach München. Über die eigentlichen Hintergründe von Netzers Forderung wurde später in Hamburg hinter vorgehaltener Hand geflüstert: HSV-Trainer Zebec habe bereits nach wenigen Minuten im Probetraining gesehen, dass mit Hoeneß nichts mehr los sei.

      Präsident Neudecker nahm den bereits verloren geglaubten Sohn wieder auf, und alles schien ins Reine zu kommen, als der knorrige Trainer Lorant sich ganz offensichtlich willens zeigte, an dem ehemaligen Weltklassestürmer festzuhalten. Vor einem Auftritt im »Aktuellen Sportstudio« am 23. September, bei dem er zu der Sache mit der Arthroskopie Stellung nehmen wollte, äußerte Hoeneß über Lorant: »In einem langen Gespräch heute Morgen hat er mir zugesichert, alles zu tun, um mir eine neue Chance zu geben.« Noch am Nachmittag desselben Tages hatte sich gezeigt, dass es durchaus angebracht sein könnte, es noch einmal mit dem Stürmer Hoeneß zu versuchen: Da waren die Bayern nämlich im Olympiastadion sensationell mit 4:5 in der zweiten Runde des DFB-Pokals gegen den Zweitligisten VfL Osnabrück ausgeschieden. Der erst in der 85. Minute eingewechselte Hoeneß hatte das Verhängnis zwar nicht mehr abwenden können, aber vielleicht wäre ja alles anders gekommen, wenn er von Beginn an hätte mitwirken dürfen. Kurz vor der Sendung freute er sich in den Kulissen des Studios, nun endlich vor laufenden Kameras die seiner Meinung nach völlig falschen Berichte in der Presse richtigstellen zu können. »Man müsste jeden Tag eine Fernsehsendung haben, um die Dinge zu korrigieren.« Hoeneß’ Abneigung gegen die angeblich von Lügen und Verfälschungen durchsetzten Printmedien trat hier zum ersten Mal deutlich zutage.

      Vor den Kameras des ZDF legte er einen großen Auftritt hin. Wie ein Anwalt beim Plädoyer präsentierte er ein monströses Arthroskop und erläuterte: »Es kann A) Infektionen geben, B) es kann dabei das Knie beschädigt werden, und drittens – und das ist mir das Entscheidende –, jeder Arzt sagt: In ein solches Knie, das nach Auskunft auch von Dr. Mann vom HSV reizfrei ist, so etwas zu machen, ist unverantwortlich. Und in München gibt es einen Arzt, der spricht sogar von einem Kunstfehler. Und jetzt frage ich den Herrn Netzer: Wenn er zu mir sagt, er sei tief enttäuscht von mir, dann kann ich ihm dazu nur antworten: Im Moment ist nur er enttäuscht. Wenn irgendetwas passiert wäre, dann wäre meine Familie enttäuscht worden. Ich muss fragen, was ist wichtiger. Und wenn im Fußball solche Dinge sich durchsetzen, und der Günter Netzer sagt, als Profi muss der Uli das mit sich machen lassen, dann kann ich nur eine Antwort geben: Dann möchte ich kein Profi mehr sein, und dann höre ich auf mit dem Fußballspielen.« Es war ein für damalige Medienverhältnisse sehr ungewöhnlicher Auftritt, in dem Hoeneß sich einmal mehr als der herausragende Vertreter einer Fußballergeneration präsentierte, die mündig geworden war.

      Die Hintergründe der Geschichte mit der Arthroskopie also konnte Uli Hoeneß richtigstellen. Mit Lorant aber klärte sich nichts. Hoeneß saß weiterhin auf der Bank. Am 21. Oktober kam es beim Spiel in Stuttgart zum Eklat. Die Bayern lagen mit 0:2 zurück, und Breitner gestikulierte wie wild auf dem Platz, schrie in Richtung Trainerbank: »Bring doch endlich den Uli rein, du Wahnsinniger.« Lorant aber wechselte – wohlgemerkt: bei einem Rückstand von 0:2! – mit Klaus Augenthaler erst einen Verteidiger ein, bevor er kurz vor Schluss und natürlich viel zu spät doch noch Hoeneß brachte. Als der ehemalige Weltklassestürmer eine Woche später nur noch in der zweiten Bayern-Mannschaft kicken durfte, kommentierte die »Welt« hämisch: »Jung-Siegfried von einst heute ausgelacht.«

      Es zeichnete sich nun mit aller Deutlichkeit ab, dass die Differenzen mit dem verstockten und zu keinerlei Diskussionen bereiten Trainer nicht mehr zu kitten sein würden. Er sei wegen seines Knies »natürlich schon gehandicapt« gewesen, sollte Hoeneß im Rückblick zugeben. Das sei aber nur die eine Seite gewesen. »Auf der anderen Seite hatten wir damals mit Gyula Lorant einen Trainer, der relativ wenig Rücksicht genommen hat auf Spieler, die mal verletzt waren und die man hätte heranführen müssen. Er hat so nach der Methode gearbeitet: Vogel, friss oder stirb. Das war für meine damalige Situation natürlich schwierig.« Ihr Mann sei sensibler, als man denke, fügte Gattin Susi hinzu. Die Verstocktheit seines Trainers, die Zweifel und die Kritik an ihm hätten dazu geführt, dass er zuletzt auch selbst nicht mehr richtig an sich geglaubt habe.

      Es war also höchste Zeit für eine Luftveränderung, um wieder frischen Wind zu bekommen. Am 1. November wechselte Uli Hoeneß für eine Leihgebühr von 150.000 DM zum abstiegsgefährdeten 1. FC Nürnberg. Sein Brutto-Monatsgehalt betrug laut Auskunft des stolzen »Club«-Präsidenten Lothar Schmechtig 5.000 DM.

       Ein Manager im Wartestand

      Am 4. November, beim ersten Hoeneß-Auftritt im Nürnberger Stadion, sahen 58.000 erwartungsfrohe Club-Fans einen motivierten, engagierten und richtig starken Uli Hoeneß – erlebten aber zugleich eine 0:2-Niederlage ihrer Mannschaft gegen Schalke 04. Als es auch in den folgenden Spielen nicht besser lief – auf Niederlagen gegen Frankfurt und Bielefeld folgte ein 0:4 in München –, begann der immer weniger überzeugend auftretende Hoeneß selbstkritisch zu werden und sprach davon, dass er die Höhen von früher möglicherweise doch nicht mehr würde erreichen können. Ganz so schnell wie einst, gab er zu, sei er sicherlich nicht mehr, aber er wolle natürlich weiterhin sein Bestes geben. »Das kommt oder es kommt nicht«, äußerte er in einem etwas fatalistischen Ton über die Chancen, sein Leistungsvermögen zu steigern, »und wenn es nicht kommt, kann man auch nichts machen.«

      Uli Hoeneß fühlte die Zeit gekommen, da er sich würde Gedanken machen müssen über das, was nach dem Ende seiner aktiven Karriere folgen sollte. »Es scheint mir das Wichtigste zu sein«, erläuterte er, »dass es einem gelingt, auch nachher eine Persönlichkeit zu sein, also ohne dass man jedes Wochenende Erfolgserlebnisse auf dem Fußballplatz hat. Das strebe ich an. Ob es mir gelingt, das kann ich im Moment noch nicht sagen.« Eine Idee, was er künftig tun könnte, hatte er bereits: Fußballmanager. Im November äußerte er gegenüber dem »Fußballmagazin«: »Ich verstehe etwas von Finanzen und Geschäften. Ich verstehe etwas von Fußball und Fußballspielern. Ich bin prädestiniert für diesen Beruf.«

      Sein Vorbild war Robert Schwan, der den Posten des Managers bei den Bayern bis 1977 bekleidet hatte, als er seinem Schützling Franz Beckenbauer nach New York gefolgt war. Schwan war eine starke Persönlichkeit und aufgrund seiner Selbstverliebtheit für sein unmittelbares Umfeld zuweilen nur schwer erträglich – er kenne nur zwei intelligente Menschen, hatte er einmal geäußert, »Robert Schwan am Vormittag und Robert Schwan am Nachmittag« –, doch er war auch ein Mann mit Visionen, dem insbesondere daran gelegen war, den Fußball von seinem proletarischen Image zu befreien – etwa durch die Einführung von Englischkursen für die Spieler oder durch das Buchen bester Hotels bei Auswärtsspielen. Als Spieler war Hoeneß so etwas wie der Assistent von Robert Schwan gewesen und hatte dessen Aktenkoffer tragen dürfen. »Wo immer wir mit dem FC Bayern unterwegs waren, habe ich Robert Schwan über die Schulter geschaut, und der hat mir oft gesagt: ›Du wirst mein Nachfolger.‹« Uli Hoeneß war also als Bayern-Manager in spe bereits in Position gebracht, doch der seit Schwans Weggang verwaiste Posten keineswegs seine einzige Option. Vor vier Jahren hatte er seinen Bruder Dieter beraten, als dieser mit dem VfB Stuttgart verhandelte, und dabei unter


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