Die neuesten Streiche der Schuldbürger. Michael Klonovsky

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       5. Januar

      Seitdem die Christenheit der Geschichte ein Ziel verhieß, nistet diese Idée fixe in den Gehirnen des Westens. In der ParusieVorstellung der aktuellen Progressisten stehen wir zwar kurz vor dem Einzug ins multikulturelle Gottesreich der Einen Welt, aber noch in der Endzeit des Antichristen, der auf Pseudonyme wie Trump, Orbán, Salvini oder Gauland hört.

      »In Budapest haben etwa 10 000 Menschen erneut gegen die ungarische Regierung des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban demonstriert«, meldet die Tagesschau. »Nach einem Marsch durch die Innenstadt zogen sie bei nasskaltem Wetter vor das Parlament.«

      Fehlt da nicht etwas? Gegenkundgebungen, Blockaden, Proteste, der Schwarze Block? Angriffe auf die Demonstranten, Polizeiabsperrungen, lautstarke Regierungsclaqueure? Aufgebrachte Politiker, die den Oppositionellen vorwerfen, Stimmung zu machen und die Gesellschaft zu spalten? Zivilgesellschaftliche Initiativen pro Orbán? Künstler, Gewerkschaften, Kirchen, Satiriker gegen Hass und Hetze? Es-reicht!-Kommentare in den Gazetten und im Staatsfernsehen? Nichts? Zumindest wurde nichts dergleichen gemeldet. Daraus kann man entnehmen, dass die ungarische Demokratie anscheinend vorbildlich funktioniert.

      »Die Kundgebungen richten sich auch gegen andere Missstände unter der Orban-Regierung, darunter die als einseitig und regierungsfreundlich kritisierte Berichterstattung des staatlichen Rundfunks«, heißt es weiter. Nein so was! Wahrscheinlich ist dieses Ungarn doch einem schrecklich repressiven Regime in die Hände gefallen.

      Immer mal wieder steht der verbliebene Zeitungsleser vor der diffizilen Abwägung, ob er gerade ein Werk der Lügen-, Lücken- oder Lumpenpresse studieren durfte. Etwa dieses: »Seitdem mehr Migranten in Deutschland leben, stieg die Zahl der Patentanmeldungen von 58 000 auf 62 000.« Also frohlockt die FAZ unter Berufung auf eine DIW-Studie.

      In einem Gastbeitrag auf der Webseite von Vera Lengsfeld indes heißt es: »Sucht man im Text den Begriff ›Erteilte Patente‹, wird man nicht fündig, ›Patentanmeldungen‹ findet man 30 mal. … Da ahnt man, warum diese ›Studie‹ erstellt wurde.« Man ahnt überdies, was Peter Sloterdijk im Sinn gehabt haben mochte, als er den Terminus »Lügenäther« prägte.

      Die DIW-Erhebung verschweigt, dass die Anzahl der erteilten Patente zurückging, von 21 000 anno 2006 auf nur noch 14 000 zehn Jahre später. Das Fazit in FAZ-Prosa: »Fast jedes zehnte aus Deutschland angemeldete Patent stammte im Jahr 2016 von einem Erfinder mit Migrationshintergrund, berichtete am Donnerstag das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das entspreche rund 3 000 Patenten. Im Jahr 2005 lag der Anteil noch bei 6 Prozent.« Was kann der brave Abdul dafür, wenn sein famoser Falafelpürierer am Ende nicht patentiert wird?

      Am Rande: Es empfiehlt sich, die Patentanmeldungsraten in den Herkunftsländern der aktuellen Migrantenscharen zu studieren, um die Faktenzurechtbiegerei der Qualitätspresse angemessen würdigen zu können. Da bleiben wohl nur zwei Möglichkeiten: Die Patentanmelder mit dem edlen Hintergrund stammen fast alle aus Asien, Russland, Osteuropa – oder aber gewisse Orientalen resp. Nordafrikaner werden mit der Überquerung der deutschen Grenze genial.

      PS: Passend dazu die Tatarenmeldung vom Dezember 2015. »86 Prozent der syrischen Flüchtlinge sind hochgebildet«, verkündete das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR damals, und die Willkommenspresse verbreitete die Relotiade (= erwünschte Illusion), ohne sich von des Zweifels Blässe ankränkeln zu lassen.

      Apropos: Immer neue Details des Falls Relotius sickern an die Öffentlichkeit. Der »Star-Reporter« hat sogar Reportagen geschrieben, ohne dafür den Schreibtisch zu verlassen, beispielsweise ein Propagandastück namens »Der Kapitän weint« von Bord eines Flüchtlings- bzw. Schlepperschiffs, erschienen im Juli 2018 im Spiegel. Der Kapitän allerdings »weint überhaupt nicht. Im Gegenteil: Er ist richtig wütend auf den Autor«, ist bei Tichys Einblick zu lesen, denn der Relotius-Text sei eine Fiktion. Es schließen sich zwei angemessen peinliche Fragen an: Warum empört sich der Kapitän erst ein halbes Jahr später über die Märchenstunde? Und warum haben die drei Co-Autoren des Relotius-Märchens, die eigentlichen Rechercheure der Story, ebenfalls geschwiegen?

      Wie ich schon sagte: Relotius ist kein Ausnahmefall, sondern ein struktureller. Jetzt sind es schon vier Spiegel-Redakteure, die im Zuge der Affäre ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, plus zwei Chefredakteure und x Dokumentare. Und dabei wird es nicht bleiben. Wer soll denen je wieder etwas glauben?

       6. Januar

      Was haben ein Époisses de Bourgogne, ein Bleu d’Auvergne, ein Roquefort, Gorgonzola oder Stilton mit einer Foie gras gemeinsam? Sie verlangen gebieterisch nach einem edelsüßen Weißwein. Der Wunsch des Hummers nach einem Puligny-Montrachet – oder der des Ossobuco nach einem Barolo – ist fast schon zurückhaltend, verglichen mit jenem der Entenstopfleber nach einem Sauternes. Die glanzvolle Vereinigung beider am Gaumen vermittelt eine Ahnung davon, was das sein könnte: Vollendung. (Aus Patriotismus will ich darauf hinweisen, dass es deutsche Riesling-Beerenauslesen oder -Eisweine gibt, die den Vergleich auch mit dem größten aller Sauternes nicht scheuen müssen.) Die Sehnsucht nach Vollendung ist eine künstlerische Regung. In seinem Buch Die Formen der Zeit. Theorie des Sauternes (Berlin, 1999; Erstveröffentlichung: Bordeaux 1996) rechnet der Philosoph Michel Onfray den Wein zu den Kunstwerken und die Weinherstellung folglich zu den Künsten. »Die Kunst der Weine ist gleicher Abstammung wie die Musik: beides sind Ästhetiken der skulpturalen Formung der Zeit.« In einer Klassifikation der Schönen Künste »würde die Weinprobe problemlos neben der Musik Platz finden«.

      Wie ein bedeutendes Kunstwerk benötigt ein großer Wein ein kundiges, verständiges, empfängliches Gegenüber, um seine ganze Wirkung zu entfalten. Ein Stumpfsinniger wird so achtlos an einem Vermeer vorübergehen, wie er ein Schubert-Impromptu überhört oder einen großen Burgunder nicht schmeckt. »Bevor er nämlich verstanden werden kann, bildet und erzieht der Wein den, der ihn trinkt«, erläutert Onfray. »Dasselbe gilt für alle anderen Künste, selbst für die zeitgenössischen, denn alle bedürfen eines Künstlers, damit der Zauber, die Magie in Erscheinung treten kann. Vom Bild bis hin zur Flasche, von der Sonate bis hin zu einem Text gilt: die eine Hälfte des Weges wird vom Objekt zurückgelegt, die andere vom Subjekt.«

      Meist ist der Weg eine Kurzstrecke; von solchen Tropfen ist hier nicht die Rede. Es geht um jene Weine, die einen geschmacklichen Taumel auslösen, bei deren Genuss »der Aufnehmende an der Ewigkeit teilhat« – um die Kunstwerke unter den Weinen eben. »Aufgrund seiner privilegierten Beziehung zur Zeit, aufgrund des deutlichen Vorrangs der Qualität gegenüber der Quantität, aufgrund seiner Seltenheit, aufgrund der tausenden von Handgriffen, die ihn produzieren und der ebensovielen Vorsichtsmaßnahmen, die ihn in seiner Integrität und Majestät ermöglicht haben, aufgrund seiner Einzigartigkeit verlangt der Sauternes dieselbe Sorgfalt wie ein Werk der Malerei, der Musik oder der Architektur.«

      Eine meiner derzeitigen Marotten besteht darin, abends edelsüße Weine zu trinken, teils mit, teils ohne die passende Speise dazu, und heute ist es ein Sauternes, der mir assistiert. Seit einigen Tagen wiederum lese ich periodisch in Onfrays aktuellem Opus Niedergang. Aufstieg und Fall der abendländischen Kultur – von Jesus bis Bin Laden, anfangs abgestoßen, sodann fasziniert, schließlich mit einem Gefühl tiefen Einverständnisses, obwohl es ein durch und durch schreckliches und deprimierendes Buch ist (ich werde im Laufe der Woche darauf zurückkommen). Es war bei dieser Gelegenheit, dass ich nach anderen Schriften des mir bis dato völlig unbekannten Autors Ausschau hielt, und schnell fiel mir die Theorie des Sauternes in die Hände. Ah, diese Franzosen! Sie verstehen es einfach zu leben, egal wie verkommen und verloren ihr schönes Land inzwischen auch sein mag. Und die Angst vor einer abseitigen eigenen Meinung ist dortzulande längst nicht so ausgeprägt


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