Die neuesten Streiche der Schuldbürger. Michael Klonovsky
Melville vor dem Walfang oder Tolstoi vor dem Ehebruch resp. Einmarsch in Russland? »Wie in jedem seiner Romane treibt Houellebecq ein ausgebufftes Versteckspiel.«
Aber der Redakteur arbeitete nicht für ein renommiertes Magazin mit inzwischen Kiosk-Spitzenverkäufen von 35 658 Exemplaren pro Woche, wenn er den »provokanten Propheten« nicht doch durchschaut hätte, denn wie der »Antiheld des Buches« hat Houellebecq »ebenfalls Agrarwissenschaften studiert und pflegt eine radikale Weltanschauung«. Was das ist? Auch hier hat Focus Fährte und Witterung. Kurz vor dem Erscheinen des Romans hat der »Skandalautor« schließlich einen Artikel im amerikanischen Harper’s Magazine veröffentlicht, in dem er die EU für gescheitert und Donald Trump für einen guten, ja den besten US-Präsidenten erklärte, an den er sich erinnern könne. Das ist erstens radikal und zweitens effektive PR (»Provokation«). »Die Leser des Pamphlets waren wie so oft bei Houellebecq mindestens irritiert, viele aber auch entsetzt.« Wenn man in Rechnung stellt, dass es den Text online zu lesen gab und er in der angelsächsischen sowie der restlichen des Englischen mächtigen Welt wahrscheinlich millionenfach abgerufen wurde, und, am Rande, dass ihn zumindest alle Leute, die ich kenne, eher amüsant fanden, dann ist das eine kecke Einschätzung, die vielleicht damit zu tun hat, dass man sich bei Focus so etwas wie Millionen Leser nicht mehr richtig vorstellen kann, während die Verallgemeinerung der eigenen Ansicht – die in dieser Branche, wie ich hier bereits nahezu speioft dargelegt habe, ungefähr so eigenständig ist wie die Schwimmrichtung einer Sardine – unter Journalisten Brauch und Sitte ist, weshalb am Kiosk auch 35 658 Leser enthusiasmiert zugreifen.
Vielleicht, schließt der Artikel, geben ja die Hochzeitsbilder des »Provokateurs« (bzw. »Skandalautors«) Aufschluss über dessen wahre Gesinnung und gesellschaftliche Stellung – und nicht die »Attitüde« seines »gebisslosen Mundes« –: »Der Dichter-Underdog in grauem Frack mit Melone und einem Orden am Revers, unter den Gästen der französische Kulturhochadel« (wer oder was das immer auch sein mag), »das scheint die wahre Lebenswelt des vielfachen Auflagenmillionärs zu sein«, und dort ist man mangelhaften Gebissen gegenüber auch toleranter, sofern es sich nicht um abstoßende Elendsfolgen, sondern um eine ausgefallene und schicke Attitüde handelt. »Vielleicht geht es ihm gar nicht so sehr um die Warnung vor dem Untergang des Abendlandes. Vielleicht hat er bloß mal wieder ein besonders umstrittenes Thema aufgegriffen, das sich gewinnbringend ausschlachten lässt in der Ökonomie der Aufmerksamkeit.«
Und von der versteht man beim inzwischen in Berlin residierenden und umstrittene Themen ausschlachtenden Kioskbuster Focus am Ende sogar noch mehr als von Literatur.
16. Januar
»In der Gegenwart gewinnt die Erkenntnis Boden, daß die Gefährdung der individuellen Freiheit von der Gesellschaft ausgeht und daß der Staat dazu berufen ist, die Freiheit zu schützen.« Ernst Forsthoff (im Merkur, Mai 1968, also praktisch am Beginn des Paradigmenwechsels vom eher staatlichen zum eher gesellschaftlichen Gesinnungsterror)
Übrigens: »Gender« ist haram.
Der vorwitzige Handballer Stefan Kretzschmar wird seine Lüge, in Deutschland herrsche keine Meinungsfreiheit, noch bitter bereuen.
Andrea Nahles twittert: »Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, aber nur 31% der Abgeordneten im Bundestag. Das muss sich ändern! Wir brauchen ein Wahlgesetz, welches für eine bessere Vertretung von Frauen im Deutschen Bundestag sorgt.«
Ich habe hier schon oft darauf hingewiesen, dass die Größen in dieser Gleichung nicht stimmen. Wir leben in einer Parteiendemokratie (oder -demokratur, aber dieses Fass mache ich heute nicht auf), und jeder Staatsbürger hat die Freiheit, sich in einer dieser Parteien zu engagieren. Der Anteil der Frauen unter den SPD-Mitgliedern beträgt 32,0 Prozent; auch in diesem Belang ist die SPD also von vorbildlicher Durchschnittlichkeit. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten stiege automatisch mit der Zahl weiblicher Parteimitglieder – und wenn nicht, geschähe immer noch niemandem Unrecht, weil es kein Recht darauf gibt, wegen seiner Geschlechtszugehörigkeit in den Bundestag berufen zu werden –, und keine SPD-Justizministerin müsste Quoten via Wahlgesetz fordern, was ja, bei Lichte betrachtet, auf einen Verfassungsbruch und die Beseitigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinausläuft.
PS: »Anlässlich Ihrer Anmerkungen zur der von Nahles angestoßenen Proporz-Debatte Männlein/Weiblein/Diverslein im Bundestag« stellt Leser *** folgende Frage: »Es gibt ca. 14% funktionale und echte Analphabeten in Deutschland, wobei ich (wie Wikipedia) die noch nicht so lange hier Nichtlesenden noch nicht mitzähle. Ist diese Bevölkerungsgruppe – schließlich verfügt sie über dieselben Bürgerrechte wie Taxifahrer mit Germanistikstudium – ausreichend im Bundestagvertreten?«
Ja und nein, geehrter Herr ***, ja und nein.
Wenn wir schon bei twitternden Sozis sind: Ralf Stegner, eine der unbestritten hellsten Kerzen auf der antifaschistischen Torte, trug Gott und den Menschen vor: »Die Rechtspopulisten von der AFD kommen endlich in den Fokus des Verfassungsschutzes. Dazu musste der unselige Herr Maaßen gehen, damit das passieren kann, was längst überfällig war.«
Don Alphonso kommentiert: »Verschwörungstheorien sind das eine, ihre Bestätigung ist das andere.«
Womit wir beim Thema wären. Gestern meldete die Tagesschau, dass der Verfassungsschutz – das ist eben jener Verein, dessen Chef vor kurzem seinen Schlapphut nehmen musste, weil er eine Lügengeschichte der Kanzlerin dementiert hatte –, dass der Verfassungsschutz die AfD fürderhin als »Prüffall« einstufe. Als verfassungsschutzrelevant bewerteten die Experten des Staatssenders exemplarisch einige Worte von Alexander Gauland, gesprochen auf dem letztjährigen Kyffhäusertreffen:
»Kyffhäuser ist der Berg genannt,
Und drinnen ist eine Höhle;
Die Ampeln erhellen so geisterhaft
Die hochgewölbten Säle.«
Das sagte Gauland nicht, sondern: »Andere Länder holen sich Einwanderer, damit sie arbeiten« – diesen Teil des Satzes haben die Wahrheitsausschütter prophylaktisch weggeschnitten –, »die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit sie in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch bewerkstelligen können.« Was an diesen Ausführungen verfassungsfeindlich sein soll, teilte der Sender nicht mit. Auch wenn wir aus dem Fall Maaßen gelernt haben, dass der binäre Code richtig/falsch nicht zwingend den Rahmen für die Aktivitäten des Inlandsdienstes bilden muss, stellen wir die Frage, nur experimentellerweise, anders: Was wäre an Gaulands Worten falsch?
Der Berliner Tagesspiegel ließ Anfang August seine Leser wissen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, »bis in größeren Städten Menschen mit Migrationshintergrund die Bevölkerungsmehrheit stellen. In Frankfurt am Main ist es bereits so weit: Schon 2017 waren 51,2 Prozent der Stadtbewohner nicht in Deutschland geboren oder hatten nichtdeutsche Eltern. Augsburg und Stuttgart sind die nächsten Kandidaten oder haben den Status gerade erreicht.« Die grüne Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg hat in einer vielbeachteten Rede erklärt: »Unsere Gesellschaft wird sich ändern, unsere Stadt wird sich radikal verändern. Ich bin der Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt. Und ich sage Ihnen ganz deutlich, gerade hier in Richtung rechts: Das ist gut so.« In den Tagesthemen am 20. Februar 2018 sprach der deutschstämmige Harvard-Dozent Yascha Mounk die inzwischen geflügelten Worte, »dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische und monokulturelle