Die neuesten Streiche der Schuldbürger. Michael Klonovsky
dem Anfang von dem, was sich bislang erst unscharf abzeichnet«.
Für die Rolle des Fortinbras steht bekanntermaßen der Islam bereit. Die westliche Zivilisation besitzt allerdings noch ökonomischen und technischen Kredit, um diesen vor allem demografischen Prozess einige Dezennien währen zu lassen – wobei, wie der Autor im Schlusskapitel einräumt, mit dem Transhumanismus und der Künstlichen Intelligenz ein neuer Akteur auftritt, dessen Rolle noch nicht ganz klar ist, aber immens sein wird, denn ob die schiere Zahl biologischer Nachkommen unter dem Blickwinkel der transhumanistischen Machtübernahme überhaupt noch etwas bedeutet, darf bezweifelt werden.
Die westlichen Wortführer glauben freilich, ihre Zivilisation sei als erste von allen unsterblich, sie verkörpere das »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama), sozusagen das Siegel der Zivilisationen, und alle anderen strebten danach, zu leben wie der Westen. Das ist natürlich ein Köhlerglaube und, global gesehen, eine Provinzlerposse, ob nun gespielt von Texanern wie George Bush jun., dem nicht einmal bekannt gewesen sein soll, dass Muslime sich in Sunniten und Schiiten scheiden (das kann aber auch Propaganda sein), oder von deutschen Leitartiklern, deren moralisierender Germanozentrismus seine drolligen Seiten hätte, wenn er nicht von so autoaggressiver Uneleganz wäre.
Jedenfalls hat »der Westen« als Kultur und als Gesellschaftsmodell vielerorts an Attraktivität und Vorbildlichkeit verloren, ob nun in Nordafrika, China, dem Orient, aber auch vor den Haustüren von Malmö, Marseille, Blackburn oder Duisburg weicht er zurück. Der Islam wächst, Asiens Macht und Einfluss wachsen, Russland ist militärisch wiedererstarkt, Afrika vermehrt sich, wie man sagt, explosionsartig, und von der Technik abgesehen, bei deren Adaption die Asiaten weit fortgeschritten sind, legt man in diesen Weltgegenden auf westliche Werte wenig Wert (nur einige Asiaten konservieren rührenderweise die im Westen längst abgeräumte abendländische Hochkultur). Der Demokratieexport der Amerikaner ist, außer bei den servilen Deutschen, überall gescheitert, doch wie man im deutschen Westteil sieht, hat die Medizin nicht geholfen, der Selbsterhaltungstrieb ist weg, die letzten Menschen bitten zum letzten Tanz.
Unter dem »sexuellen Terrorregime« (Onfray) des Christentums verhielt sich das noch anders, die Bevölkerungszahlen wuchsen schnell, so wie sie heute bei den orthodoxen Juden und eben vor allem bei den Muslimen rasant wachsen, deren Sexualmoral ähnlich restriktiv ist, während der promiskuitive, liberale Westen zwar technische und medizinische Katalysatoren für die Bevölkerungsexplosion geliefert hat, aber kaum mehr autochthone Nachkommen produziert. Die Wette der westlichen linken und liberalen Progressisten – der Begriff hier immer im Sinne des Liberalismus, nicht der Liberalität verwendet – lautet, dass auch nach der mählichen Vermischung des westlichen Menschen mit den Migranten die westliche Gesellschaft einfach bruchlos weiterbesteht (für die Linken existiert der westliche Mensch bekanntlich nur als Rassistenphantasie, alle Menschen sind für sie gleich). Und wenn nicht? Ja, dann eben nicht.
Über die Muslime schreibt Onfray: »Wir haben den Nihilismus, sie haben die Inbrunst. Wir sind erschöpft, sie erfreuen sich bester Gesundheit. Wir leben im Moment und verzehren uns langsam selbst, sie sind auf Du und Du mit der Ewigkeit (…) Wir haben die Vergangenheit, sie haben die Zukunft, denn für sie beginnt alles gerade erst, während für uns alles endet. Alles hat seine Zeit.« Hach, wie undifferenziert! Kein Wunder, dass ihn das hiesige Feuilleton der »Islamophobie« zieh. Dort, wo die Kanzlerin selber die Kerkaporta öffnet, bleibt einem linientreuen Intellektuellen schließlich kaum etwas anderes übrig, als die Melodie von »Hört was kommt von draußen rein? Wird wohl nichts gewesen sein« zu pfeifen.
Die fatalistische oder schwarze Geschichtsschreibung ist in Deutschland regelrecht geächtet. Fritz Stern hat in seinem Buch Kulturpessimismus als politische Gefahr das »kulturelle Unbehagen« der bürgerlichen Eliten getadelt, das sie in die Arme Hitler getrieben habe. »Wer kulturelles Unbehagen verspürt, ist damit gewarnt« (Arnold Gehlen). Der Vorwurf steht bis heute bolzenfest; Kulturpessimismus ist keineswegs, wie ich mal geschrieben habe, ein dem Kotzen nicht ganz unverwandter Reflex einer handvoll übriggebliebener Kultivierter, sondern Wasser auf die Mühlen von Sie wissen schon. Sämtliche deutsche Rezensionen von Onfrays Opus waren Verrisse; kein BRD-Feuilletonist dürfte sich erlauben, es zu loben, das widerspricht gewissermaßen der optimistischen Parteilinie.
Der Franzose gliedert seine Gesamtschau in zwei Teile: »Zeit der Vitalität« und »Zeit der Erschöpfung«. Viele Kapitel sind dem Christentum gewidmet, das für ihn auf einer paulinischen Sexualneurose – also, er ist ja Nietzscheaner, auf dem Ressentiment – gründet. Die Phase des Aufstiegs und jene des Niedergangs unterscheiden sich in den Motiven der Akteure allerdings kaum, überall sieht Onfray dunkle Triebe und niedere Instinkte am Wirken, die Sonne Kants bricht nirgends durch die Wolken. »Der Zivilisierte ist der Barbar, der Erfolg hatte«, notiert Onfray. »Keine Zivilisation ist je aus Heiligen, Pazifisten, Gewaltlosen und Tugendhaften entstanden – eben den netten Menschen. Vielmehr sind es immer Banditen, Mörder, Folterer und Sadisten, die die Grundlage einer Zivilisation bilden. Die Chorknaben hinter Jesus eignen sich nur als Künstler, Dichter oder Philosophen, aber hinter Paulus fuchteln Kraftprotze mit dem Schwert.«
Einzig die intellektuelle Verbrämung der Blutspuren ändert sich im Laufe der Zeiten: »Chemiewaffen, Minen, Massenverhaftungen, Deportationen, Hinrichtungen, Massaker, Folter, Vergewaltigungen, Morde an Frauen, Kindern und Alten, zerstörte Dörfer, Brandstiftung, blutrote Flüsse, Massengräber, Ertränkungen, Plünderungen, gegerbte Menschenhäute, Frauenfett in Fässern, zerstückelte aufgehängte Leichen und Öfen, in denen Frauen und Kinder verbrannt wurden – all das geschah um 1790 in der Vendée im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, im Namen der Republik und des Glücks ihrer Bürger.«
Wer dem Autor nun vorwürfe, er schildere den Aufstieg so negativ wie den Abstieg, hat die Tragödie nicht begriffen.
29. Januar
Aus dem Zitatenkästlein des Michel Onfray: »Sprenger und Institoris (die Verfasser des ›Hexenhammer‹ – M.K.) kommt innerhalb der Theologie der Inquisition der Rang zu, den etwa Deleuze und Guattari für die Philosophie der 1970er Jahre haben.«
Gestern lud die Deutsche Atlantische Gesellschaft zum Vortrags- und Diskussionsabend ins Adlon. Als der Hauptredner, Géza von Geyr, Ministerialdirektor im Verteidigungsministerium, den islamischen Terrorismus kurzerhand in »transnationalen Terrorismus« umtaufte bzw. umdefinierte, war ich einigermaßen irritiert; als er erklärte, aus heutiger Sicht gebe es für den Brexit keine nachvollziehbaren Gründe mehr, stand ich kurz davor zu gehen; als er versicherte, das Ziel der deutschen Sicherheitspolitik sei »eine demokratische, tolerante Gesellschaft«, bin ich gegangen.
Ein guter Bekannter bringt die Kategorie des Rangs ins Gespräch. Sie sei für seinen Umgang mit anderen Menschen zentral. Jedem Menschen sei sein Rang gleichsam eingeprägt. Man müsse sich stets bewusst sein, ob man im Range über oder unter seinem Gegenüber stehe. Wenn jeder seinen Platz kenne, erleichtere das den Umgang miteinander ungemein.
Da schluckt der kleine Modernski: Was sind denn das für alte Zöpfe? Schließlich hat jeder Berliner Abiturient schon bei Schiller gelesen: »Dieses Possenspiel des Ranges/ Sei künftighin aus unserm Bund verwiesen!« (Don Carlos, 1. Akt, 9. Auftritt). Rang ist so was von altmodisch und out! Das kann jeder beim Teammeeting, Grünen-Parteitag oder Yogakurs, ja sogar bei der Dienstausgabe in der Bundeswehr studieren. Die Zukunft gehört flachen Hierarchien.
Dieser Rang – der offizielle Dienstrang – ist aber nicht gemeint. Der Rang bezeichnet die Persönlichkeit eines Menschen, seinen Charakter, seine Fähigkeiten, seinen Geist, seinen Stolz, seine Standhaftigkeit, seine – um ein Lieblingswort der aktuellen Mollusken zu verwenden – Haltung. Kurzum: seinen Wert. Carlos spricht zwar von einem »Bund«, doch er weiß, dass Posa in jenem anderen, unsichtbaren Rang über ihm steht. Wenn Sie sich Kurt Schumacher anschauen und dessen späten Genossen Heiko Maas, dann besteht trotz des höheren Dienstranges von Heiko, der Regierungsmitglied