Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens. Helmut Schwier

Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens - Helmut Schwier


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auszuspielen. Die österliche Perspektive begründet vielmehr den Festcharakter des Gottesdienstes, von dem eine den Alltag transformierende Kraft ausgeht. In der Metapher des »Risses« wird nicht nur die Brüchigkeit unserer Alltagsontologie erkennbar, sondern lassen sich österliche Transzendenzerfahrungen umschreiben und erschließen, wie sie sich durch den Gottesdienst vermitteln.

       Predigt

      So wie Gottesdienst und Predigt bezogen sind auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, so ist Praktische Theologie bezogen auf die kirchliche Praxis. »Empirisch« sind auf je eigene Weise beide. Programmatisch beginnt H. Schwier seine homiletische Selbstvorstellung mit dem Satz: »Exegese und Empirie bilden die beiden wesentlichen Bezugsgrößen meiner homiletischen Lehre und Forschung.«7 Das ist nicht nur methodisch zu verstehen, sondern theologisch bedeutsam. Praktische Theologie ist gleichermaßen als Wahrnehmungswissenschaft und Handlungstheorie zu verstehen, die einen deskriptiven Ansatz mit einem auf die kirchliche Praxis ausgerichteten theologisch-normativen Anspruch verbindet.

      Das betrifft die materiale Homiletik und den bei jeder Predigt neu auszubalancierenden Zusammenhang von Text- und Situationsbezug. Es betrifft aber auch den praktischen Vollzug der Predigt als Kommunikationsgeschehen. Predigt und Liturgie sind ausgerichtet auf Orientierung, Vergewisserung und Erneuerung der hörenden und feiernden Gemeinde. Die ästhetische Wende in der Praktischen Theologie hat daher zu Recht ein einseitig kerygmatisches pastorales Selbstverständnis in Frage gestellt und die Rolle des Predigthörers ins Zentrum gerückt. Auf innovative Weise hat Helmut Schwier selbst in zwei groß angelegten Studien die Predigtrezeption untersucht.8 Nicht wie Predigten verstanden, sondern wie sie gehört werden stand im Mittelpunkt des Interesses beider Studien, deren Besonderheit in der synchronen bzw. »ablaufsimultanen« Erfassung der unmittelbaren Hörerreaktionen lag. Die Ergebnisse dieser Studie geben Anlass darüber nachzudenken, was eine »gute Predigt« auszeichnet, die die Kommunikation des Evangeliums ermöglicht, weil sie mit der aktiven Rolle der Predigthörerinnen und -hörer rechnet und deren Erwartungen und mögliche Reaktionen mit bedenkt.

      Das gilt analog auch für den Gottesdienst als Ganzen und für die Liturgie. Auch hier ist die Kritik an pastorenzentrierten Gottesdiensten theologisch begründet und wird zugleich empirisch konkret. Der Gottesdienst wird nicht von Pfarrerinnen und Pfarrern gehalten, sondern von und mit der Gemeinde gefeiert. Helmut Schwier hat immer wieder auf die grundlegende Bedeutung des ersten Kriteriums des Evangelischen Gottesdienstbuchs (EGb) aus dem Jahr 19999 hingewiesen. Mit Verweis auf das Priestertum aller Gläubigen heißt es dort: Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde gefeiert. Auch das ist eine Gestaltungsaufgabe, wie sich an den Fehlformen leicht zeigen lässt. Die Beteiligung der Gemeinde darf nicht zur »Mitspielshow« verkommen.

      Dazu bedarf es Kriterien und Leitsätzen, wie sie z. B. im EGb formuliert werden. Sie nehmen die theologischen und theoretischen Diskurse auf und erschließen sie für die Praxis im Sinne der berühmten Schleiermacherschen »Kunstregeln«. So betont auch H. Schwier die Nähe zur Kunst, ohne handwerklicher Nachlässigkeit das Wort zu reden. Ausgangspunkt liturgischer Überlegungen zur Gottesdienstgestaltung sind bei H. Schwier darum immer wieder die Agenden, allen voran das EGb. Als Agende neuen Typs ist es Regulativ und Gestaltungsangebot für die gottesdienstliche Feier im Spannungsfeld von Tradition und Situation. Das erklärt H. Schwiers Wertschätzung für das EGb als »Werkbuchagende«, sein Plädoyer für »traditionskontinuierliche Gottesdienste« ebenso wie seine Offenheit für neue Gottesdienstformen. An die Stelle verordneter Einheit tritt eine zu gestaltende Vielfalt, zu der Agenden anleiten und helfen sollen. Im Zentrum steht eine komplexe Integrationsaufgabe, die liturgisch traditionsbewusst und situationsgerecht agiert, die in der Predigt das Wechselverhältnis von Bibel- und Lebensbezug im Blick behält und im Gottesdienst auf ein balanciertes Verhältnis von Vielfalt und Einheit gottesdienstlicher Elemente achtet. All das ist ausgerichtet auf eine »Kommunikation des Evangeliums«, welche auf die innere und äußere Partizipation, der den Gottesdienst feiernden Menschen zielt und Orientierung, Vergewisserung und Erneuerung durch das Evangelium ermöglicht.

      In diesem Horizont lässt sich liturgische Qualität beschreiben und kann benannt werden, was eine »gute Predigt« oder einen gelungenen Gottesdienst ausmacht. Die Arbeit an und mit den Kriterien gottesdienstlichen Handelns gelingt aber nur im permanenten wechselseitigen Austausch von Theorie und Praxis. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für die praktische Ausbildung, wobei Schwier besonders die Lese- und Deutungskompetenzen für die unterschiedlichen rituellen und rhetorischen Codes in Liturgie und Predigt betont, für liturgische Mehrsprachigkeit und biblische Vielstimmigkeit in der Predigt eintritt. Es geht um liturgische und homiletische Gestaltungskompetenz, die empirisch sensibel für die eigene Person, für die jeweilige Situation und für die feiernde Gemeinde ist und sich zugleich theologisch reflektiert an der Aufgabe der Kommunikation des Evangeliums immer wieder neu ausrichtet.

       Praktische Theologie und theologische Praxis

      H. Schwiers Theologie entsteht und bildet sich auf der Grenze und im Zusammenspiel von kirchlicher Praxis, akademischer Forschung und pastoraler Ausbildung. Das gilt auch für ihn selbst. Sein Wirken lässt sich einzeichnen in das Dreieck von Fakultät, Predigerseminar und Universitätskirche und reicht in seiner kirchlichen und akademischen Verbundenheit weit darüber hinaus. Eine Grenzziehung zwischen dem Professor, dem Prediger und dem Liturgen ist kaum möglich. Akademische Lehre und pastorale Ausbildung bilden bei ihm ebenso eine Einheit, wie praktisch-theologische Forschung und gottesdienstliche Praxis im Amt des Universitätspredigers. Getragen durch eine große Liebe zur Kirchenmusik von Bach bis Jazz, im unermüdlichen Einsatz für die Gestaltung des Kirchenraums der Peterskirche, im Engagement des Universitätspredigers im kulturellen Großraum seiner Universität bewährt und bildet sich sein ganzheitliches und multiperspektivische Gottesdienstverständnis. All das vollzieht sich praktisch in ganz unterschiedlichen Formaten, angefangen bei den fast schon intimen akademischen Morgenandachten im kleinen Kreis über die von Helmut Schwier mit ins Leben gerufene »Akademische Mittagspause« im Dialog mit anderen Wissenschaften weiter zu den sonntäglichen Universitätsgottesdiensten der Hochschulgemeinde bis hin zur medialen Öffentlichkeit von Fernsehgottesdiensten.10 Solche Zusammenhänge markieren einen weiten Horizont, lassen sich in einem Buch wie dem vorliegenden aber kaum abbilden. Wenigstens einige Predigten durften nicht fehlen, um die Konvergenz und Zusammengehörigkeit von theologisch-akademischer und kirchlich-pastoraler Existenz erkennbar zu machen, die die Praxisnähe seiner Theologie ausweist ohne in theorievergessene Pragmatik umzuschlagen.

      Das Genus eines Sammelbandes bringt es mit sich, dass eine gewisse Redundanz und Überschneidung zwischen den einzelnen Beiträgen nicht zu vermeiden ist. Als Herausgeber haben wir dies zugunsten einer möglichst breiten Auswahl an Beiträgen in Kauf genommen. So wird erkennbar, wie wiederkehrende Grundeinsichten perspektivisch variiert und in unterschiedlichen Zusammenhängen weiterentwickelt und exemplarisch vertieft werden. In den einzelnen Abteilungen sind die Aufsätze chronologisch angeordnet, beginnend jeweils mit dem jüngsten Beitrag. Der Abdruck erfolgt unverändert, lediglich Querverweise innerhalb der Erstpublikationen wurden soweit notwendig redaktionell ergänzt bzw. angepasst und Abkürzungen vereinheitlicht. Auf eine vollständige Bibliographie des Jubilars wurde verzichtet; sie ist bequem abrufbar über die Homepage des Heidelberger Lehrstuhls.

      Die Herausgeber verdanken dem Jubilar viel. Wir sind H. Schwier in unterschiedlichen Zusammenhängen begegnet und auf vielfältige Weise mit ihm verbunden. Gemeinsam schätzen wir seine theologische Leidenschaft für Gottesdienst und Predigt, sein großes Engagement für die Gemeinde, seinen kritischen Blick auf unsere Kirche, seine Liebe zur Peterskirche, zu J.S. Bach11 und zur Kunst, aber auch seinen Humor und seine Großzügigkeit. Wir sind dankbar für den kollegialen Austausch in zahllosen Gesprächen und Begegnungen über viele Jahre hinweg, dankbar auch für alle freundschaftliche Begleitung und Ermutigung, für alle konstruktiv-kritischen Beiträge und die vielen anregenden Hinweise in der gemeinsamen theologischen Arbeit.

      H. Schwier ist ein akademischer Lehrer, dessen Wirken nicht im klassischen Sinne als »schulbildend« zu bezeichnen ist, der aber doch einen großen Kreis an Studierenden, Doktoranden und Habilitanden, Kolleginnen und Kollegen um sich geschart hat. Viele haben durch seine Lehr- und Forschungstätigkeit wichtige Impulse für ihre eigene


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