Währenddessen und gleich danach. Bruno Gwelo
Last call for passenger Tungamirai Zvagarisa to proceed to the mugshot stop, then to virus registration, immigration desk and custom office.
„Du redest in Zungen”, hörte Assberger ihn sprechen. Zvagarisa hielt die Tasse mit beiden Händen gegriffen, befingerte sie, führte sie an den Mund. Das Spiel mit Situationen und den passenden Worten ist mein Turf, sagte sein Blick, nicht deiner. „Du reist aus, weil du warum eingereist warst?“
„Ich war bei Mufato“. Assberger sah ihm in die Augen. „Bei ihm und ein paar anderen, Chikere von Englisch und der German Section“.
„Bei Chikere? Einfach so?“
„Auf Gastdozentur“.
„Um diese Zeit?“
Hätte ich das absehen können?, wollte Assberger entgegnen, besann sich aber. Um diese Zeit, mit dem Virus als Bedrohung im Gepäck, flog schließlich auch Zvagarisa durch die Welt, die Frage konnte er so nicht gemeint haben.
„Es ging nur jetzt“, antwortete er stattdessen. „Im deutschen Vorlesungsfrei, während hier Semester ist. Eine kurze Kurzzeitdozentur, schmale drei Wochen, die vorgestern nochmal kürzer gemacht wurde“.
„Du musst raus, willst aber nicht?“
Assberger dachte an die Zynikerin in der Botschaft, die ihm die Landsleutebriefe ins Postfach stopfte und am Dienstag beim Lunch klargemacht hatte, was er in den nächsten Stunden zu tun hatte. Zehn Intensivbetten für das gesamte Land, vierzehn Millionen Einwohner. Internationale Krankenhäuser: Fehlanzeige. Den Rettungsflug bezahlen Sie selbst. Nur dass keiner hierher, um Sie. Denn über Johannesburg ist zu. Der Landweg über Beitbridge? Noch offen, aber. Wenn Sie mich fragen – Sie fragen mich das gerade, oder? – solange Sie noch können, besorgen Sie sich ein Ticket.
„So sieht das aus. Ich muss wollen, und will es eigentlich nicht. Selbst mit Mufato war es angenehm“. Assberger zwirbelte sich eine graue Locke aus der Stirn, affektiert wie Mufato mit seinen Dreadlocks über Schlips und Kragen und einem schwarzen Jackett. Zvagarisa verstand die Anspielung und lächelte müde. „Er macht jetzt auch in contagious Zimlit“.
„Ist nicht wahr!“ Zvagarisa winkte ab. Er und Mufato, eine unendliche Geschichte über zwei Literaturleben, in denen der eine den anderen im falschen wähnte, und sich selbst im richtigen. Texter versus Textexeget. Professor honoris causa gegen Ordinarius. Fast siebzig und nicht mal promoviert gegen Mitte Vierzig und ohne ein einziges Gedicht, eine einzige Shortstory, ohne sich ein einziges Mal als Sarungano versucht zu haben.
„Ich habe ihn rumgekriegt, wir wollten Gunther Geltinger ins Shona übersetzen. Kennst du Geltinger? Und kaNhuta mit den Kleinen aus der Deutschabteilung“. Und oral history machen zu Gukurahundi, die Zeugnisse endlich aufzeichnen und übersetzen ins Englische. Oder für Afrika Wunderhorn, wenn Indra mitspielt. Und und und.
„In Soltau habe ich reingelesen“. Zvagarisa schüttelte sich, wollte weg vom Thema Mufato. „Viel Glück bei der Verlagssuche“. Schwul in Zim und Necklacing mit Benzin in alten Autoreifen „Das wird nicht einfach. Und was ist kaNhuta?“
„Der kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“.
„Auch noch Koprophilie?“ Er wurde heiter. „Wird ja immer besser“.
„Ein Kinderbuch. Was war in Soltau?“
„Ein Writer‘s Retreat“. Künstlerwohnung im Dachgeschoss, idyllisch über einem Flüsschen in einer alten Mühle. „Vor fünf Tagen angetreten“, aus Bayreuth eingesprungen für ein Schweizer Künstlerehepaar auf Coronaflucht, „und eigentlich bis April gebucht“.
Assberger nickte und zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht hast du Recht“, sagte er. „Vielleicht hätten wir weniger auf contagious Germlit setzen sollen“.
„Die es sowieso nicht gibt“, lachte Zvagarisa. „Die Keime wachsen von Afrika nach Deutschland, heißt es in den Schriften des Weisen Tungamirai. Umgekehrt steckt es nicht an“.
Umgekehrt war man immun, sollte das heißen. 1980, nach anderthalb Jahrhunderten war Schluss mit dem Drill auf Europa und seiner Definitionshoheit darüber, was Sprache Schönes konnte, Gutes zustande brachte, Wahres fabrizierte. Tungamirai Zvagarisa, damals ein Twen, war aufgestanden, rebellierte in Harare, schrieb zurück und gegen an. Er folgte einer Einladung nach Bremen und dichtete aus dem unmöglichen Dort weiter. Probierte es auch gegen das Bremendort und entwarf ein mögliches Nichtzim, eines, das man sich fangen könne wie einen Schnupfen. Kam zu hängen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Unausgeglichen, schrieb er sich den Groll von der Seele als Artist in Residence und fremdelte mit dem einzig falschen Ort. Nach einem halben Jahr war er down and out am Ostertor, ein hansestädtischer Dambudzo Marechera.
Nur dass er überlebte. Dass er Menschen an sich heranließ und den Gastgeber und die Universität am Stadtrand, mitten ins Feld gebaut wie ein Dorf aus hartem Lehm und mit entschieden zu wenig Strohdächern. Keinem einzigen Strohdach, um genau zu sein, „Not a Single One“ gewann ihm einen kleinen Literaturpreis, den er mit grimmiger Miene entgegennahm und dann doch den weiten Kiefer öffnete, um zu lächeln.
Halbwegs versöhnt, kehrte er nach Harare zurück, in das mögliche Zim, das gerade dabei war, seine Potentiale zu verschleudern. Zvagarisa rebellierte erneut, trennte seine Sprache von der Mugabes, das Geschriebene von der Korruption, das Gesagte von den kriminellen Eliten und ihren Komplizen im Ausland. Mai Bob Poetry entstand und andere Interventionen, die den Rohstoff Sprache und seine Schöpfer, die Geschichten und ihre Erzähler kostbar, knapp und rein halten sollten. Gehört wurde er damit nicht im eigenen Land, wie auch? Dafür vernahm man ihn über ein, zwei Sommer hinweg in Südafrika, wo sein Ansatz entdeckt wurde als Mittler zwischen den Kulturfunktionären des ANC, die seit 1994 nur noch die Wahrheit sprechen lassen wollten in den Theatern und TV-Stationen, und den Pan-Afrikanisten, denen die neue Wahrheit nicht traditionell genug erschien, not indigenous enough.
Zvagarisa steckte die Eliten des großen Nachbarn an, hielt Assberger in seiner Dissertation fest. Contagious Zimlit war geboren, das Schlagwort eines Afrikanisten, das nötig war, um ihn auch in Deutschland ins Gespräch zu bringen. Wieder ins Gespräch. BIGSAS in Bayreuth und Bremen buhlten um ihn, sie boten ihm Senior Fellowships an, und er nahm sie beide, zuerst das in Bremen.
In Lusaka machten sich Tatortreiniger über die Flugzeugkabine her. So kam es Assberger vor, der von dem Zwischenstopp überrascht wurde. Mit kleinen Staubsaugern, Plastikmüllbeuteln und frischen Kopfkissenbezügen, Desinfektionsspray und grellgelben Warnwesten kämmte sich der Trupp durch die Sitzreihen und putzte den letzten Rest Zimbabwe aus den Polstern, ehe die Reihen sich wieder füllten und jeder Platz neu besetzt wurde von nordwärts Flüchtenden, die über Addis den Kontinent verließen.
Nur er und der Rapper, eine afrikanische Celebrity mit dickem Predigerkreuz um den Hals, den er nicht kannte, waren durchgebucht nach Äthiopien. Assberger nutzte das ungesicherte WLAN am Boden, um in die Mails zu gehen.
‚Bob‘s white Thimble‘, las er im Betreff und öffnete die Nachricht. Ein Foto vom Flughafentower in Harare, etwas unscharf und geschossen von Zvagarisa, als der durch die Checks war und das Gebäude verlassen hatte. Assberger erkannte die Anspielung, die blütenweiße Haube auf einem umgestülpten Becher aus Zement. Der Tower sah tatsächlich aus wie ein Fingerhut, mit dem man Dinge zusammenflickt, ohne sich die Nadel ins Fleisch zu jagen. Ein Land, ein Jackett aus buntem Stoff für die Party Rallies, eine Fahne oder notdürftig eine Koalition.
‚What a surprise! Mein Freund, komm gut an deine destination (dein destiny). Bleib gesund, and let us keep in touch. Ich bin on my way und leiste mir ein cab nach Mazowe. Last European luxury. Last flamboyance before I shed off the skin and tune to simple Shona Alltag. Another hug – Yours Tunga‘.
Mazowe. In Assberger kitzelte etwas, unangenehm elektrisch, wie eine schlechte Vorahnung, geboren aus einer Erinnerung. Vor fünf Tagen hatte er mit dem Mountain Club of Zimbabwe den Iron Mask Range bestiegen und eine atemberaubende Sicht auf die drei Mazowes genossen, das Dorf, den Fluss und den Stausee hinter dem Damm. Vor fünf Tagen, als Zvagarisa den Retreat in Soltau antrat. Jetzt hatten sie